Drei Studenten initiierten 2006 die "Plages Electroniques" in Cannes.

Foto: Standard/Schreiber

Mittlerweile verzeichnet das Festival rund 9000 Besucher.

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Cannes - Der berühmte Ort an der französischen Côte d'Azur. Die Heimat der Reichen und Schönen, die berühmte Filmstadt, die "Goldene Palme", die legendäre "rote Treppe": Nicht einmal hundert Meter vom Palais des Festivals entfernt liegt ein Strand, der seit 2006 jeden Sommer fünfmal zu einem riesigen Dancefloor umgerüstet wird, denn die "Plages Electroniques" bringen elektronische Musik dorthin, wo sie die Partyjugend haben will.

4.50 Uhr, Plage du Palais des Festivals: Nico Castiglia, der "Régisseur général" und "Verantwortliche für alles, auch für die übriggebliebenen Melonen", wie er sich selbst bezeichnet, trifft am Strand ein. Der Bühnenaufbau, der bis 17 Uhr beendet und bis 5 Uhr früh am nächsten Tag wieder weg sein muss, beginnt. Auf- und Abbau der gesamten Infrastruktur in 24 Stunden - ein Zeitplan, der von kaum einem Festival der Welt realisiert wird. "Es ist verrückt, aber wir machen es." Und sie machen es anscheinend nicht schlecht, denn Woche für Woche wird der Strand von einer tanzwütigen Masse gefüllt, auf der Suche nach elektronischen Beats, guter Stimmung oder auch nur einem erfrischenden Bad im Meer. 9000 Gäste sollten es an diesem Abend werden. Etwas Vergleichbares findet man sonst nur in Rio, Brighton oder Barcelona.

Diese Idee, den Strand in eine Partyzone zu verwandeln, griffen drei elektronikbegeisterte Jugendliche auf, die heute noch das Kernteam der "Plages Electroniques" bilden. Gaby de Villoutreys, Ben Geli und David Bartoli. Was als Studentenidee begann, ist zu einem Fixpunkt des Sommers in Cannes geworden. Wo 2006 noch hauptsächlich lokale und nationale Djs auf dem Programm standen, sind heute auch internationale Stars zu hören.

Alles muss schnell gehen. Jeder weiß, was er zu tun hat, der Kran steht nie still. Fast minütlich kommen Lastwagen an, Absperrungen werden aufgestellt, und die Bühne wächst bis zu einer Höhe von 20 Metern an. Nebenbei füllt sich der Strand mit Touristen. Doch was für die bräunungswilligen Strandbesucher das gefundene Glück darstellt, ist für die Arbeiter eine Qual. Denn mittlerweile ist es Mittag. Die Bühne ist schon erkennbar, die Sonne brennt. Zum Glück baumelt im Organisatorenzelt eine Sonnencreme "Faktor 50+" zur freien Verfügung von der Decke herab. Schnell auf den Rücken sprühen, verteilen, und weiter geht's. Pause gibt's nur zu Mittag eine Stunde. Ständig muss irgendein anderes Teil der Bühne auf den Strand gehievt werden, neue Metallverstrebungen werden festgeschraubt, an drei Stellen wird gleichzeitig gehämmert. Sobald die ersten Trägerkonstruktionen stehen, werden Licht- und Tontechnik installiert - vom großen Bildschirm, auf dem später Videosequenzen laufen sollen, ganz zu schweigen. Auch die Regie wird in der Zwischenzeit in den Sand verfrachtet. Auf dem "Festland" aufgebaut, schwebt sie, vom Kran getragen, mitten auf den Strand in ein vorher zu diesem Zweck abgesperrtes Quadrat; unter den ungläubig in die Luft gerichteten Blicken der Strandbesucher.

Um 14.50 verlässt uns der Kran. Jetzt wird er nicht mehr gebraucht. Die Bühne steht, letzte Lichtverkabelungen werden gemacht, die Tonanlage wird angeschlossen. Endlich. Um Punkt 16 Uhr ertönt erste Musik. Nicht lange und auch nicht laut. Aber immerhin. Die Anlage muss erst noch getestet werden.

Der Einlass rückt näher. Normalerweise um 18.30, verzögert er sich diesmal, denn der Soundcheck dauert zu lange. Der gefeierte japanische DJ Kentaro nimmt viel Zeit in Anspruch. Für ihn muss alles perfekt sein, die Plattenspieler müssen vollkommen gerade stehen. Man hat es nicht leicht mit internationalen Stars. Doch dann, um 18.45 Uhr, fällt der Startschuss zu einem Elektronikfestival, das vor fünf Jahren noch als kleine Strandparty begonnen hat, mit einer Bühne, bestehend aus ein paar Holzplatten, mit nicht mehr als 400 Teilnehmern.

Ein simples Rezept

Doch das Konzept fand Anklang, jährlich kamen mehr Zuschauer, die Bühne wuchs, gemeinsam mit den Bars und der Sicherheitsmannschaft. 800 Prozent Besucherzuwachs konnten die "Plages" seit ihrem ersten Abend verzeichnen. Ein Erfolg, wie es ihn nur selten gibt. Das Rezept ist simpel: gute Stimmung, aktuelle Musik, eine tolle Show und vor allem moderate Preise. Gestiegene Besucherzahlen, gestiegene Kosten, aber stagnierende oder ausbleibende Sponsorgelder und Förderungen. Auch hier spürt man die Wirtschaftskrise. Acht Euro kostet der Eintritt, vier Euro eine Dose Bier, ein Euro das Glas Mineralwasser. Verglichen zu anderen Festivals ein moderates Niveau.

Die "Plages" haben es sich zur Aufgabe gemacht, das gesamte Spektrum der elektronischen Musik in Form von fünf Themenabenden einer breiten Masse zugänglich zu machen. Es geht um das "Demokratisieren von elektronischer Musik" und nicht zuletzt um einen netten Abend unter Freunden, tanzend unter dem Sternenhimmel, mit den Füßen im Wasser und guter Musik in den Ohren. Der Abend verläuft ruhig.

"Jetzt ist alles cool. Außer irgendein Blödsinn passiert", meint ein Tontechniker. Nicht so an der Bar, die, zusammen mit der Garderobe, dem nicht technischen Aufbau und der Mülltrennung von insgesamt 150 Freiwilligen betreut wird. Auch ein Beitrag dazu, die Preise so niedrig zu halten. "Ohne sie wären wir nichts."

0.30, die Party ist aus. Noch während auf der Bühne die letzten Worte gesprochen werden, beginnen Techniker in Windeseile Kabel abzustecken. "Die Motivation ist, dass wir alle nach Hause wollen", gibt einer der Arbeiter lachend zu. Außerdem muss der Strand bis sechs Uhr wieder frei und öffentlich zugänglich sein. Die Bilanz des Abends? "Alles in Ordnung. Es hat sich gut gefüllt." Und auch dieses Mal werden 50 Prozent des Gewinns an karitative Einrichtungen gespendet. Die Organisatoren sind zufrieden. "Hast du alles gesagt oder muss ich noch?", fragt Ben seinen Kollegen David vor der Kamera eines französischen TV-Senders. "Nein", meint David. "Sag einfach, dass wir genial sind, und es passt." (Yann Schreiber, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6.7.2011)