"Nimm mich, und ich mach Dich glücklich" - die österreichische Theatergruppe Rabtaldirndln konfrontiert sich im Stück "aufplatzen" mit landläufigen Versprechungen.

Foto: Franz Sattler

Vergeben werden diese am Sonntag.

Eine herbstliche Frische liegt über dem aufgelassenen Industriegelände des Ringlokschuppens in Mülheim an der Ruhr. Wer es auf den weißen Campingstühlen gemütlich haben will, kuschelt sich in eine Decke. Und doch steht ein bedeutungsvolles Versprechen im Raum: Dieser Tag wird perfekt. In René Polleschs Stück Der perfekte Tag zählt der außergewöhnliche Schauspieler Fabian Hinrichs die hundert wichtigsten Erfindungen der Menschheit auf, vom Faustkeil zum Nanomotor. Nummer 101 ist der perfekte Tag, ebenfalls eine Erfindung. Zwischen Gauklerwägen und Zirkuszelt jagt er wie ein Wilder umher, tanzt nach Pina Bausch, radelt, reitet, singt Zarah Leanders Nur nicht aus Liebe weinen. Lügen sind die Grundlage alles Perfekten.

Pollesch gehört, wie auch Peaches oder Gob Squad, zu den Special Guests des vom NRW Kultursekretariat in den Städten Köln, Düsseldorf, Bochum und Mülheim veranstalteten großen Festivals der freien Theaterszene, Impulse, das heuer sein 20. Jubiläum feiert. Unter der künstlerischen Leitung von Matthias von Hartz und Tom Stromberg entwickelte es sich zu einer bewährten Plattform für zeitgenössisches Theater und präsentiert herausragende Aufführungen der Off-Szene. Seit 2007 findet es alle zwei Jahre statt, heuer erstmals im Sommer.

Im Mittelpunkt von Impulse steht der Wettbewerb, bei dem neun deutschsprachige Performance-Gruppen, darunter heuer drei österreichische, um drei Preise spielen, die am 10. Juli vergeben werden. Die Bandbreite der Darbietungen ist groß und reicht von dokumentarischen Dramatisierungen bis hin zum Mitmachtheater. Im Ausprobieren bzw. in der Auflösung von Kommunikationsformen wird ein überspannender Bogen erkennbar. Eine Verbindung zwischen Tanz und bildender Kunst sucht der Choreograf Andros Zins-Browne mit The Host im Düsseldorfer tanzhaus nrw. Klassische Cowboys reiten, rutschen, steppen, tanzen mit und gegen die Natur in Form gewaltiger Luftpolster, ohne dabei ein Wort zu sprechen.

"Grüner Adolf"

Lockere Mundwerke hört man hingegen bei einer Videokonferenz, zu der die Belgier Yves Degryse und Bart Baele alias "Berlin" laden. Mit dem Kunstfilmprojekt Tagfish, jüngst bei den Wiener Festwochen zu Gast, dringen sie tief in die mühselige deutsche Bürokratie ein. Eine wunderbare Tragikomödie und Analyse eines wahren Falls, der zeigt, wie disziplinierte Planer und Verhandler aneinander vorbeireden, zögern und trotz gründlicher Arbeit am Ende scheitern.

In eine andere Konferenzsituation gerät die Österreicherin Anna Mendelssohn mit ihrem Solo Cry me a River und behandelt vordergründig die Sprache. Auf Englisch zerlegt sie Ausdrucksweisen und Phrasen von Menschen, die über klimatische Veränderungen debattieren und sieht ein ökodiktatorisches System kommen, in dem der "grüne Adolf" herrscht. Überzeugend schlüpft sie in verschiedene Rollen, um am Ende Diskussionslustlosigkeit zu konstatieren.

Im Buspendelverkehr zwischen den Spielstätten wurde eifrig diskutiert, besonders über die vier Frauen des Kollektivs She She Pop, die unter Zuhilfenahme ihrer jeweiligen Väter in der Performance Testament den schwierigen Vollzug des Generationenwechsels thematisieren. Sie verstricken den Tausch "Geld gegen Zuneigung" mit Shakespeares Tragödie König Lear: Wie erbt und vererbt man richtig? Das Stück, in dem häufig von Respekt und Würde die Rede ist, berührt das Publikum und evoziert stehende Ovationen. Diese Emotionalisierung wirkt aber auch etwas befremdlich.

Die einzigen Schweizer Vertreter bereichern im Doppelpack das Festival: CapriConnection gibt zusammen mit dem ausgezeichneten Chor Schola Cantorum Basiliensis das dokumentarische Musiktheater Ars moriendi unter der Regie von Anna-Sophie Mahler. Im Düsseldorfer "Central" geht es in philosophischen Debatten aus den 1980er-Jahren um die Kunst des Sterbens und um den Tod als Metapher, begleitet von Purcells Trauermusik. Eine getragene, beeindruckende Aufführung, nicht ohne Humor.

Die Exotik der rohen Ursprünglichkeit aus der Oststeiermark brachte den Rabtaldirndln vor der illustren Zuschauerschar im Prinz-Regent-Theater zu Bochum Staunen und viel Applaus ein. Mit ihrem Beitrag aufplatzen führen sie anhand eines interaktiven Diaabends ins fiktive Rabtal, wo die ländliche Idylle eine gemeine Fratze trägt. Sie erzählen über ihre rustikal-radikale Lebensweise und servieren am Ende Schnaps.

Mit Schnaps versuchen auch God's Entertainment ihre Gäste einzulullen. Diese Wiener Gruppe will die Grenzen zwischen Spiel, Publikum und Realität aufheben, was ihr im Grunde gelingt, in der Umsetzung aber weniger überzeugt. In der Trash-Performance Trans-Europa-Bollywood sind die Zuschauer Darsteller eines Bollywood-Films, der in einem indischen Restaurant in der Kölner Innenstadt sein Happy End erfährt und in einer Party aufgeht. Dann endete der perfekte Tag, frei nach Pollesch, idealerweise im Bett. (Sebastian Gilli aus Köln/ DER STANDARD, Printausgabe, 9./10.7.2011)