Vorsicht, dieser Mann würde im Ernstfall auch "du hirnloser Fischverunstalter!" zu Ihnen sagen: Autor und Witzzeichner Tex Rubinowitz.

Foto: Heribert Corn

Beleidigungen entstehen im Ohr des Empfängers, nicht im Mund des Senders. Nur haben wir ein so großes Reservoir an Buchstaben, aus denen man gigantisch viele Worte, ja ganze Sätze bilden kann, um jemanden anderen fertigzumachen, zu demütigen und erniedrigen, dass es oft verwundert, warum die meisten Menschen zu diesem Behuf immer nur auf ein kleines Repertoire an Beflegelungen zurückgreifen, die schon so stumpf sind, dass ihre Wirkung eine minimale ist, wie eine Kanone, die mit Wattekugeln auf Spatzen schießt, man fühlt sich einfach nicht mehr beleidigt mit dem simplen "Arschloch" oder nimmt es allenfalls als Spezialistenbeleidigung krumm, wenn man an Hämorrhoiden leidet.

Unflat wie "Der Schnauz deiner Mutter kratzt beim Küssen" hat nur dort eine Wirkung, wo tatsächlich Hirsutismus vorhanden ist. Die eigentliche Vokabel tritt letztlich in den Hintergrund zugunsten einer eruptiv hervorgepressten Verwünschung, die gleichermaßen das angespannte Zwerchfell und die gedrückte Seele des Beleidigers entspannt und mit der sie begleitenden Grimasse darauf hofft, jemanden zu treffen, zu verletzen und zu strafen.

Tabubruch entfällt inzwischen komplett, wo ein gepflegtes "Motherfucker" schon fast als neckische Begrüßung durchgehen kann, und diese alten Zuordnungen, dass katholische Schamgesellschaften fäkalisch fluchen und protestantische eher geschlechtlich, oder andersrum, und in muslimischen gar gerne Tiere vorkommen ("Dein Kamel stinkt aus seinem dummen Maul"), sind letztlich so egal, wie besonders raffiniert gebaute Verfluchungskonstrukte ihre Wirkung komplett verfehlen, weil sie eher wie kleine Poesien wirken ("Wenn deine Tante Hoden hätte, wäre sie mein Onkel") und nicht wie der glossolalische Peitschenknall, der sie sein sollen.

Problematisch wird's auch, wenn die Beschimpfung den Empfängerhorizont übersteigt oder er schnippisch zu kontern imstande ist: "Ich bin gar keine schlechtgefickte Brotspinne, ich weiß nicht mal, was das überhaupt sein soll, du Eimer!" Das Schlimmste, was dann passiert, ist, dass der Empfänger lacht und in der Folge auch noch den Sender anzustecken vermag und alle Wut verpufft wie der Kartoffelbovist, auf den man eben getreten ist, das wäre eine vernünftige Konfliktbewältigung, aber nicht im Sinne einer gepflegten Streitkultur.

Es muss also etwas zum Gegenstand der Beleidigung gemacht werden, dem sich keiner entziehen kann. Was kann das sein? Was ist so grausam, allumfassend und treffend, dass es wirklich jeden platt, mundtot, komplett fertig macht? Ganz einfache Formel: Ein Mangel an Originalität und Ureigentlichkeit. Es muss so impulsiv wie überraschend kommen, gängige Repertoires müssen vermieden werden, und nicht durch zu viel Abstraktheit oder Blumigkeit ins Spielerische zerfasern, dass der Fluch auf halbem Weg zum Ohr des Renitenzlings verreckt.

Bevor ich zu diesem allergrausamsten Wort komme, muss ich die Geschichte von Thomas Maurer erzählen. Der Kabarettist bekam, als er noch seine Kolumne für den Kurier schrieb, dann und wann Post von Lesern. Ein Herr (vermutlich, denn Frauen können ebenso wie sie schlecht werfen können, auch nur ganz schlecht schimpfen), beflegelte ihn mit Du Vollhormon! und erreichte dadurch nicht nur, dass Maurer aus diesem Brief vergnügt bei Lesungen rezitieren kann, sondern auch die Lacher auf seiner Seite hat, was daran liegt, dass sich der Briefautor in seiner Wut (gefährlich, macht oft betriebsblind) einfach zu viel vorgenommen hatte, das Präfix geht schon in Ordnung, "voll" ist schnell mal was, nur beim folgenden Hormon weiß man nicht recht, ob er jetzt vielleicht ein konzises Kofferwort für einen homosexuellen Kormoran meint oder doch wirklich etwas aus dem Bereich der biochemischen Botenstoffe, nur was genau? Hier hängt etwas im Raum, wie bestellt und nicht abgeholt bzw. etwas zur Neuinterpretation Freigegebenes, Herr Maurer, übernehmen Sie! Hätte der Autor das vergleichsweise schwungvollere Vollnazi verwendet, hätte er Maurer vermutlich ebenso wenig kränken können, hätte aber bei einem anderen Adressaten für mehr Impact gesorgt, z. B. bei Adolf Hitler.

Bevor ich nun zur Beleidigung to end all Beleidigungen komme, muss ich aber noch kurz die Geschichte von dem Künstler erzählen, der den Schuss nicht gehört hat, den sprichwörtlichen. Als mich vor zwei Jahren der Kunsthallendirektor Gerald Matt für seine Project Space genannte gläserne Garage am Karlsplatz in Wien bat, einen Text für das LED-Laufband beizusteuern, entschied ich mich, ohne Peter Handkes vermutlich sterbenslangweiligen Text Publikumsbeschimpfung zu kennen, für eine Verfluchung eines bestimmten Künstlers vor Publikum, ich werde seinen Namen nicht nennen, denn er gilt als eine sogenannte Ichpinzette, als jemand, der lediglich mit Spurenelementen an Humor ausgestattet ist, als äußerst klagefreudig gilt und obendrein bereits einen Namen hat, der wie eine eigene Verwünschung klingt.

Nun ist Direktor Matt mit diesem Künstler befreundet und legte ihm, um seine Freundschaft mit ihm nicht zu beschädigen, meine Injurien vor: ".. . du Gullisultan, ... ich piss dich nass und furz dich trocken, ... wenn ich dein Gesicht hätte, würde ich lachend in eine Kreissäge laufen". Der Künstler war nicht amüsiert, und drohte, wie erwartet, mit Klage. Nun versuchte ich eine andere Taktik, ich verfluchte mich selbst, und schob dazwischen immer eine Huldigung an ihn ein: "... ist ein feiner Mensch, ... ist ein ganz feiner Mensch, ... ist so ein feiner Mensch". Und auch das wurde dem Künstler vorgelegt, und wieder witterte er dahinter üble Absicht. So endete es damit, dass ich der Einfachheit halber den mir Asyl gebenden Direktor anpöbelte. "Gerald Matt ist ein hirnloser Fischverunstalter, Gerald Matt ist ein Steckdosenbefruchter, Gerald Matt, du madige Pausengeburt, Gerald Matt, ich zieh dir dein Rückgrat durch die Nase, dann kannst du deinen Arsch am Henkel tragen". Matt, zwar ein mit überbordender Eitelkeit ausgestatteter Dandydarsteller, hat dennoch auch Platz für Neckereien und genug gesunden Humor. Auch hier wäre eine etwaig beabsichtigte Beleidigung abgeperlt, wie es dies beim Künstler nicht getan hätte. Vielleicht kann man es Paranoia nennen, die Welt ist generell schlecht, niemand liebt mich, selbst der Spiegel wird, jedes Mal wenn ich hineinschaue, immer stumpfer, so als wolle selbst er mich beleidigen.

Und bevor ich endgültig das Geheimnis lüfte, wie denn nun das allereffizienteste Heimgeigen geht, muss ich kurz noch eine Geschichte erzählen, wie man sich durch Beleidigungen auch geehrt fühlen kann und wie Beleidigungen etwas wiedergutzumachen imstande sind.

Ich hatte eine Rechnung offen, mit jemandem, der etwas mir sehr Wertvolles einfach weggeschmissen hatte, worauf ich ihn öffentlich wüstens zusammenfalten musste, ich brauchte dieses Ventil, nur war das so heftig, dass später jedes Argument meinerseits, dass es sich dabei nur um lustvolle Sozialgeräusche handelte, nicht mehr standhielt, der Typ ist jetzt wirklich stinksauer, das ist purer Hass, ich war selbst über mich erstaunt, was für dunkle, destruktive Kräfte in mir schlummern, letztlich trafen all die Beleidigungen mich selbst, mein Toben und Keifen war am Ende nur Autodestruktion. Mein Adressat, sonst ein tapferer Mann, war trotzdem eingeschüchtert, Zweifel nagten an ihm, Schuld dräute, jemand der sich dermaßen zum Obst macht, dem ist es Ernst, der ist nachtragend. Und so kam er auf eine Idee.

Irgendwo hatte ich mal in seinem Beisein gesagt, dass ich Michael Hanekes Das weiße Band für einen schrecklich ermüdenden Film hielt, der nur will, dass wir uns schlecht fühlen sollen, weil so Böses geschieht. Und wir sollen dem, der es uns gnadenlos vorführt, für diese Züchtigung danken oder uns sogar schlecht fühlen, dass Haneke uns, weil wir schlecht sind, immer so furchtbare Geschichten erzählen muss.

Und daran erinnert sich nun mein Mann, der als Dramaturg an verschiedenen großen Theatern des deutschsprachigen Raums arbeitet. Er bat den Ausnahmemimen und Hauptdarsteller des Haneke-Films, Burghart Klaußner, mit dem er wohl gerade zu tun hatte, einen Zettel zu beschriften mit dem Text: "Tex Rubinowitz, Du dumme Sau, Burghart Klaußner, 31. 12. 10". Selten so ein schönes Geschenk bekommen, wann ward Schuld je auf so subtile Weise beiseite gewischt? Das Herz wurde mir weit, ich wurde milde, und wenn man dann noch bedenkt, dass Sau nur mit Du geht, Sie Sau immer schwächer ist, lächerlicher, Herr Klaußner aber trotzdem ein Mindestmaß an Contenance wahren wollte, und deshalb das Du höflich großgeschrieben hat, dann wird das Glück vollkommen.

Ach ja, der allereffizenteste Schimpf: Als ich neulich jemandem mal wieder besonders lästig war, meinte diese Person impulsiv: DU TERRORAFFE, und das ist sie, die allerpräziste Vokabel, sie beinhaltet alles, was man braucht, Doppelkonsonanten als Peitschenknaller, zwei Nervelemente, eines schlimmer als das andere, zusammen unerträglich, der Empfänger liegt winselnd im Staub.

Lahme Pointe, nicht wahr? Aber was soll ich tun? Es gibt sie leider nicht, die allergrausamste universelle Fluchformel, mit der man jemanden seelisch kastrieren kann, es kommt immer auf die handelnden Personen an, die Umstände, und darauf wird individuell reagiert, so es der Affekt überhaupt zulässt. Affektivität, dieser kurze Moment der Gefühllosigkeit, schließt Kreativität aus, und dann entsteht doch immer nur etwas wie "Sau", "Clown" und "Riesenrind". (Tex Rubinowitz, DER STANDARD/Printausgabe, Album, 2./3. Juli 2011)