Sie waren noch nie in Breslau? Als gebürtige Wrocławianka (Breslauerin) möchte ich Ihnen Einblicke in eine Stadt gewähren, die einen verzaubern kann.

Wir legen los mit etwas, sagen wir, Stadtbekanntem. Die als "Breslauer Manhattan" bezeichnete Wohnsiedlung auf dem plac Grundwaldski (Grundwald-Platz) ist nicht nur aufgrund der Bauart auffällig. Die sechs Türme bergen eine skurrile Geschichte. Anfang der 1970-er Jahre wurde die Wohnsiedlung mit riesigen Rundfenstern geplant. Als man schließlich feststellte, dass im kommunistischen Polen keine Firma entsprechende Fenster liefern konnte, musste komplett umdisponiert werden. Das architektonische Unikum "Manhattan" verdankt ihrer Fensteroptik den weniger charmanten Namen "sedesowce" (also "die Klosettartigen").

Foto: Eva Zelechowski

Für ein ganz anderes Wohnambiente stehen die vielen Backsteinbauten, die die Breslauer Straßen säumen. Sie sind zwar alt, wirken mit ihren bunt bemalten oder begrünten Balkonen aber sehr einladend. Wahrscheinlich sieht man deshalb so viele BreslauerInnen auf den Balkonen sitzen, häufig auch in der Gruppe. Typisch für die Wohnungen solcher Häuser sind übrigens alte, aber gut erhaltene Holzdielen, wie sie bei uns eher in Landhäusern zu finden sind.

Foto: Eva Zelechowski

Die "hala stulecia" (Jahrhunderthalle), wurde 1913 für die Ausstellung zum 100. Jahrestag der Befreiung von Napoleon erbaut. Seit 2006 als UNESCO-Weltkulturerbe eingetragen, wird sie heute für Messen und Veranstaltungen genutzt. Im Kommunismus wurde sie in "hala ludowa" (Volkshalle) umbenannt. Die vor ihrem Haupteingang aufgestellte "Iglica", ein nadelförmiges Bauwerk und Wahrzeichen Breslaus, ragt knapp 100 Meter in die Höhe.

Foto: Eva Zelechowski

Einen katholischen Feiertag in Polen vergisst man so schnell nicht. In einem Moment sitzt man noch im Bus und im nächsten steigt man aus, um nachzusehen, warum es seit 10 Minuten nicht weitergeht. Eine Fronleichnamsprozession auf der Straße legte den Verkehr lahm. Rosenblüten auf dem Asphalt, Altare an Parkeingängen und Papstbilder sowie papierene Kelchschablonen in den Wohnzimmerfenstern. Nach 20 Minuten ist die Pilgergemeinde in einer Kirche verschwunden und der Verkehr nimmt wieder seinen gewohnten Gang.

Foto: Eva Zelechowski

Die gusseiserne Dombrücke verbindet die Dominsel "Ostrów Tumski" mit dem Festland. Auf der auch "most kochajacych" (Brücke der Liebenden) genannten Brücke finden sich - wie in vielen Städten weltweit - Liebesschlösser als Symbol für die ewige Liebe. Der Schlüssel wird in die Oder geworfen.

Foto: Eva Zelechowski

Ebenfalls auf der Dominsel schmiegt sich die Kirche Maria auf dem Sande an das Oder-Ufer - mit ganz besonders skurrilem Innenleben. Beim Eingang weist ein Schild auf die "multimediale Kapelle" hin, die Kinderherzen zum Strahlen bringen soll. Farben, Lichter, Christbaumschmuck, Marienbilder an den Wänden und das Ganze untermalt von Kirchengesang. Auf der überdimensionalen, altarartigen Kitsch-Kapelle tummeln sich Tausende Figürchen, ziehen ihre Runden auf Loks, öffnen ihre Münder und trommeln. Bringt man die Spendenbüchse zum Erklingen, erhebt sich der ältere Herr, der auf einem Bänkchen der Multimedia-Kapelle sitzt und drückt einem ein Papstbild in die Hand.

Foto: Eva Zelechowski

Eine Bootsfahrt auf der Odra (Oder) sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen. Das auf 12 Inseln liegende Breslau schafft mit der Symbiose aus Grünflächen, Land und Wasser eine faszinierende und dynamische Harmonie. Für 60 Minuten zahlen Erwachsene 15 Zloty, also ca. 4 Euro. Der Fluss schlängelt sich durch die Stadt, vorbei an Strandcafes bis zu dichten Schilfufern, an denen die eine oder andere Grillerei sowie Punkfestivals zu erblicken sind.

Foto: Eva Zelechowski

Zurück in der Innenstadt und immer noch nicht müde? Dann ab in die Elisabethkirche, denn diese offenbart einen herrlichen Panorama-Ausblick auf die gesamte Stadt. Rund 250 Stufen sind zu bezwingen und 10 Zloty zu bezahlen, um auf die windige Aussichtsplattform zu gelangen. In 130 Meter Höhe sieht man bis zu den bunt bemalten Plattenbausiedlungen am Stadtrand. Derzeit ragen außerdem zahlreiche Kräne aus dem Gewusel der Straßen heraus, denn Wroclaw macht sich fit für die EM 2012. Ein weiterer Grund ist die Ernennung zur Kulturhauptstadt 2016 gemeinsam mit der spanischen Küstenstadt San Sebastian.

Foto: Eva Zelechowski

Der von barocken Häuserfassaden umsäumte Marktplatz Rynek in der Altstadt ist Tag und Nacht gut besucht: Ob im Bavaria Haus, im Eissalon mit Selbstbedienung oder im "Spiż", einem alten polnischen Bräuhaus, wo man Himbeersirup ins dunkle Bier schippt und mit einem Schmalzbrot ergänzt. Gähnende Leere hingegen im schnöden/schicken Italiener, der scheinbar bei Touristen und Einheimischen auf wenig Gegenliebe stößt.

Foto: Eva Zelechowski

Wir bleiben im Rynek, wo sich direkt vor dem Rathaus ein kleiner Bauernmarkt durch die Urbanität schlängelt. In den riesigen Gusspfannen brodelt der in Polen allerorts bekannte "Bigos". Die Basis bilden Sauerkraut, Fleisch und Kümmel - regionale Varietäten gibt es natürlich. Daneben zischt die "Golonka" (Stelze), die auch bei vielen polnischen Auswanderern gemeinsam mit Bigos häufig auf den Tisch kommt.

Foto: Eva Zelechowski

Eine der herausragenden Eigenschaften Wrocławs: ist eine Stadt mit Ecken und Kanten, aber auch die Beulen können sich sehen lassen. Wie in diesem Innenhof, den vom Gehsteig das Durchgangsschild "Kino Warszawa" ankündigte. Dahinter verbirgt sich ein quadratförmiger Koloss aus goldenem Blech. Die Lettern DCF stehen für "Dolnoslaskie Centrum Filmowe" (niederschlesisches Filmzentrum). Als Nachfolger des Kino Warszawa, das seit 1945 hier stand, soll hier das modernste Filmkunsttheater in Polen, ein Ort für KünstlerInnentreffen, Filmpremieren und andere Filmevents, entstehen.

Foto: Eva Zelechowski

Einige Meter weiter, an der Straßenkreuzung Piłsudskiego und Świdnicka, der nächste Eyecatcher: "Przejście kaliny" (Übergang) ist Teil einer Ausstellung und wurde erstmals 1977 in Warschau gezeigt. Der Künstler Jerzy Kalina initiierte eine Art unterirdischen Durchgang und "Antidenkmal" eines Durchschnittsbürgers aus dem Polen der 70er Jahre.

Eine Gruppe von 14 in Bronze gegossenen "anonymen" Menschen, die auf der einen Straßenseite in das Kopfsteinpflaster hinabsteigen, um auf der anderen Seite wieder an der Oberfläche aufzutauchen. Es ist ein Symbol für den Niedergang des Kommunismus und den Aufstieg der Demokratie.

Foto: Eva Zelechowski

Die Markthalle "hala targowa" ist seit ihrer Errichtung Anfang des 20. Jahrhunderts beliebter Handels- und Einkaufsplatz der BreslauerInnen. Im Gegensatz zu den vielen in den letzten Jahren entstandenen Shoppingmalls bietet die parabolische Hallenkonstruktion ein besonderes Ambiente, um frisches Obst, Fleisch oder Teespezialitäten einzukaufen. Im oberen Stock befinden sich kleine Stände, denen ein 80er-Jahre-Charme anhaftet sowie Läden mit landestypischen Trachten und Strickereien

Foto: Eva Zelechowski

Wenig überraschend, aber irgendwann mussten sie kommen: die pierogi (Piroggen). Welche andere Stärkung sei bei einem Polen-Aufenthalt sonst zu empfehlen? Hier im Bild zwei Portionen gebratener Teigtascherln-Exemplare aus der polnischen Cuisine. Einmal "russische" (mit Topfen und Zwiebeln) und einmal mit Faschiertem gefüllte pierogi. Am besten - weil traditionellsten - schmecken sie mit "Maślanka", also Buttermilch. BiertrinkerInnen sei an dieser Stelle ein Warka oder Żywiec ans Herz gelegt. Na zdrowje!

Foto: Eva Zelechowski

Kaufhäuser im Stil der Moderne, wie das Renoma in der Ulica Świdnicka (ehemals Schweidnitzer Straße) prägen das Stadtbild. Das in den 30-er Jahren erbaute Kaufhaus birgt in acht Stockwerken das, was allgemein unter einem "hippen Shoppingerlebnis" zu verstehen ist. Von erschwinglich bis teuer lassen sich hier handgemachte Seifen und Designer-Kleider erwerben. Leider kann das moderne und sterile Innenleben nicht mit der faszinierenden Fassade mithalten. Das Aha-Erlebnis bekommt man aber in luftiger Höhe mit der Aussicht auf die Stadt. Denn über eine unauffällige Rolltreppe gelangt man auf das Dach des Gebäudes. Die letzten beiden Stockwerke sind übrigens überraschenderweise Parkdächer.

Foto: Eva Zelechowski

Habe ich schon erwähnt, dass mir mein viertägiger Breslau-Trip zwei weitere Kilogramm an Wohlfühlgewicht bescherte? Ein Grund dafür waren Leckereien wie die "rurka". Die simpel "Rohr" getaufte Waffel-Rolle wird mit Schlagobers gefüllt und ist nichts für schwache Mägen. Eine weitere beliebte Nascherei sind übrigens "Gofry", eine auch in Belgien verbreitete süße Sünde: Auf eine knusprige Waffel wird Schlagobers gepackt und mit Früchten, Schokolade, Nüssen und Ähnlichem garniert. Man bekommt sie an Verkaufsständen, ähnlich unserem Würstelstand.

Foto: Eva Zelechowski

Empfohlen sei auch ein Besuch des Jüdischen Friedhofs, der etwas außerhalb am südlichen Stadtrand liegt. Vom "Dworzec Główny", Hauptbahnhof, führen einige Straßenbahnlinien zum Friedhof in die Ulica Ślężna. Hier befindet sich unter anderem das Grab von Ferdinand Lassalle, dem Mitbegründer der deutschen Arbeiterpartei. Viele der Gräber sind mit Efeu überwuchert, andere erinnern mit Einschusslöchern an die tragischen Geschehnisse der Kriegszeit.

Foto: Eva Zelechowski

Wie anderswo Graffitis prägen Häuserbemalungen das Breslauer Stadtbild. Häufig lassen sich die KünstlerInnen raffinierte Details einfallen, um der Hauswand durch Einbindung der Fenster Augen zu verpassen und dadurch ein wenig Leben einzuhauchen.

Foto: Eva Zelechowski

Ein Treffpunkt der alternativen Kulturszene ist das Kalambur. Das Jugendstil-Café bringt seit den 1950-er Jahren zusammen, was sich dem Mainstream nicht beugen will und bietet Raum für Lesungen oder Theaterinszenierungen. Der Aufschrift zufolge geht es hier "tagsüber süß" und "bei Dämmerung lustig" zu. Auffällig hier die Liebe zum Detail: Der Café-Name ist am Gehsteig zu lesen. Zu finden in der Ulica Kuźnicza, nicht weit von der Altstadt.

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Den Abschluss unserer Wrocławreise liefert der "krasnal" (Zwerg), sozusagen das Maskottchen der Stadt. Dieser hier erinnert mit seinem Köfferchen an einen Reisenden (oder Migranten?). An vielen Ecken Breslaus finden sich seine Kameraden, einmal auf einer Klarinette spielend, mal an ein Fenstergitter gekettet, mit Schubkarre, Kochlöffel oder am Spielautomat. In den 80-er Jahren hat die politische Oppositionsbewegung "Orange Alternative" Demonstrationen - zum Beispiel im Zwergenkostüm - organisiert und so Kritik am kommunistischen Regime geübt. Daran erinnern bis heute 95 gusseiserne Zwerge, die über die Altstadt verteilt sind. (Eva Zelechowski, 01. Juli 2011, daStandard.at)

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