Heute schauen wir kurz in die Backstube des Journalismus. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu hat diese Woche einen elend langen Satz gesprochen, einen typischen Politikersatz, der schnell startet und sich dann grammatischer Logik folgend vor sich hinschlängelt, wobei nur der Redner zu Beginn vermutlich eine halbwegs klare Vorstellung davon hat, wie sein Satz enden soll. Davutoglus Wortwerk endete mit dem Begriff „Gefrierpunkt", d.h. fast, denn der türkische Satz schließt üblicherweise mit einem Verb ab, und das Wichtigste steht unmittelbar davor - hier war es das Gefrieren der Beziehungen zwischen der Türkei und der EU, eine doch sehr unerwartete, politisch schwer wiegende Ankündigung.

Für Leser, die des Türkischen mächtig sind - buyrun:

„Eğer bu olmazsa, Kıbrıs Rum tarafı bu müzakereleri geciktirerek gelecek sene 2012 Temmuzunda tek taraflı olarak dönem başkanlığını alırsa bu sadece Adada bir çözümsüzlük anlamına gelmez aynı zamanda Türkiye ile AB ilişkilerinin tıkanıklığın ötesinde donma noktası anlamına gelir."

Der Satz fiel außer Kontext an einem Mittwochmittag bei einer Pressekonferenz, die Davutoglu gemeinsam mit seinem ukrainischen Kollegen Konstantin Grischtschenko in Ankara gab. Zu einer solchen Pressekonferenz erscheinen üblicherweise nur einige lokale türkische Medienvertreter und mit dem Minister mitreisende Journalisten. Das Medienecho war deshalb gemischt: Die türkischen Nachrichtensender übertrugen erst einmal nichts, Reuters brachte allerdings eine eigene Meldung und schrieb zwei weitere im Lauf des Tages, AFP sendete zwei Meldungen am Nachmittag und zitierte dabei die türkische Nachrichtenagentur Anadolu, die deutsche dpa hatte nichts, der deutsche Dienst von AFP übertrug die Meldung ebenfalls nicht.

Die große Frage ist, was der Journalist mit einem solchen Satz macht, wenn er nicht nach-fragen kann: Hat Davutoglu nun wegen der ungelösten Zypernfrage mit einer Eiszeit „gedroht", lediglich "festgestellt", davor „gewarnt", gar versucht, die EU zu „erpressen"?

Weil der Minister im allgemeinen nicht so dahin plaudert, wird er sich schon etwas gedacht haben. Der Begriff „Gefrierpunkt" ist ihm auch gar nicht herausgerutscht. Er habe es „genau so deutlich" auch dem EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle gesagt, erklärte Davutoglu im Nachsatz während der Pressekonferenz in Ankara.

Eine türkische Journalistin der englischsprachigen Nachrichtenagentur Reuters schrieb nüchtern in der ersten Meldung, Davutoglu habe erklärt, die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU "werden einfrieren". Das hat er so, streng genommen, nicht gesagt, als Umschreibung des Sachverhalts gilt es aber als statthaft. Die darauffolgenden Meldungen titelte Reuters dann schon interpretierend: „Turkey warns of freeze in EU ties if no solution":

"'If the Greek Cypriot side stalls negotiations and takes over the presidency of the European Union in July 2012, this means not only a deadlock on the island, but also a blockage, a freezing point in Turkey-European Union relations,' Ahmet Davutoglu told a news conference."

Die französische Nachrichtenagentur AFP versuchte sich - etwas überraschend - in die Lage der türkischen Führung einzufühlen. Heraus kam: "Ankara fürchtet ein Einfrieren der Beziehungen zur EU während der zyprischen Präsidentschaft" („Ankara craint un gel des relations avec l'UE lors de la présidence chypriote"). Der Leser/Hörer soll also vielleicht mitleiden. Die Agentur schrieb zugleich, "le ministre a prevenu", er hat mitgeteilt, aber eher in einem warnenden Ton, und er hat "behauptet"/"betont" ("affirmé"). AFP übersetzte den Satz Davutoglus zudem etwas genauer:

"'Si l'administration chypriote grecque retarde les négociations et accède seule à la présidence (...), cela ne signifie pas seulement une absence de solution pour l'île mais aussi que les relations entre la Turquie et l'UE vont arriver à un gel', a affirmé M. Davutoglu, cité par l'agence Anatolie."

"çözümsüzlük" hatte Davutoglu gesagt, eine "Lösungslosigkeit", wofür man im Deutschen eine Umschreibung finden muss - "Blockade", "Sackgasse", "Ausweglosigkeit", "ungelöste Situation für die Insel". Wörtlicher, aber für einen Text auf Deutsch nicht verwendbar, sagte Davutoglu:

"Wenn dies nicht so ist, wenn die griechisch-zypriotische Seite nächstes Jahr, im Juli 2012, allein als Unilaterale/Voreingenommene die Ratspräsidentschaft übernimmt, indem sie diese Verhandlungen hinauszögert, dann bedeutet das nicht nur eine ungelöste Situation auf der Insel, es bedeutet zur selben Zeit über die Verstopfung/Blockade hinaus einen Gefrierpunkt in den Beziehungen zwischen der Türkei und der EU."

Simple Beschreibung einer absehbaren Entwicklung oder Drohung? Eher letzteres. Die Botschaft: Ein Gefrier- oder Nullpunkt ist nichts Gutes, und die griechisch-zypriotische Seite wie die EU haben es in der Hand, das zu verhindern. Die türkischen Medien haben es am Tag danach auch so verstanden und getitelt: "Davutoglu hat aufgereizt" - "Davutoĝlu rest çekti".