derStandard.at-Redakteurin Eva Tinsobin besuchte "Hair" im WUK, ließ Haare und wurde Teil einer Performance

Der erste Akt der Haar-Oper - das Sammeln - hatte bereits am 1. April 2011 begonnen, als das internationale Performance-Kollektiv Cabula6 (brasilianisch für "Schule schwänzen") fünfzehn Wiener Haarsalons einlud, Haare, Klänge, Bilder, Styling-Ideen und Rat zu einem haarigen Projekt beizusteuern. Es war der Start zu "Hair - Eine Oper in drei Akten", an deren Ende - im Auftrag der Stadt Wien - die Präsentation der Wiener Perücke stand.

Von 6. bis 9. Juni rief das WUK im Rahmen des Jacuzzi-Festivals zum zweiten Akt: Die Verwandlung.

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Die Besucher waren eingeladen, sich im Rahmen einer viertägigen Non Stop-Performance von Profi-Friseuren kostenlos die Haare schneiden zu lassen und damit Teil der Wiener Perücke zu werden.

Der Weg zur neuen Frisur führt ins Museum. 77 Stunden dauert die Anfertigung der Wien-Perücke.

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77 Stunden - so lange wartet die "Perückenträgerin" Claudia Heu gespenstisch ausgeleuchtet auf einem Friseurstuhl auf die neue Haarpracht. Ihr eigenes Haar verbirgt sich unter einem Tuch.

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Der Blick der Perückenträgerin fällt in den Raum am Ende der Zimmerflucht. Das Arrangement ein Spiegelbild des ersten Raumes: ein rot gepolsterter Friseurstuhl auf einem Podium. Hier nehmen die Menschen Platz, die ihre Haare für die Perückenträgerin lassen.

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Dazwischen, im Durchgangsraum, wird die Perücke gefertigt: rechts "Hechler" Jeremy Xido, verantwortlich für das Kämmen der Haarsträhnen.

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Auf der linken Seite die Perückenmacherin Charlotte Miklau.

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Weder explizit lebendig oder tot. "Solange das Haar noch auf unserem Kopf ist, ist es ulitmativer Ausdruck unserer Lebenskraft", hält das Performancekollektiv Cabula6 fest. "Sobald es jedoch abgeschnitten, von seinem rechtmäßigen Eigentümer abgetrennt und weggeworfen wird, verwandelt es sich in ein unappetitliches Überbleibsel und wird zu Abfall."

Im Bild der bereits gewonnene Haarberg.

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"Es ist allerdings bedeutsam, dass die Substanz von Haar in diesem Übergang vom Leben zum Tod unverändert bleibt - untot." (Cabula6)

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"Bitte nimm Platz", lädt die Friseurin Laura Claire Bakmann auf das Podium.

Wer ist Publikum, wer Akteur? Die Zuordnungen werden im Performancebereich brüchig. Reale Schauplätze werden zu Bühnen und Fakten sind von Fiktion durchdrungen. Das Performancekollektiv Cabula6 operiert mit diesen Dynamiken.

Martin Fabini

"Wie ist deine Haarfarbe? Schwarz oder Braun"? Fragt die Perückenträgerin am anderen Ende der Zimmerflucht per Funk. "Warst du als Kind auch blond?" "Drei Jahre lang", antworte ich. "Aber ein Jahr lang hatte ich überhaupt keine Haare." "Ich auch nicht", sagt die Perückenträgerin. "Ich hatte einen riesigen Kopf und sah aus wie ein kleiner Buddha." Die Plaudereien rund ums Haar finden während des Haareschneidens statt und können von den BesucherInnen mitgehört werden.

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Haare lassen und über Haare plaudern. Es sind zwei intime Prozesse, die auf die Bühne gehoben werden. "Hast du feine Haare? Es klingt so... Das Scherengeschnipsel ist ganz fein", fragt die Perückenträgerin, und weiter: "Ich glaube, ich kann mittlerweile die Struktur von Haaren am Klang der Schere erkennen." Die Haar-Schnipselgeräusche werden aufgezeichnet und über zwei Sofas als beruhigender Haaarklangteppich übertragen.

Martin Fabini

"Hello, I'm Jeremy", schaltet sich der Haar-Hechler in die Leitung.

"Wie fühlst du dich auf dem Stuhl?", fragt die Perückenmacherin. "Auf einer Bühne unter einem Scheinwerfer zu sitzen, reden und sich die Haare schneiden lassen ist anstrengend. Ich bin keine, die beim Friseur redet."

Martin Fabini

"Viele Menschen erzählen dem Friseur ihre Lebensgeschichte..." "Es soll aber auch Friseure geben, die den Kunden ihre ganze Lebensgeschichte erzählen." "Mit mir kann man das machen, weil ich nichts rede..." Der Dialog wird vom Gebläse des Föhns unterbrochen.

Im Perücken-Produktionsraum tanzende Haarsträhnen.

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"Ist es langweilig, 77 Stunden lang auf die Perücke zu warten?" "Nein, es ist meditaiv". Das Frage-Antwortspiel hat sich umgedreht. "Wird deine Perücke viele Farben haben?" "Ja, alle Haare werden eingeflochten, so wie sie sind." "Wie Allerleirauh..." Ein letzter Blick in den Spiegel und runter von der Bühne.

Martin Fabini

Die Haare werden zusammengekehrt...

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... und zu Jeremy gebracht, der sie schwungvoll über spitze Zinken wirft...

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... und zieht.

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Dann verknüpft die Perückenmacherin Strähne für Strähne zur Wiener Perücke.

"Die symbolische Macht des Haares liegt in seiner unabhängigen Materialität und seiner Eigenschaft, (nicht) dazu zu gehören, in seinem doppelten Status gleichzeitig ein Fetisch und entwertet zu sein. Ein Subjekt, das zum Objekt gemacht und ein magisches Objekt, das subjektiviert wird. Es ist ein Ding, das vielen gehört und gleichzeitig viele Dinge, die nie jemandem gehören", steht im Manifest von Cabula6.

Martin Fabini

"Das Haar trägt uns ins Reich des Magischen, in welchem die Dinge lebendig statt funktionell, geteilt statt besessen, verwendet statt verehrt, profanisiert statt geweiht werden." Man verlässt durch Haarverlust beschwingt das WUK, während die Perückenträgerin weiter auf ihre Perücke wartet.

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Am nächsten Tag arbeiten die Perückenmacherinnen auf Hochtouren. Um 23.00 Uhr ist die Wiener Perücke fertig.

Foto: Martin Fabini

Sonntag, 10. Juli: Claudia Heu mit der vollendeten Wiener Perücke im Wiener MAK. Im Anschluss bereist sie die wichtigsten Museen der Welt (Termine).

(Eva Tinsobin, derStandard.at, 12.07.2011)

Foto: Martin Fabini