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Bengasi, 25. Februar 2011: Rebellen präsentieren angebliche Söldner. Mittlerweile wurden fast alle wieder freigelassen.

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Donatella Rovera über Gaddafis angebliche Viagra-Massenbestellung: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass das irgendjemand geglaubt hat."

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Ausgebrannter Panzer vor Bengasi: aus einem Wrack wie diesem wollen die Rebellen intakte Viagra-Packungen geborgen haben

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Es gibt kaum zuverlässige Angaben über die Ereignisse in den von Rebellen kontrollierten Regionen Libyens. Amnesty-Krisenbeauftragte Donatella Rovera ermittelte drei Monate vor Ort und erzählte Berthold Eder, was sie in Libyen erlebt hat.

derStandard.at: Wie lange waren Sie in Libyen und welche Regionen haben Sie bereist?

Donatella Rovera: Ich war über drei Monate dort und habe Misrata, Bengasi, Ajdabiya und Ras Lanouf besucht, also nur von Rebellen kontrollierte Gebiete.

derStandard.at: Warum?

Rovera: Es ist für Menschenrechtsorganisationen sehr schwer, nach Libyen einzureisen. Amnesty erhielt in den vergangenen zehn Jahren nur zweimal eine Genehmigung, zuletzt 2009. Auch im Land ist es unmöglich, sich frei zu bewegen, Kollegen wurden damals am Flughafen Tripolis daran gehindert, ein Flugzeug nach Bengasi zu besteigen. Eine UNO-Kommission unter Leitung Sherif Bassiunis konnte allerdings einreisen, ihr Bericht ist öffentlich zugänglich (derStandard.at berichtete, Anm.)

derStandard.at: Italiens Außenminister Franco Frattini gab am 19. April an, dass bis dahin im libyschen Bürgerkrieg 10.000 Menschen ums Leben gekommen und 55.000 verletzt worden seien. Können Sie diese Zahlen bestätigen?

Rovera: Nein, das kann derzeit niemand überprüfen, befürchte ich. Man muss dabei allerdings zwischen den Todesopfern der ersten Tage, als auf Demonstrationen geschossen wurde, und getöteten Kämpfern unterscheiden. In Ostlibyen habe ich einige Angaben von Spitälern erhalten, denen zufolge bei den Protesten bis zu 180 Personen getötet wurden. Bei den darauf folgenden Kampfhandlungen kamen viel mehr Menschen ums Leben, hier geht die Opferzahl in die Hunderte.

In Misrata kamen zum Beispiel ca. 1.000 Menschen ums Leben, zum Großteil Kämpfer. Es starben aber auch Zivilisten, weil Gaddafi Wohngegenden mit Grad-Raketen beschießen lässt und Familien, die im Auto aus der Konfliktzone fliehen wollten, unter Beschuss gerieten. Ende April, als ich in Misrata war, schlugen über hundert Raketen am Tag in der Stadt ein. Genaue Zahlenangaben sind aber unmöglich, weil niemand in den Landesteilen ermitteln kann, die unter Kontrolle der Gaddafi-Truppen stehen. In den von der Opposition kontrollierten Regionen kamen meinen Informationen zufolge bis zu 2.000 Menschen ums Leben.

derStandard.at: Können Sie Berichte bestätigen, denen zufolge Gaddafi afrikanische Söldner einsetzt?

Rovera: Nein. Wir haben das genau untersucht und keine Beweise gefunden. Die Opposition hat überall diese Gerüchte verbreitet, was für afrikanische Gastarbeiter schlimme Auswirkungen hatte: es fand eine regelrechte Jagd auf Migranten statt, manche wurden sogar gelyncht, viele festgenommen. Mittlerweile gibt aber sogar die Opposition zu, dass das keine Söldner waren, fast alle wurden freigelassen und sind in ihre Heimatländer zurückgekehrt, weil die Ermittlungen gegen sie nichts zutage brachten.

Acht oder neun mutmaßliche Söldner sind noch inhaftiert, ich gehe aber davon aus, dass auch sie Arbeitsmigranten sind. Die Afrikaner, die in Libyen auf Baustellen, der Landwirtschaft oder Fabriken arbeiten, waren schon vor Beginn des Konflikts Rassismus und Ausländerfeindlichkeit ausgesetzt, aber diese Gerüchte haben ihre Situation noch weiter verschlechtert.

derStandard.at: Sie erwähnen Ermittlungen gegen die angeblichen Söldner. Wie funktioniert das Justizsystem in den Rebellengebieten? Wurden bestehende Strukturen übernommen?

Rovera: Es gibt kein Justizsystem, das man als solches bezeichnen könnte, alles ist paralysiert. Leute werden willkürlich festgenommen, freigelassen wurden die Afrikaner erst, als sich Arbeitgeber und Vermieter meldeten, die aussagten, dass sie schon vor Ausbruch des Konflikts in Libyen waren.

derStandard.at: Was können Sie zu den Vorwürfen Hillary Clintons und Luis Moreno-Ocampos, Gaddafi habe persönlich Massenvergewaltigungen angeordnet, sagen?

Rovera: Wir wissen leider nicht, was Oberst Gaddafi befohlen oder nicht befohlen hat. Bei unseren Ermittlungen vor Ort konnten wir allerdings weder in Ostlibyen noch in Misrata Hinweise auf Vergewaltigungen finden, wir haben kein einziges Opfer gefunden. Viele Leute sprechen darüber, aber wir und auch andere Menschenrechtsorganisationen und die Ermittlungskommission der UNO konnten diese Vorwürfe nicht bestätigen. Für andere Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen Oberst Gaddafis gibt es allerdings genug Beweise: er lässt Wohngegenden mit Raketen beschießen, verwendet verbotene Streubomben und Anti-Personen-Minen und ordnet an, Demonstranten und flüchtende Zivilisten unter Feuer zu nehmen.

derStandard.at: Haben Sie bei Ihren Ermittlungen herausgefunden, woher diese Vorwürfe stammen?

Rovera: Das war einerseits der Nationale Übergangsrat, andererseits kamen die Vorwürfe von einer libyschen Ärztin. Ich habe allerdings niemanden getroffen, der mir genaue Angaben zu Vergewaltigungsopfern machen könnte. Die Gerüchte sind allerdings allgegenwärtig.

derStandard.at: Angeblich soll Gaddafi ja sogar Viagra-Tabletten an seine Soldaten verteilen lassen …

Rovera: Das hat aber nicht wirklich jemand ernstgenommen, oder? Am 21. März, nach den ersten Luftangriffen der Franzosen auf Gaddafi-Truppen vor Bengasi, präsentierte uns ein junger Mann, der im Medienzentrum arbeitete, mehrere Schachteln des Potenzmittels. Er behauptete, diese in zerstörten Panzern gefunden zu haben. Die Fahrzeuge waren komplett ausgebrannt, die Verpackungen sahen aber aus wie neu. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihm das irgendjemand geglaubt hat.

derStandard.at: Leider waren Sie nicht in Tripolis. Könnten Sie trotzdem eine Einschätzung abgeben, ob Gaddafi in der Hauptstadt noch viele Anhänger hat?

Rovera: Ich habe mit vielen Journalisten gesprochen, die in Tripolis stationiert sind, aber auch für diese ist es schwer, sich ein unabhängiges Bild zu machen, weil ihre Bewegungsfreiheit drastisch eingeschränkt ist. Manchmal schaffen sie es, ihren Bewachern zu entkommen und mit Leuten auf der Straße zu reden, aber genauere Studien zur Meinungslage gibt es leider nicht. (derStandard.at, 6.7.2011)