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Der Schrecken kehrt zurück. In Indien finden regelmäßig Anschläge radikaler Gruppierungen statt.

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Am Tag nach dem Anschlag.

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Christian Wagner leitet die Forschungsgruppe Asien der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) mit Sitz in Berlin. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die Außen- und Sicherheitspolitik Indiens und Pakistans. 

 

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Am Dienstag explodierten in Mumbai drei Sprengsätze in belebten Vierteln der Stadt unmittelbar hintereinander und riefen Erinnerungen an die islamistischen Anschläge Ende 2008 wach, bei denen über 170 Menschen starben. Eine Parallele dazu sieht Christian Wagner von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik  nicht. Eine Blockade der geplanten Wiederaufnahme des 2008 unterbrochenen Friedensprozesses zwischen Pakistan und Indien könnte aber sehr wohl hinter den Anschlägen stecken.

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derStandard.at: Die letzten großen Serienanschläge wurden in Mumbai im November 2008 begangen. Islamistische Militante mit Unterstützung aus Pakistan wurden damals als Täter identifiziert. Diesmal hat sich Islamabad beeilt, die Anschläge zu verurteilen. Hat der neue Anschlag Parallelen zu den Ereignissen 2008?

Wagner: Der Anschlag hat Parallelen mit Anschlägen, die in den letzten Jahren in Indien stattgefunden haben. Er hat aber keine Parallelen zu dem Anschlag im November 2008. Damals wurden ja unter anderem gezielt westliche Einrichtungen und Touristen angegriffen. Militante verschanzten mehrere Tage in der Stadt. 

derStandard.at: Sie gehen davon aus, dass eine Terrorgruppe innerhalb Indiens für die aktuellen Anschläge verantwortlich ist?

Wagner: Es gibt verschiedene Spekulationen, darunter die Vermutung, dass es indische Mudschaheddin gewesen sein könnten. Also militante islamistische Gruppierungen, die in Indien operieren, aber teilweise auch Unterstützung aus dem Ausland erhalten.

derStandard.at: Gegen wen oder was treten diese Gruppierungen auf?

Wagner: Die verschiedenen Gruppen haben eine unterschiedliche Agenda. Zum Teil wehren sie sich gegen die Benachteiligung der Muslime. Die Muslime haben in Indien einen vergleichsweise schlechten Status und haben am wirtschaftlichen Erfolg der letzten Jahre kaum teil gehabt. Auf der anderen Seite verfolgen die indischen Mudschaheddin eine islamistische Agenda, wollen die Islamisierung Indiens vorantreiben. Und natürlich können solche Anschläge auch immer darauf abzielen, den pakistanisch-indischen Friedensprozess zu blockieren. Aber so lange kein klares Bekenntnis zu den Attentaten vorliegt, bleibt es erst mal schwierig, die genaue Motivation zu begründen.

derStandard.at: Wie weit ist dieser Friedensprozess und wird er unter den neuen Anschlägen leiden?

Wagner: Jetzt gerade beginnt wieder ein Annäherungsprozess zu Pakistan. In zehn Tagen soll die nächste Gesprächsrunde stattfinden. Bei der letzten pakistanisch-indischen Annäherung in den Jahren 2004 bis 2008 gab jedes Jahr kleinere Anschläge. Nach dem Anschlag in Mumbai 2008 war es für Indien nicht mehr möglich, den Verhandlungsprozess fortzusetzen. Indien ist am Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Pakistan interessiert. Deshalb gibt es keine laute, offizielle Kritik gegen Pakistan.

derStandard.at: Sie haben schon gesagt: Die muslimische Minderheit in Indien ist wirtschaftlich und strukturell benachteiligt. Wie funktioniert das Zusammenleben prinzipiell?

Wagner: Prinzipiell gut. In Indien ist ein Anteil von etwa 14 Prozent der Gesamtbevölkerung muslimisch. Das sind mehr als 140 Millionen Menschen. Wenn sich darunter nur wenige radikalisieren, entsteht allerdings ein großes Radikalisierungspotenzial. Zugleich ist mit Anschlägen immer die Angst verbunden, dass es zu größeren oder kleineren Ausschreitungen gegenüber Moslems kommt. Gerade in Metropolen wie Mumbai. Größere Ausschreitungen gab es das letzte Mal in Gudjarat 2002 (ein Anschlag auf einen Zug provozierte schwere Ausschreitung gegen die muslimische Bevölkerung, bei denen über 1000 Menschen getötet wurden, Anm.). 

derStandard.at: Die Anschläge "können nicht als Angriffe auf Indiens Wirtschaftshauptstadt oder auf unsere Märkte angesehen werden", sagte Innenminister Chidambaram und spiegelt damit die Angst davor wider, dass Indiens Sicherheitssituation der Wirtschaft schaden könnte.

Wagner: Natürlich wirken sich solche Anschläge auf das internationale Image aus. Sie zeigen, dass es in Indien keine dauerhafte Sicherheit geben kann. Im Jahr gibt es hier circa ein bis zwei Anschläge, die Urheberschaft bleibt oft ungeklärt. Das macht die Probleme deutlich, die das Land bei der Terrorbekämpfung hat. Man hat zwar nach Mumbai 2008 die Antiterroreinheiten restrukturiert. De facto kann man dieses Milliardenland aber nicht kontrollieren. Dazu trägt sicher auch die chronisch korrupte Polizei bei, die kein hohes Ansehen in der Bevölkerung hat. (mhe, 14.7.2011, derStandard.at)