Symbol für Polens Aufschwung seit der Wende: der vom Kapitalismus umzingelte Warschauer Kulturpalast, Stalins "Geschenk".

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Für die Euro- und Schuldenkrise glaubt man Rezepte aus eigener Erfahrung zu haben, und in einem EU-Beitritt der Türkei sieht man langfristig nur Vorteile.

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Warschau/Wien - Für die polnische Rechte ist es eine Provokation: Ausgerechnet Stalins berühmt-berüchtigtes "Geschenk" an die Polen, der Warschauer Kulturpalast, wird am 1. Juli im Zentrum einer Licht- und Feuerwerksshow stehen. Regierung und Stadtverwaltung, beide von der rechtsliberalen Bürgerplattform (PO) dominiert, feiern opulent die Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft.

Aber das "Symbol der kommunistischen Sklaverei" ist längst zum Sinnbild für etwas ganz anderes geworden: Nach und nach wurde es von Monumenten des Kapitalismus eingekreist - Hochhäusern, die Firmenzentralen, teure Appartements und Luxushotels beherbergen. Das entspricht dem städtebaulichen Konzept, die stalinistische "Hochzeitstorte" einzurahmen. Zugleich steht die Skyline des boomenden Warschau für die Erfolgsgeschichte der polnischen Wirtschaft: seit 20 Jahren ununterbrochenes Wachstum, selbst in der Krise 2008/2009 - das hat kein anderes EU-Land vorzuweisen.

Mit entsprechendem Selbstbewusstsein geht die Regierung in die Ratspräsidentschaft. Dem Gesicht von Premier Donald Tusk war es abzulesen beim Schlussgipfel des ungarischen Vorsitzes am 23./24. Juni in Brüssel. Natürlich sei man "ein bisschen nervös" , schwächt Tusks EU-Staatssekretär Adam Jasser im Gespräch mit österreichischen Journalisten in Warschau ab. Schließlich sei das eine Premiere für das Land.

Dass Euro- und Defizitkrise die polnische Präsidentschaft, ungeachtet ihrer eigenen Prioritäten, beherrschen werden, ist Jasser klar. Und, ganz aus der polnischen Erfahrung heraus, stellt er lapidar fest: "Keine Konsolidierung ohne Wachstum." Der Staatssekretär verweist auf die Verhandlungen für das EU-Budget 2014-2021: Ohne einen Unionshaushalt, der das Wachstum stimuliere und die Modernisierung der Wirtschaft fördere, werde die weitere Integration schwierig. Das gelte auch und besonders für Griechenland: Das Land müsse in die Lage versetzt werden, seine Schulden zurückzuzahlen. Allerdings: Auch Polen habe in der Übergangsphase einen 50-prozentigen Schuldenerlass erhalten.

Und dass ein kombiniertes Programm aus Sparen und Stimulation funktioniere, zeige das Beispiel Lettland: Das Land sei am Rande des Staatsbankrotts gestanden und nach harten Reformen zum Wachstum zurückgekehrt.

Ganz ohne Schatten ist freilich auch das polnische "Wirtschaftswunder" nicht. Die starke Binnennachfrage heizt die Inflation an. Mit rund fünf Prozent ist sie im EU-Vergleich sehr hoch und wird eine Rolle im Wahlkampf für die Parlamentswahlen im Spätherbst spielen (Termin noch offen). Auch das Budgetdefizit ist jahrelang stetig gestiegen (2010 auf acht Prozent des BIPs) und zeigt erst heuer wieder sinkende Tendenz (geschätzte sechs Prozent).

Das könnte der Regierung den geplanten Schönwetterwahlkampf etwas verpatzen. Ob es ihr nutzt oder schadet, dass während des EU-Vorsitzes gewählt wird, bleibt offen. Sicher ist, dass die Opposition auf soziale Themen setzen wird. Laut EU-Daten stehe Polen bei der Kinderarmut an erster Stelle in der Union, sagt Jadwiga Wisniewska, Parlamentsabgeordnete der rechtsnationalen PiS (Recht und Gerechtigkeit). Zugleich wirft sie der PO vor, "nach links abzudriften" . Sie spielt dabei auf liberale Positionen zu Abtreibung, künstlicher Befruchtung und Homosexualität an.

Überläufer von beiden Seiten

Diese scheinen allerdings die Attraktivität der Tusk-Partei weiter erhöht zu haben. In der jüngsten Umfrage liegt sie bei 45 Prozent und erlebt gleichzeitig einen Zustrom prominenter ehemaliger Mitglieder sowohl der PiS als auch der Linken (SLD), unter letzteren Exaußenminister Dariusz Rosati.

Parteienübergreifender Konsens herrscht indes bei der Befürwortung eines EU-Beitritts der Türkei. In der öffentlichen Debatte ist das kein Thema. Staatssekretär Jasser sieht einen langen Weg, den man mit kleinen Schritten, etwa Handelsabkommen, gehen müsse. Langfristig und strategisch würde die EU jedenfalls von einer Mitgliedschaft der Türkei profitieren. Sicher, man sei stolz auf Jan Sobieski, den Polen-König, der 1683 die Türken inWien besiegte. Aber (vielleicht gerade deshalb): "Die Türkei ist für uns kein fremdes Tier." (Josef Kirchengast/DER STANDARD, Printausgabe, 29.6.2011)