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Junge Bosniakinnen beim Gebet in der Begova-Moschee in Sarajevo. Eine vollverschleierte Muslimin wurde in einer islamischen Schule vom Unterricht ausgeschlossen.

Foto: dapd/Emrić

Die Fakultät wurde in der Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie als Scharia-Schule gegründet.

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Darf man als guter Muslim bei einer Flaggenehrung mitmachen? Oder aus wirtschaftlichen Gründen die Staatsbürgerschaft von einem nichtmuslimischen Land annehmen? Der Islam-Lehrer Mustafa Spahić erzählt, womit sich Leute derzeit im Internet auseinandersetzen. Im Innenhof der Islamischen Fakultät im Herzen Sarajevos mit den neomaurischen Fenstern und dem hellen Steinbrunnen diskutieren Islamwissenschafter, Vertreter der Polizei, Imame, Politologen, das geistliche Oberhaupt der bosnischen Muslime, der Großmufti Reis-ul-ulema Mustafa Cerić, und die Leiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung, Sabina Wölkner, über Säkularismus und Islam.

Cerić verweist darauf, dass es mindestens drei Modelle von Säkularismus gibt: das französische, das zur totalen Privatisierung der Kirchen führte, das amerikanische, bei dem sich der Staat überhaupt nicht einmischt, und das kommunistische, wo es zur Unterdrückung der Kirchen kam. Cerić meint, dass derzeit oft simpel verlangt werde, dass die Muslime auf die Scharia verzichten sollen. "Das können wir nicht sagen, dass wir darauf verzichten, weil das hieße, dass wir dann keine Muslime mehr sind" , meint er. Als Scharia gelten alle Pflichten und Verbote für Muslime.

Bei dem Symposium geht es auch um die Grenzen des "Rechts, seine Religion auszudrücken" . Spahić, der an der Madrassa in Sarajevo unterrichtet, erzählt etwa, dass sie eine Studentin ausgeschlossen haben, weil diese vollverschleiert erschienen war. "Wir konnten sie nicht identifizieren. Ist sie eine Sie? Oder ist sie ein Er? Der Raum für Manipulationen war in diesem Fall zu hoch" , erklärt er.

Die Islamische Fakultät von Sarajevo ist prädestiniert für die Debatte. Sie wurde 1887 von der österreichisch-ungarischen Verwaltung als Scharia-Schule eröffnet. Es ging darum, Richter auszubilden, die in der Lage waren, sowohl die Scharia als auch Gesetze der Monarchie, die zusätzlich eingeführt wurden, anzuwenden. Die konfessionellen Gerichte in Bosnien-Herzegowina waren damals zuständig für Hochzeiten, familienrechtliche Angelegenheiten, Scheidungen, Stiftungen und Erbschaftsangelegenheiten. Für die Scharia-Schule wurde ein neues Gebäude errichtet. In Bosnien gibt es mehrere ähnliche Gebäude der Österreicher, gelb-rot gestreift mit orientalischen Ornamenten.

Romantischer Zugang

Wieso eigentlich neomaurisch? Professor Fikret Karèić schüttelt lächelnd den Kopf. Er kann das auch nicht wirklich verstehen: "Es gab ja überhaupt keine Verbindung zwischen Bosnien und Spanien. Aber das war eben ein romantischer Zugang von Österreich." Die Scharia-Schule, in der islamisches und zentraleuropäisches Recht gelehrt wurden, war die erste ihrer Art. Nur in Bulgarien gab es noch einen ähnlichen Versuch. Das Modell war offenbar erfolgreich, denn im Jahr 1903 empfahl man in Kairo, eine ähnliche Schule nach dem Vorbild Sarajevos zu errichten.

Während der Zeit der Okkupation durch die österreichisch-ungarische Monarchie bekamen die Glaubensgemeinschaften der Katholiken, Orthodoxen, Protestanten, Muslime und Juden in Bosnien-Herzegowina den Status von Körperschaften öffentlichen Rechts. Und Autoren, die sich mit dem Islam beschäftigten, wurden aufgefordert, in der Landessprache zu schreiben, nicht nur in Türkisch und Arabisch. Ein juristisches Werk wurde damals von zwei Autoren geschrieben, von einem österreichischen Juristen und einem Scharia-Richter, erzählt Karèić. Die Diskussionsthemen in der muslimischen Gemeinschaft vor hundert Jahren kommen einem auch bekannt vor. Ist eine nichtmuslimische Vorschrift zulässig? Ist es zulässig, als Muslim in der Armee zu dienen? Die Antwort lautete immer Ja, erzählt Karèić. Die Scharia-Schule existierte 50 Jahre und wurde in der Zeit des ersten Jugoslawien (1918-1941) zu einem Kolleg aufgewertet. Die Kommunisten schlossen die Schule 1946.

Nach dem Bosnienkrieg zahlte das Emirat Katar die Renovierung. Die beiden Innenhöfe wurden überdacht. Die Idee der Österreicher, offene Innenhöfe wie in Spanien zu haben, sei zwar hübsch, "aber in Sarajevo ist es einfach zu kalt für so was" , sagt Karèić. Sarajevo liegt in den Bergen, es ist um einiges kälter als etwa in Wien. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo/DER STANDARD, Printausgabe, 8.7.2011)