Wien - Hausbesitzer würden meist wenig freundlich reagieren, wenn sie erführen, dass ein Mieter am Rand der Armut steht, weiß der Sozialexperte Martin Schenk: "Da kommen dann alle möglichen Fragen hoch: Ist er oder sie beim Zahlen noch zuverlässig? Sollte ich nicht versuchen, ihn oder sie aus der Wohnung herauszubekommen?", zählt der Sprecher des Zusammenschlusses sozialer Organisationen gegen Armut, der Armutskonferenz, auf.

Für den Betreffenden als Mieter besonders imageschädigend sei eine solche Information, wenn sie direkt von der Behörde stamme, meint Schenk. So, wie es inzwischen in Österreich geübte Praxis ist: Überall dort, wo die "bedarfsorientierte Mindestsicherung" (siehe "Wissen" unten) ausbezahlt wird, also inzwischen in allen Bundesländern - abgesehen von Oberösterreich.

Freizügiger Umgang mit Daten

Tatsächlich hat diese Sozialleistung des österreichischen Staates, die seit September 2010 bundesweit die Sozialhilfen der Länder ersetzt, für Bezieher nicht nur Verbesserungen zur Folge. Den etwas höheren Geldleistungen steht ein sehr freizügiger Umgang der Sozialbehörden mit den Daten der Klienten entgegen. "Die bedarfsorientierte Mindestsicherung widerspricht dem Datenschutzgesetz und der EU-Datenschutzrichtlinie", sagt der Experte Hans Zeger. Vom Grundrechtsprinzip, nur wirklich notwendige Daten weiterzugeben, werde vielfach abgegangen.

So etwa in Wien, wo der Vermieter nur eine von 15 Stellen ist, von der die zuständige MA 40 Daten bezieht - und an die sie solche weitergibt. Neben Arbeits- und Finanzamt, Krankenkasse, Pensions- und Sozialversicherung, Finanz-, Verkehrs- und Gewerbeamt, Grundbuch, der für Wohnbeihilfe zuständigen MA 50 und Wien Energie, erfahren auch die Fremdenpolizei und -behörde sowie der Dienstgeber von dem Umstand, dass ein Bürger bedarfsorientierte Mindestsicherung bezieht.

Gründliches Lesen empfohlen

Es sei denn, die oder der Bedürftige hat beim Ausfüllen des Antragsformulars auf das unten Gedruckte auf Seite vier geachtet, wo eine "Zustimmungserklärung" zu unterzeichnen ist. Diese könne man "jederzeit ohne Angabe von Gründen widerrufen" - oder gleich verweigern -, steht dort. Die erforderlichen Unterlagen müsse man dann eben selbst vorlegen. "Das ist ein Versuch, sich rechtlich abzusichern, aber höchst unsauber" , kommentiert Zeger diesen Passus. Zumal viele Antragsteller "in ihrer misslichen Lage an eine solche Verweigerung gar nicht denken" , ergänzt Sozialexperte Schenk.

Dem widerspricht Eva Schantl-Wurz, Juristin bei der MA 40. Wer in Wien Mindestsicherung beantrage, werde "breitest beraten" , sagt sie. Außerdem: "Die Zustimmungserklärung wird von uns nur verwendet, wenn es unbedingt notwendig ist" . Etwa, um "Mietrückstände, von denen wir vom Klienten nichts erfahren haben, zu überweisen" .

Schenk überzeugt das nicht "Bis Herbst evaluieren wir die Lage. Für die Zeit danach planen wir mehrere Höchstgerichtsbeschwerden - auch, wenn das im Sozialbereich bisher eher unüblich war." (Irene Brickner/DER STANDARD-Printausgabe, 6.7.2011)