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Chalid al-Chamissi

Foto: Archiv

Der ägyptische Autor Chalid Al-Chamissi erzählte Julia Herrnböck, warum die Revolution nicht mit Mubarak endet.

Standard: Sie haben 2006 in Ihrem Buch "Im Taxi" die Missstände in Ägypten via Gesprächen mit Taxifahrern erzählt. Was würde ein Taxifahrer in Kairo heute sagen?

Chamissi: Er wäre verwirrt und würde nicht verstehen, ob derzeit pro- oder konterrevolutionäre Kräfte protestieren. Aber er würde sagen: Morgen ist es besser.

Standard: Mubarak ist zurückgetreten. Warum gehen die Ägypter wieder auf die Straße?

Chamissi: Weil außer seinem Rücktritt nichts passiert ist. Steht Mubarak vor Gericht? Nein. Haben wir eine klare Vision von unserer zukünftigen Verfassung? Ebenfalls nicht. Wird für Sicherheit gesorgt, ohne dass Gewalt gegen uns, das Volk, angewendet wird? Nein. Wir befinden uns in einem Teufelskreis, sind unglücklich. Deswegen wird es am 8. Juli Demonstrationen im ganzen Land geben.

Standard: Was wird die zentrale Forderung sein?

Chamissi: Vor allem, dass die Parlamentswahlen nicht wie geplant im September stattfinden sollen. Zuerst muss es eine neue Verfassung geben, erst danach kann gewählt werden.

Standard: Haben Sie vorausgesehen, dass es zu diesem Umbruch kommen wird?

Chamissi: Ja, zu 100 Prozent. Millionen Ägypter wussten, dass die Ära Mubarak zu einem Ende kommen musste. Die Revolution begann vor fünf, sechs Jahren: Neue Bibliotheken und Verlagshäuser entstanden. Plötzlich gab es hunderte neue Schriftsteller, tausende neue Blogger und hunderttausend neue Leser. Es war eine kulturelle Revolution, die alles zum Explodieren brachte.

Standard: Ein ägyptisches Gericht vertagte jetzt die Urteilsverkündung gegen zwei Polizisten, die den Aktivisten Khaled Said getötet haben sollen, auf September. Wie deuten Sie diese Entscheidung?

Chamissi: Es ist einfach ein Witz. Sie (das Regime, Anm.) setzen uns immer nur Symbole vor die Nase. Die zwei angeklagten Polizisten sollen stellvertretend für alle Sicherheitskräfte an den Pranger gestellt werden, die hunderte Demonstranten getötet haben. Aber über die wird nicht gesprochen.

Standard: Führt das verschobene Urteil nicht zu neuem Unmut?

Chamissi: Von Beginn der Proteste bis heute wird immer nur reagiert, nie agiert. Weil die Leute wieder auf der Straße sind, reagieren sie, indem sie das Urteil verschieben. Das war immer schon ihre Taktik.

Standard: Wie kann die ägyptische Gesellschaft wieder zur Normalität zurückfinden?

Chamissi: Unser tägliches Leben funktioniert, auch wenn die Propaganda der Konterrevolutionäre immer das Gegenteil behauptet. Sie sagen uns: Wenn ihr protestiert, zerstört ihr die Wirtschaft und habt in zwei Monaten nichts mehr zu essen. In der einen Hand halten wir den Traum eines neuen Ägyptens, in der anderen Hand die Angst, die ständig geschürt wird. Der Traum muss gewinnen. (Das Gespräch führte Julia Herrnböck. STANDARD-Printausgabe, 1.7.2011)