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Der Fall "NoW": Medienpolitisch, demokratiepolitisch und in Sachen Menschenwürde ein unfassbarer Skandal.

Foto: AP/News International

"Thank you and Goodbye" so der letzte Titel, die letzten Worte der auflagenstärksten Londoner Wochenzeitung "News of the World". Gegründet am 1. Oktober 1843 – zu Tode gebracht am 10. Juli 2011. Mit ihr zu Grabe getragen wurden zugleich die Prinzipien der Menschenrechte und die der Pressefreiheit.

Das einstige Traditions- und spätere Revolverblatt ist Opfer von Gier und schonungsloser Kommerzialisierung der Medienfreiheit geworden. Jahrelang waren von der Redaktion Mobiltelefone nicht nur von Royal Celebrities sondern vor allem auch die der Angehörigen von Kriegs-, Mord- und Attentatsopfern – summa summarum angeblich 4000 – ohne jeden Skrupel angezapft, die abgehörten Gespräche schamlos unter Verletzung des Persönlichkeitsrechtes ausgeschlachtet und veröffentlicht worden.

Nicht nur das, selbst der derzeitige britische Premierminister Cameron ist involviert. Er demonstrierte die britische Version des engen Schulterschlusses von politischer Macht mit Medienmächtigen. Andy Coulson, in dessen Herausgeberzeit die menschenverachtenden Praktiken der "News of the Word" fallen, war später zu Camerons Pressesprecher avanciert. Anfang dieses Jahres verließ Coulson mit feiner Witterung diesen Posten. Man möchte sich gar nicht vorstellen, mit welchen Methoden er auch gegen die Opposition agiert haben könnte. Nun wurde er festgenommen und kam nur gegen Kaution wieder auf freien Fuß. Hochmut, so heißt es, kommt vor dem Fall.

Seit langem hatte der britische Ministerpräsident beste Beziehungen zu dem australischen Medienmogul und Eigentümer von "News of the Word" gepflogen. Auch zu Rebekah Brooks, während der Abhörjahre Chefredakteurin des Blattes, inzwischen machtvolle Leiterin des Murdoch-Medienunternehmens "News International". Als Chefredakteurin der nun eingestellten Zeitung hatte sie übrigens auch die knallharte Kampagne "naming and shaming" geleitet, die Männer, die wegen Kindesmissbrauches überführt waren, an den öffentlichen Pranger stellte.

Premierminister Cameron hat sich inzwischen von Rebekah Brooks notgedrungen distanziert, nicht so ihr Chef Rupert Murdoch. Der zog es vor, die Zeitung zu schließen statt diese eine Mitarbeiterin zu schassen. 200 Mitarbeiter stehen nun auf der Straße, die meisten hatten mit dem Abhörskandal nichts zu tun.

Sie haben nicht nur ihren Job verloren, sie müssen darüber hinaus stellvertretend für die Verantwortlichen das Kainsmal tragen. Dass Rupert Murdoch eine neue Sonntagzeitung als mögliches "Auffanglager" gründen will, kostet sie nur ein müdes Lächeln. Auch die Genugtuung dass R.P., der ohnedies bereits über ein Drittel der britischen Informationspresse sein Eigen nennt, nun vielleicht doch nicht die Lizenz für den Satellitensender BSkyB erhalten könnte, bringt ihnen keine Butter aufs Brot.

Der Fall "News of the World" ist nicht nur medienpolitisch sondern auch demokratiepolitisch und in Sachen Menschenwürde ein unfassbarer Skandal. Schlimm genug, dass dies in Europa passierte. Traurig, dass dieser kommerzielle Missbrauch der Pressefreiheit samt willkürlichem Zeitungsmord ausgerechnet in Großbritannien stattfand. In jenem Land also, das in den Jahrhunderten staatspolitischer Moderne nie den Versuchungen faschistischer Diktaturen erlag, das stets ein demokratiepolitisches Orientierungsland war und sich auch, zumal nach 1945, als solches verstand und gerierte.

Hoffnungsfrohe setzen auf einen nun einsetzenden Reinigungsprozess. Andere in Großbritannien sehen das Ende weiterer Zeitungen kommen. Wie auch immer, der Sündenfall hat stattgefunden. Großbritannien hat seine Vorbildfunktion leichtfertig verspielt.

In Ungarn lacht sich Viktor Orbán ins Fäustchen, in Weißrussland Alexander Lukaschenko, in Italien Silvio Berlusconi, in Moskau Vladimir Putin. Gemeinsam mit ihnen sicher genügend andere Politiker auf dieser Welt. Auch in Österreich.