Markus Sturm: "Die Wohnbauförderung macht die durchschnittliche Miete im Monat um 260 Euro günstiger, verglichen mit dem frei finanzierten Wohnbau."

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Seit wenigen Jahren sind die 1,8 Milliarden Euro an Wohnbaufördergeldern, die der Bund jährlich an die Bundesländer überweist, nicht mehr zweckgebunden. Nicht alle Landesregierungen haben den Verlockungen, das Geld anderweitig auszugeben, widerstanden.

Markus Sturm, Obmann des SP-nahen "Vereins für Wohnbauförderung", sagt im Gespräch mit Martin Putschögl, in welchen Ländern die Wohnbauförderung noch halbwegs funktioniert - und warum er trotz der lauter werdenden Mahnungen, die Zweckbindung mit dem nächsten Finanzausgleich wieder einzuführen, dennoch nicht daran glaubt.

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derStandard.at: Wie ist die Wohnbauförderung in den österreichischen Bundesländern derzeit aufgestellt?

Markus Sturm: Komplett unterschiedlich. Es gibt Länder, in denen das Fördersystem noch funktioniert, und andere, in denen man die Neubautätigkeit stark zurückfahren musste.

derStandard.at: Wo funktioniert's, und wo nicht?

Sturm: Im Bundesland Salzburg zum Beispiel funktioniert's nach wie vor tadellos. Dort hat man nämlich zwei Dinge nicht getan: Als die Zweckbindung 2008 aufgehoben wurde, hat man das Geld nicht abgeschöpft und für Budgetlöcher oder andere Infrastrukturprojekte verwendet, sondern nach wie vor im Topf gelassen. Und vor allem wurden in Salzburg auch nicht die Forderungen aus Wohnbaudarlehen verkauft, wie beispielsweise in Niederösterreich.
Jene Länder, die geschaut haben, dass sie das Wohnbauförderbudget zusammenhalten, etwa auch Vorarlberg und Tirol, tun sich jetzt leichter. Wo man die Forderungen aus den Darlehen verkauft hat, freut man sich einmal über einen größeren Ertrag. Aber wenn das Geld dann in einer Art und Weise veranlagt wird, dass es nicht die erhofften Erträge bringt, dann tut das natürlich doppelt weh. Hätte man diese Forderungen nämlich nach wie vor, würden die sicher zurückgezahlt werden. Aber das war ohnehin alles eine politische Entscheidung.

derStandard.at: Ist die vielerorts geforderte Wiedereinführung der Zweckbindung aus Ihrer Sicht ein realistisches Szenario?

Sturm: Unsere Gruppe fordert die Wiedereinführung, auch viele Wohnbaureferenten in den Ländern tun dies. In Salzburg gibt's dafür einen einstimmigen Landtagsbeschluss. Ob sie aber tatsächlich kommen wird, wage ich zu bezweifeln. Ich bin nicht sehr zuversichtlich, dass etwas, was man vor ein paar Jahren abgeschafft hat, gleich wieder eingeführt wird. Außerdem befinden sich jene Bundesländer, die die Wohnbaufördermittel für andere Dinge verwenden oder benötigen, finanziell in einem engeren Korsett. Ich bin also eher skeptisch.

derStandard.at: Nun geht die Neubautätigkeit ohnehin bereits stark zurück. Wie wirkt sich das weiter aus?

Sturm: In Österreich sind wir sehr gut durch die Krise gekommen. Als Gewerbe und öffentliche Hand ihre Investitionen zum Teil reduzierten, hielten die Genossenschaften ihre aufrecht, und das war wichtig für die Bauwirtschaft. Unser Sektor blieb stabil, deshalb sind wir beim Wohnungsbau auch ungefähr auf dem Level, den wir benötigen. Der gemeinnützige Sektor hat 2010 rund 14.800 Wohneinheiten gebaut, das waren nur 900 Wohnungen bzw. sechs Prozent weniger als 2009. Trotz der Krise. Für 2011 sind 17.100 prognostiziert, damit sind wir wieder auf dem Wert von 2007. Ab 2012 bauen wir aber um 10.000 Wohnungen im Jahr zu wenig, als nötig wären.

derStandard.at: Also ab 2013 oder 2014 wird's dann wirklich dramatisch?

Sturm: Ja, da sehen wir Probleme auf uns zukommen.

derStandard.at: Sollte dann grundsätzlich nur noch der mehrgeschossige Wohnbau gefördert werden?

Sturm: Das ist eigentlich schon so gut wie umgesetzt. Die einzelnen Bundesländer haben zwar noch Eigenheimförderungen laufen, aber die lassen sich von der Höhe und Qualität her nicht mit jenen Förderungen vergleichen, die in den gemeinnützigen Wohnbau fließen. Unter anderem deshalb, weil man mit der Wohnbauförderung vor allem jene Menschen erreichen will, die die Hilfe auch wirklich brauchen.
Die Gemeinnützigen setzen heute ungleich mehr Eigenkapital beim Wohnungsbau ein als noch vor zehn, 20 Jahren. Im Schnitt sind es 15.000 Euro pro Wohnung, rund 15 Prozent der anteilsmäßigen Grund- und Baukosten. Allein wegen dieses hohen Eigenmittelanteils bei der Finanzierung ist für die Mieter eine jährlich im Schnitt um 300 Euro günstigere Miete möglich, gerechnet für eine 70-Quadratmeter-Wohnung. Die Wohnbauförderung macht die durchschnittliche Miete sogar im Monat um 260 Euro günstiger, verglichen mit dem frei finanzierten Wohnbau. Einen entsprechenden Aufschlag auf die Miete bei fehlender Wohnbauförderung könnten sich viele Menschen nicht leisten.

derStandard.at: Was halten Sie von der Wiener "Zusatzförderung", die heuer ins Leben gerufen wurde?

Sturm: Ich sehe das als Notnagel. Man muss da erst sehen, wie das in zehn Jahren aussieht. So lange bürgt die Stadt Wien dafür, danach muss das entsprechend umfinanziert werden, und dann können die Bauträger auch einen angemessenen Mietzins verlangen. Die Fragen sind: Funktioniert die Umfinanzierung einerseits, und wie wirkt sie sich andererseits auf die Mieten aus?
Unser System der Wohnbaufinanzierung hat den Vorteil, dass jemand, der in eine Wohnung neu einzieht, theoretisch die Mietkosten für die nächsten 20 Jahre gut kalkulieren kann. Man hat also eine gewisse Mietsicherheit. Betriebs- und Heizkosten verändern sich natürlich, das ist ganz klar, aber das bewegt sich trotzdem alles nur innerhalb einer gewissen Bandbreite.

derStandard.at: Lässt sich in fünfzehn Jahren ein Wohnbau refinanzieren?

Sturm: Nein, das geht gar nicht. Da kommen unleistbare Mieten heraus. Unsere Wohnbauförderdarlehen in Salzburg laufen 39 Jahre, manche Länder haben noch etwas längere Laufzeiten. Dafür haben wir keine Eigenmittel-Beiträge wie im Wiener Raum, da zahlt man ja relativ hohe Eigenmittelbeiträge, die muss man sich auch einmal leisten können.
In den meisten Bundesländern funktioniert die Wohnbauförderung heute so: Eine Säule sind Direktdarlehen der Länder - entweder mit null Prozent oder sehr günstigen Zinssätzen -, und die anderen zwei Säulen sind Eigenmittel der Bauvereinigungen und Bankdarlehen. Für die Rückzahlung der Bankdarlehen gibt es entsprechende Annuitätenzuschüsse. Nur: Wenn man jetzt im ersten Jahr ein gewisses Volumen ausgibt, dann werden beispielsweise fünf oder zehn Millionen Euro an Annuitätenzuschüssen fällig. Im zweiten Jahr kommen die neuen Volumen dazu, aber für die alten zahlt man immer noch. In Salzburg hatten wir 2006 die Situation, dass vom gesamten Wohnbaubudget 62 Prozent nur für Annuitätenzuschüsse ausgegeben wurden, also für Wohnanlagen, die in den vergangenen Jahren gebaut wurden. Für den Neubau war immer weniger Geld da. Noch im selben Jahr wurde die Notbremse gezogen, das System umgestellt und mit den Annuitätenzuschüssen komplett aufgehört. Das Land nimmt nun selbst Darlehen auf und gibt sie günstig an die Gemeinnützigen weiter. Das ist ein großer Vorteil.

derStandard.at: Der Wunsch nach immer größeren Wohnungen und die gleichzeitige Zunahme von Singlewohnungen, ist das auch ein Problem für die Bauträger?

Sturm: Was wir verstärkt feststellen, ist, dass der Bedarf an 4-Zimmer-Wohnungen stark zurückgeht und der Bedarf an 2-Zimmer-Wohnungen stark steigt, während jener an 3-Zimmer-Wohnungen stabil bleibt.
Schon jetzt gibt es aber in vielen Bundesländern die Auflage, alles barrierefrei zu bauen. Man braucht also in Vorzimmer, Bad, Toilette etc. einen entsprechenden Radius, der natürlich auf Kosten des Wohnraums geht. Ein paar Quadratmeter mehr an Wohnfläche wären deshalb durchaus sinnvoll. Allerdings gibt's natürlich viele Personen, die sich zehn Quadratmeter mehr - bei acht Euro Miete sind das 80 Euro im Monat - nicht mehr leisten können. Eine alleinerziehende Mutter oder ein älteres Ehepaar mit einer Mindestrente und einer kleinen Rente spürt das, denen tut das weh. Eine größere Wohnung ist zwar schön - jeder will auf 100 m² wohnen, auch wenn er allein ist -, aber wenn man das jetzt fördert und also viel Geld hineinsteckt, muss man sich schon fragen: Könnte man mit den gleichen Mitteln nicht um 1000 Wohnungen mehr bauen? Wir sind im europäischen Vergleich mit unseren Wohnungsgrößen ohnehin im Mittelfeld. Die Schweiz wiederum lacht uns mit unseren Wohnungsgrößen aus.

derStandard.at: Derzeit wird bundesweit aus den Mitteln der Wohnbauförderung mehr die Sanierung als der Neubau gefördert. Sehen Sie darin ein Problem?

Sturm: Sanierung ist wichtig, vor allem vom ökologischen Standpunkt her. Beim Neubau gibt man oft Unmengen an Geld aus, nur um einen geringfügig besseren Heizwärmebedarf zu erreichen. Bei der Bestandssanierung, wenn man also ein altes Objekt ordentlich wärmedämmt, ist ein Vielfaches an Einsparungen möglich. Auch für die Bewohner ist es sinnvoll, weil die sich entsprechend Heizkosten sparen. Und es macht auch Sinn, was die Situation am Arbeitsmarkt betrifft. Sanierung ist ungleich arbeitsintensiver als Neubau, hundert Millionen Euro an Investitionen im Neubau haben nicht denselben arbeitsmarktpolitischen Effekt wie hundert Millionen Euro in der Sanierung. Was aber nicht heißt, dass man nur noch sanieren sollte.
Wir Gemeinnützigen sind am Mietwohnungssektor ohnehin schon starke Sanierer. 2010 haben wir um 500 Millionen Euro saniert, unsere jährliche Sanierungsrate liegt bei fünf Prozent. Aufholbedarf besteht bei den Eigentumswohnanlagen. Dort braucht es einen Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft, und der ist oft schwierig zu bekommen. Da entwickelt man ein Sanierungs- und Finanzierungskonzept, zeigt die Förderungs- und Einsparpotenziale auf, und dann sagen doch immer viele: "Ich will das nicht." Weniger, weil sich die Leute das nicht leisten können. Sondern weil manche nicht mehr selbst in der Wohnung leben, die wollen nur den Mietzins haben und sonst nicht viel damit zu tun haben. Oder auch ältere Leute, die sich sagen: "Endlich bin ich schuldenfrei, und jetzt soll ich zur Sanierung wieder Schulden machen?" Das sehe ich natürlich ein.

derStandard.at: Jetzt gibt's wieder den Sanierungsscheck, aber die Länder fahren im Gegenzug ihre Sanierungsförderungen zurück. Gescheit?

Sturm: Nein, das ist natürlich kontraproduktiv, ganz eindeutig. Der Sanierungsscheck ist gut und gehört aufgestockt, denn man erreicht damit auch viele Private. Dort zusätzliche Anreize zu setzen, ist gut. Im privaten Häuslbauerbereich ist noch viel Potenzial da. (derStandard.at, 3.7.2011)