Die Grafik zeigt die Interaktion des Timothy-Glycins (rot) mit fettlöslichen, großen Aminosäuren der Nachbarhelix (blau).

Illustration: Anna Stary-Weinzinger

Wien - Kein gesundes Leben ohne funktionierende Ionenkanäle in den Wänden jeder Zelle des Organismus: Im menschlichen Erbgut sind die "Pläne" für insgesamt 243 spannungsgesteuerte Ionenkanäle gespeichert. Mutationen können zu Erbkrankheiten wie Migräne, Nachtblindheit oder dem mit Autismus und Herzrhythmusstörungen einhergehenden Timothy-Syndrom führen. Wiener Wissenschafter haben bei letzterer Erkrankung Hinweise für die eigentliche Ursache gefunden.

Katrin Depil und Anna Stary-Weinzinger erforschen mit einem Team von Kollegen am Department für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Wien die Veränderungen an den Kalziumkanälen, eine Untergruppe der Ionenkanäle, durch die eben Kalziumionen in die Zellen eingeschleust oder aus ihnen "exportiert" werden. Beim Timothy-Syndrom treten hier Defekte auf. Die Wiener Wissenschafterinnen haben neueste Ergebnisse vor kurzem in der Fachzeitschrift Journal of Biological Chemistry publiziert.

Unerforschte Öffnungs- und Schließmechanismen

Der Hintergrund: Ionenkanäle sind Membranproteine, über die Kalium, Natrium und Calcium geleitet werden. Sie steuern elektrische Signale im Nervensystem, verursachen die Freisetzung von Neurotransmittern und sind für das Schlagen des Herzens und die Bewegung der Skelettmuskulatur verantwortlich. Zu den Ionenkanälen gehören die spannungsgesteuerten Kalziumkanäle, die sich bei Veränderungen der elektrischen Membranspannung öffnen und schließen. Diese Öffnungs- und Schließmechanismen der Membranporen sind bisher weitgehend unerforscht. Bekannt ist aber, dass Mutationen die Mechanismen empfindlich stören können und infolge dessen sogenannte "Kanalerkrankungen" entstehen.

Eine dieser Krankheiten ist das lebensbedrohende Timothy-Syndrom, dem zwei Mutationen (G402S und G406R) im spannungsabhängigen Kalziumkanal Cav1.2 zugrunde liegen. Dabei verursacht der Austausch der Aminosäuren in der Kanalpore neurologische Störungen, Autismus, schwere Herzrhythmusstörungen sowie Fehlbildungen, u.a. im Kieferbereich. "Durch die Punktmutationen bleiben die Kanäle länger offen, und die Zellen werden mit Kalzium förmlich überflutet, was letztendlich zu den vielfältigen Störungen führt", erklärte Steffen Hering, Vorstand des Departments für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Wien.

Funktionsstörungen bei größeren Aminosäuren

In der Online-Ausgabe der Zeitschrift beschreiben die Wissenschafterinnen, dass die Timothy-Mutation in einem stark konservierten Strukturmotiv in der Kanalpore auftritt, welches aus kleinen Aminosäuren besteht: aus Glycinen (G) und Alaninen (A). Die typische Abfolge wird als sogenanntes "G/A/G/A-Motiv" bezeichnet. Kommt es aber zum fälschlichen Einbau größerer Aminosäuren, deren Seitenketten nicht wasserlöslich sind, treten Funktionsstörungen auf.

"Wir gehen davon aus, dass die kleinen Aminosäuren des G/A/G/A-Motivs essenziell für das Abdichten des Kanals sind, während Aminosäuren mit größeren fettlöslichen Seitenketten das Schließen des Kanals behindern. Die Timothy-Mutation führt zu einer Destabilisierung der geschlossenen Pore, weshalb der Kanal sich leichter öffnen lässt", sagte Anna Stary-Weinzinger. Das führt zum vermehrten Einstrom von Kalziumionen. (red/APA)