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Kämpfer in der Demokratischen Republik Kongo. Vier ICC-Verfahren gibt es dazu, das erste soll heuer abgeschlossen werden.

Foto: AP/Blackwell

Doch die Staatengemeinschaft macht es ihm nicht leicht, seine Rolle zu finden.

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Jean-Pierre Bemba wäre heute Präsident, wenn seine Geschichte ein wenig anders verlaufen wäre. Nun sitzt der frühere Vizepräsident des Kongo in Gerichtssaal II in Den Haag. Ein schmaler Raum ohne Fenster, helles Holz, Neonlicht, graues Glas an der Wand, Taschentücher auf dem Tisch für die Zeugen. Vor Bemba seine Anwälte, neben ihm ein Sicherheitsmann, schräg gegenüber drei Richterinnen. Sie sollen entscheiden, ob er vor acht Jahren seinen Kämpfern massenhafte Morde im Nachbarland Zentralafrika befohlen hat.

Per Video ist ein Zeuge zugeschaltet. Er spricht Französisch, die Richterin Englisch. Weil alles übersetzt werden muss, entstehen lange Pausen. Bemba hat seine Brille aufgesetzt, schaut in die Unterlagen, die vor ihm in einer violetten Mappe liegen. Die Anklage stellt dem Zeugen Fragen. "Oui" , sagt der Mann auf dem Bildschirm. Pause. "Ja."

Sachlich ist die Atmosphäre in diesem Gerichtssaal des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC), ein Kontrast zu all dem Grauen, von dem die Zeugen erzählen. Von zigfach vergewaltigten Frauen, zu Tode gefolterten Männern und Kindersoldaten, die zum Morden gezwungen werden.

Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord - das sind die Tatbestände, die hier verhandelt werden. Und weil der ICC der erste ständige Gerichtshof ist, der diese weltweit schlimmsten Verbrechen ahndet, bedeutet er eine so große Hoffnung für alle, die sich eine Welt voller Gerechtigkeit wünschen. Eine hohe Erwartung.

13 Verfahren hat das Gericht bisher eröffnet mit insgesamt 25 Beschuldigten. Der Fall Bemba ist einer von vier im Hauptverfahren. Der Prozess gegen den kongolesischen Rebellenführer Thomas Lubanga soll, nach vielen Unstimmigkeiten, heuer abgeschlossen werden. Es wäre der erste. Zu wenig für ein Gericht, das seit 2003 arbeitet, sagen Kritiker. Nicht schlecht für eine Institution, die bei jedem Schritt Neuland betritt, sagen Befürworter.

Einer der größten Fälle ist wenige Tage alt: Vor einer Woche erließ das Gericht Haftbefehle gegen Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi, Sohn Saif al-Islam und Geheimdienstchef Abdullah al-Senussi wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

"Libyen kann eine große Chance für das Gericht sein" , sagt Cuno Tarfusser, früher Bozener Oberstaatsanwalt und nun Richter am ICC. "Wenn die Haftbefehle umgesetzt werden, würde das die Legitimation des ICC erhöhen - und die Staatengemeinschaft dem Ziel, dadurch Frieden und Gerechtigkeit zu schaffen, einen großen Schritt näher kommen."

Noch nie war sich die Staatengemeinschaft so einig. Der Sicherheitsrat überwies den Fall einstimmig. Die Veto-Mächte USA, Russland, China, die dem ICC nicht angehören, stimmten zu.

Wie schwer sich das Gericht gerade mit Verhaftungen der prominentesten Angeklagten tut, zeigt der Fall des sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir.

Der ICC hat keine eigene Polizei, die Mitgliedstaaten müssen die Haftbefehle umsetzen. Doch daran haben sich nicht immer alle gehalten. Bashir bereiste die ICC-Staaten Tschad, Kenia und Djibouti - ohne Konsequenzen. In anderen Fällen konnte nur starker politischer Druck einen Besuch verhindern. Die Versammlung der Vertragsstaaten, kurz ASP, diskutiert nun, wie man die Länder dazu bringen kann, die Kooperationspflicht einzuhalten.

Geduldsprobe

"In der internationalen Strafgerichtsbarkeit können Haftbefehle nicht mit derselben Effizienz umgesetzt werden wie in nationalen Systemen" , sagt Claus Kreß, Professor für Völkerstrafrecht an der Uni Köln. "Hier muss man Geduld aufbringen." Die kann sich lohnen: Der bosnisch-serbische Ex-General Ratko Mladić wurde erst nach 16 Jahren verhaftet (s. links).

Für Libyen hat die Afrikanische Union (AU) einen neuen Friedensplan angekündigt. Zwar ohne Gaddafi an den Verhandlungstisch zu laden - aber die Aussicht auf eine politische Lösung hat wieder ein Dilemma offenbart, mit dem der Gerichtshof seit jeher kämpft: Frieden versus Gerechtigkeit. Was, wenn ein Kriegsherr zum Frieden bereit ist - aber nur, wenn der Haftbefehl aufgehoben wird?

Das Rom-Statut sieht vor, dass der Sicherheitsrat einen Haftbefehl aussetzen kann - für ein Jahr. Das fordert die AU nun für Libyen. Der Haftbefehl, hieß es am Wochenende, behindere eine Verhandlungslösung. Obwohl 31 afrikanische Staaten ICC-Mitglieder sind.

Überhaupt hat dem Gericht viel Kritik gebracht, dass es bisher nur afrikanische Fälle behandelt. Neben Zentralafrika, Kongo, Sudan und Libyen sind das Uganda und Kenia. Ermittlungen in Côte d'Ivoire hat Chefankläger Luis Moreno Ocampo beantragt. Der ICC sei politisch voreingenommen, lautet der Vorwurf. Moreno Ocampo entgegnet, dass die grausamsten Verbrechen nun einmal in Afrika passiert seien. Uganda und Kongo hätten das Gericht zudem selbst beauftragt. Die AU fordert, dass der neue Chefankläger aus Afrika kommen soll, wenn im Dezember Moreno Ocampos Nachfolger gewählt wird.

116 Staaten sind dem Gericht bisher beigetreten, zuletzt Tunesien. "Ein Durchbruch" , sagt ASP-Präsident Christian Wenaweser, Uno-Botschafter Liechtensteins in New York. Nordafrika war im Gericht bisher nicht vertreten. Auch aus Ägypten kommen nun positive Signale. (Julia Raabe aus Den Haag /DER STANDARD, Printausgabe, 4.7.2011)