Timo Lange: "Man muss sich schon fragen - siehe Lebensmittelkennzeichnung - ob die Interessen der Industrieunternehmen nicht derzeit dominieren."

Foto: LobbyControl

Timo Lange ist für die deutsche LobbyControl tätig. Das Anliegen der Initiative ist es, die Einflussnahme von Lobbyisten in der Politik offenzulegen. Im derStandard.at-Interview - anlässlich der Absegnung der EU-Lebensmittelkennzeichnung - berichtet Lange etwa, dass die europäische Lebensmittelindustrie rund eine Milliarde Euro ausgegeben hat, um ihre eigene, freiwillige Regelung zur Lebensmittelkennzeichnung bei Politik und Verbrauchern zu bewerben. Eine beliebte Lobby-Strategie, wenn es darum geht gesetzliche Regelungen zu verhindern, so Lange. Außerdem: Was notwendig wäre, um den Lobby-Einfluss transparent zu machen, was die Affäre Strasser bewirkt hat und wie Österreich diesbezüglich einzuschätzen ist.

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derStandard.at: Rund um die EU-Regeln für die Lebensmittelkennzeichnung gab es einige für den Konsumenten recht plausible Ideen - Stichwort Ampelkennzeichnung -, aus denen nichts geworden ist. Haben die Verbraucher genug Lobbys?

Timo Lange: Da stellt sich die Frage, was gute Lobbys sind. Breit gestreute Interessen, wie die von Verbrauchern, sind natürlich schwerer zu organisieren als die gezielten Interessen einzelner Konzerne. Verbraucherinteressen sind bei uns in Deutschland über die Verbraucherzentralen organisiert und es gibt einzelne kritische Organisationen wie FoodWatch. Dabei muss man schauen, wieviel Geld jeweils dahinter steckt. Im Vergleich zu dem Budget, das der Agrar- und Lebensmittelindustrie für Interessensvertretung zur Verfügung steht, ist das auf Verbraucherseite wenig. Das ist bereits ein guter Indikator dafür, dass ein Kräfteungleichgewicht zwischen Verbraucherinteressen und Wirtschaftsinteressen herrscht.

derStandard.at: Wie äußert sich das konkret?

Lange: Durch größere finanzielle Ressourcen kann gerade auf EU-Ebene effektiver Einfluss genommen werden. Man kann ein eigenes Büro in Brüssel einrichten, dort hochqualifizierte Mitarbeiter beschäftigen, die gezielt Lobbyarbeit betreiben. Das ist im Verbraucherbereich schwieriger.

derStandard.at: Wie darf man sich die Größenverhältnisse vorstellen?

Lange: In diesem Bereich ist es ganz allgemein nicht transparent, wer wieviel wofür ausgibt. Es gibt zwar in Brüssel mittlerweile ein freiwilliges Lobbyregister, aber wie der Name schon sagt: Es ist eben freiwillig. Dazu kommt, dass auch in den einzelnen Mitgliedstaaten Druck auf die Regierungen ausgeübt wird, über den Rat in Brüssel Entscheidungen zu beeinflussen oder zu blockieren. Und in den einzelnen Mitgliedstaaten gibt es sehr unterschiedliche Voraussetzungen was die Offenlegung von Lobbying-Ausgaben betrifft.

derStandard.at: Österreich hat ja gerade ein verpflichtendes Lobbying-Register auf den Weg gebracht.

Lange: Österreich spielt damit tatsächlich derzeit eine Vorreiterrolle in Europa. Wenn das letztlich so umgesetzt wird, wäre es eine gute Voraussetzung, um mehr Transparenz zu schaffen. In anderen Bereichen besteht in Österreich jedoch Nachholbedarf, zum Beispiel was die Offenlegung von Abgeordneten-Nebeneinkünften angeht.

derStandard.at: Alle Interessensgruppen betreiben Lobbying, NGOs wie Greenpeace ebenso wie Wirtschaftsverbände. Wann werden Grenzen überschritten?

Lange: Lobbyismus, soweit er nicht die Grenze zur strafrechtlich verfolgten Korruption überschreitet, ist erst einmal legal. Dennoch gibt es Methoden, die unethisch sind und der Demokratie schaden, etwa, wenn Politiker direkt aus ihrem Amt in eine Lobbytätigkeit wechseln oder auch wenn Lobbyakteure unter falscher Flagge segeln und nicht zu erkennen geben, wessen Interessen sie verfolgen, um die Öffentlichkeit zu täuschen. Ein zentrales Problem sind aber nicht nur solche Methoden, sondern auch die enormen Macht- und Ressourcenunterschiede, die es gänzlich ungleich machen, wer sich in der Politik Gehör verschaffen kann und wer nicht. Da sind große Unternehmen oder Wirtschaftsverbände klar im Vorteil gegenüber zum Beispiel allein erziehenden Eltern oder Arbeitslosen. Es ist eben nicht einfach das beste Argument, was sich in der Politik durchsetzt.

derStandard.at: Heißt das, dass wir von der Wirtschaftslobby regiert werden?

Lange: So weit würde ich nicht gehen. Die Öffentlichkeit hat die Möglichkeit durch Proteste und die mediale Öffentlichkeit Einfluss zu nehmen. Allerdings muss man sich schon fragen - siehe Lebensmittelkennzeichnung - ob die Interessen der Industrieunternehmen nicht derzeit dominieren. Die europäische Lebensmittelindustrie hat etwa rund eine Milliarde Euro ausgegeben, um ihre eigene, freiwillige Regelung zur Lebensmittelkennzeichnung bei Politik und Verbrauchern zu bewerben. Das ist eine beliebte Lobby-Strategie, wenn es darum geht gesetzliche Regelungen zu verhindern: Lieber eine eigene Regelung nach den eigenen
Maßstäben aufsetzen als sich den Vorgaben der Politik beugen.

derStandard.at: Sie haben sich die Lebensmittelbranche genauer angeschaut. Worauf sind Sie gestoßen?

Lange: Auf europäischer Ebene gibt es die European Food Safety Authority (EFSA, Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde). Die EFSA ist ein gutes Beispiel dafür, wie Wirtschaftslobbys zum Teil eng mit Aufsichtsbehörden verflochten sind. Die Expertengruppen, die dort Lebensmittel kontrollieren sollen,verfügen zum Teil über Verbindungen in die Lebensmittelindustrie. Hier ist das Potenzial für Interessenskonflikte gegeben und die Unabhängigkeit der Kontrolle offensichtlich gefährdet. Matthias Horst ist zum Beispiel Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie (BVE) und sitzt zugleich im Verwaltungsrat der EFSA, der u.a. die Wissenschaftler für die jeweiligen Expertengruppen auswählt. Da haben wir also einen Lobbyisten, der die eigene Branche kontrollieren soll.

derStandard.at: Ist das ein Einzelfall?

Lange: In dieser Behörde nicht. Wir haben z.B. Verflechtungen zum International Life Science Institute festgestellt. Dieses Institut publiziert angeblich unabhängige Studien im Interesse der öffentlichen Gesundheit. Geldgeber sind jedoch die großen Unternehmen der Chemie-, Pharma- und Lebensmittelbranche.

derStandard.at: Ein österreichischer EU-Parlamentarier hätte sich ja offenbar ganz gerne bezahlen lassen für seine in Aussicht gestellte Leistung.

Lange: Das war ein handfester Skandal und hat in Brüssel für große Diskussionen gesorgt. Das zeigt, dass es manchmal einen Skandal braucht, um Bewegung in die Sache zu bringen. Im Brüsseler Parlament wurde als Reaktion auf den Skandal ein neuer Verhaltenskodex für EU-Abgeordnete erarbeitet und in Österreich innerhalb weniger Monate ein Lobbyregister beschlossen. Kleine, aber wichtige Schritte.

derStandard.at: Was können Sie als Organisation bewegen?

Lange: Es gibt immer wieder Erfolge. Hier in Deutschland haben wir uns zum Beispiel dafür eingesetzt, die Praxis der externen Mitarbeitenden in Ministerien zu beenden. Das war ein System, das unter der damaligen rot-grünen Regierung eingesetzt wurde. Es hat dazu geführt, dass Angestellte von großen Unternehmen einen eigenen Schreibtisch in Ministerien hatten - teilweise in leitender Funktion. Die Deutsche Börse AG hatte zum Beispiel einen Mitarbeiter im Finanzministerium und BASF jemanden im Wirtschaftsministerium. Auf unseren Druck hin wurde eine neue Verwaltungsvorschrift erlassen, die diese Praxis eingeschränkt hat. Auch dass die Debatte um mehr Transparenz durch ein Lobbyregister sowohl in Brüssel als auch in Berlin geführt wird, ist ein Verdienst unserer kontinuierlichen Arbeit dazu. (Regina Bruckner, derStandard.at, 7.7.2011)