Max Stern auf einem sozusagen historischen Foto, als ihm nach einem Kick an seinem 80. Geburtstag ein Pokal überreicht wurde.

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Wen - Die Fußball-Geschichte von Max Stern beginnt wie so viele Geschichten, die alte Fußballer gerne erzählen. Max Stern, mit seinen 90 Jahren ein wirklich routinierter Kicker, sagt: "Fußball haben wir damals auf der Straße gespielt." Damals, das war in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg, und die Straße, sie lag in Bratislava. Die Leidenschaft für den Fußball hatte Max vom Vater geerbt. "Am Wochenende haben wir oft meinen Großvater in Wien besucht, er wohnte in der Herminengasse 6. Dann sind wir ins Stadion gegangen." An die Namen der Klubs, deren Spiele er sah, kann sich Stern nicht erinnern, die Austria muss dabeigewesen sein, denn eines weiß er: "Der beste Spieler hieß Sindelar."

Der letzte Besuch fiel ins Jahr 1938, da musste Max mitansehen, wie Juden auf der Straße gezwungen wurden, den Gehsteig aufzuwaschen. "Wir sind sofort zurückgefahren nach Bratislava." Max, der ein begeisterter Briefmarkensammler war, begann ein Philatelie-Geschäft aufzuziehen. Und obwohl sein Vater Moses im Widerstand aktiv war, entging die Familie zunächst der Verfolgung durch die Nazis. Doch im Oktober 1944, als die Deutschen beschlossen, Bratislava "judenrein" zu machen, wurden auch die Sterns deportiert. Die Eltern von Max und zwei seiner Brüder, Josi (11) und Robi (7), wurden in Auschwitz umgebracht.

Max landete in einem Arbeitslager in Zilina. "Glück? Was ist Glück?" Diese Frage stellt er sich noch heute oft. Eines Tages, als Unzählige gezwungen wurden, auf einen Zug nach Auschwitz zu steigen, stand Max in der letzten Reihe. Er ließ sich ins hohe Gras sinken, blieb einfach liegen, niemand bemerkte es, und er schloss sich wieder den anderen Gefangenen in Zilina an. Später kam Max ins KZ Sachsenhausen, nach dessen Räumung durch die SS musste er einen der furchtbaren Todesmärsche antreten. Tausende kamen um. "Wir waren keine Menschen mehr, hatten nur noch tierische Überlebensinstinkte. Der Tod war keine Strafe, sondern fast schon Erlösung."

Max Stern hat überlebt. Er kehrte heim nach Bratislava. "Wir waren traumatisiert. Aber wir mussten in die Zukunft schauen." Er lernte Eva kennen, die 1948 seine Frau werden sollte, und er begann wieder mit Briefmarken zu handeln. "Doch die Situation hat sich unter den Kommunisten täglich verschlechtert." So reifte der Beschluss, nach Melbourne zu emigrieren, wohin Bekannte schon ausgewandert waren.

Im Juli 1948 kamen Max und Eva in Australien an. "Wir besaßen nichts, aber ich hatte einen Plan." Der Mann, der Sterns Geschäft in Bratislava übernommen hatte, schickte ihm Briefmarken nach. Auch dank vieler Kontakte zu anderen Händlern in Europa war Max bald in der Lage, sein Briefmarkengeschäft in Melbourne wieder hochzuziehen. Die Familie seiner Frau und viele Freunde folgten ihnen aus der alten Heimat. Das Geschäft boomte bald, auch wegen der Olympischen Spiele 1956 in Melbourne, für die Stern spezielle Ausgaben produzierte.

Mittlerweile ist "Max Stern & Co" offizieller Repräsentant und Post-Partner von 22 Ländern, natürlich auch von Österreich. "Am selben Tag, an dem in Österreich eine neue Briefmarke ausgegeben wird, gibt es sie auch bei mir in Melbourne."

Max und Eva bekamen zwei Töchter, die sie mit acht Enkelkindern beglückten. Eva starb 1995, verpasste knapp das erste Urenkerl. "Jetzt sind es schon zwölf", sagt Max, "und das dreizehnte ist unterwegs." Seine Biografie ("My Stamp on Life", erschienen 2003) würde eine Neuauflage benötigen. Der 90-Jährige ist fit, das glaubt man nicht. Die weite Reise nach Europa steckt er offenbar mühelos weg. Im Hotel nimmt er, einen kleinen Koffer in der Hand, zwei Stufen auf einmal. "Ich habe nie aufgehört zu arbeiten, ich stehe immer noch jeden Tag um acht Uhr früh im Geschäft", sagt Max. "Und vor allem spiele ich Fußball. Das hält mich fit."

Rekord und Disziplin

Beim "North Caulfield Maccabi Soccer Club", der in der Victoria-Amateur-Liga engagiert ist, war Stern bis vor einem Jahr der älteste gemeldete Kicker Australiens. "Jetzt bin ich es nicht mehr, weil man im Computer mein Geburtsjahr nicht mehr eingeben kann." Er schmunzelt. Bewerbsspiele bestreitet er seit einigen Jahren nicht mehr. Aber noch immer steht er zweimal pro Woche beim Training auf dem Platz. Einen zweiten Klub hat er mitgegründet, die "Shleppers", eine Hobbytruppe. "Fußball hilft der Selbstdisziplin. Ob es regnet oder schneit, ich versäume kein Training."

Wenn sie daheim in Melbourne einmal ohne ihn kicken, dann hat das einen guten Grund. Etwa jene Reise, die Max Stern zur Makkabiade nach Wien und weiter nach Berlin führt, wo er vor 66 Jahren den Todesmarsch überlebte.  (DER STANDARD PRINTAUSGABE 9.7. 2011)