Immer wieder trifft man in Los Angeles, New York, Budapest und London Menschen, die im Ausseerland kürzere oder längere Zeit verbracht haben. Viele der Älteren wie Friedrich Torberg gehörten zu den Überlebenden und Vertriebenen oder zu ihren Kindern, die trotz allem immer wieder zurückkehrten. Und die meisten dieser Künstler, Maler oder Psychiater konnte man stets im Haus von Barbara Frischmuth in Altaussee bei einem ausgezeichneten von ihr gekochten Abendessen kennenlernen. Niemand hat so viel getan wie diese zierliche Tochter eines angesehenen und im Krieg gefallenen Hoteliers, um die Erinnerung an die "Alpenfestung" und Adolf Eichmann verblassen zu lassen. Nicht nur durch ihre erfolgreichen und in viele Sprachen übersetzten Bücher, sondern durch ihre persönliche Haltung und durch ihre auf zahlreichen Auslandsreisen geknüpften Kontakte.

Sie ist mehr als eine begabte und unermüdliche Schriftstellerin, deren Schaffen zu ihrem runden Geburtstag allgemein und zu Recht gewürdigt wird. Frischmuth ist für mich das Symbol jenes "innerlich großräumigen, selbstkritischen, freimütigen, weltoffenen, europaoffenen Österreich-Bewusstseins", von dem Friedrich Heer , der große Humanist, träumte. Barbara ist im Grunde eine solitäre Erscheinung: Ihr Sohn lebt in Wien, und ihr Ehemann praktiziert in München als Psychiater und Neurologe.

Kosmopolitische Auseerin

Gleichzeitig ist sie aber der Mittelpunkt eines weit über die Grenzen hinausreichenden Netzwerkes Frischmuth'scher Prägung. Die regelmäßigen Medienberichte über ihre Buchvorstellungen, ihren wunderschönen Garten und über das von ihr erfundene und geleitete Literaturmuseum, ihre Vorlesungen und Vorträge im Ausland sorgen dafür, dass Altaussee nicht mit Altnazis oder mit einer Schickeria, sondern mit Barbara Frischmuth, mit ihrer gezielten Förderung junger Talente, mit ihrem Kampf um die Gleichberechtigung der Frauen im In- und Ausland und mit ihrem mutigen Auftreten für Toleranz und Menschenrechte, gegen Fremdenhass identifiziert wird. In diesem zauberhaften kleinen Dorf aufgewachsen und seit 1999 wieder ständig in Altaussee, setzt sie auch die Tradition Hugo von Hofmannsthals fort, der vom Ort der Einsamkeit schrieb: "... wo ich von allen Orten am liebsten bin, am meisten ich selber bin."

Sie ist, glaube ich, die einzige Vertreterin der deutschsprachigen Literatur, die Ungarn und die Türkei nicht nur gut kennt, sondern diese beiden für die Österreicher "exotischen" Sprachen ausgezeichnet beherrscht. Wir Wahlausseer, die (zeitweiligen) "Gefangenen" dieses zauberhaften Talkessels lieben sie. Ich bin froh, dass meine Ausseer Lebensgeschichte seit vielen Jahren mit der Person dieser außergewöhnlichen "echten"und zugleich kosmopolitischen Ausseerin verflochten ist. (Paul Lendvai, DER STANDARD/Printausgabe, ALBUM, 2./3. Juli 2011)