Als Student wurde Manuel Marinelli Freiwilliger bei Greenpeace - jetzt kämpft er gegen die Überfischung der Nordsee.

Foto: GP/Cris Toala Olivares

Standard: Wie sind Sie zu Greenpeace gekommen?

Manuel Marinelli: Ich habe die Sachen, die Greenpeace macht, schon als Kind verfolgt. Der Alptraum meiner Mutter war es immer schon, dass ich mich einmal an den letzten lebenden Wal anbinden werde, um ihn zu schützen. Als Student bin ich Freiwilliger geworden, habe zunächst an Infotischen gearbeitet und in Wien das Aktivistentraining absolviert. Später sind Kletter- und Tauchtrainingseinheiten dazu gekommen.

Standard: Was war Ihr erster großer internationaler Einsatz?

Marinelli: In Washington D.C. haben wir 2009 während eines Meetings für Alternativenergien ein Kohlekraftwerk lahmgelegt. Nicht irgendeines, mit diesem wurde unter anderem auch das Kapitol, der Sitz des Kongresses, mit Strom versorgt. 50.000 Leute aus aller Welt waren damals auf der Straße mit dabei. Danach haben sie von Kohle auf Gas umgeschalten, zumindest ein kleiner Teilerfolg.

Standard: Wie sind Sie dann zu Einsätzen auf Schiffen gekommen?

Marinelli: Im Mai 2010 ist's richtig losgegangen. Ich wurde angerufen und gefragt, ob ich nicht bei einer Kampagne gegen den Fang von Thunfischen im Mittelmeer mitwirken will. Ein paar Tage später war ich auf dem Greenpeace-Flaggschiff Rainbow Warrior. Seitdem bin ich nicht mehr wirklich vom Wasser losgekommen, ich habe sicher acht Monate auf Schiffen verbracht.

Als das Reaktorunglück in Japan passierte, befanden wir uns 600 km vom Unglücksort Fukushima entfernt auf dem Weg von Taiwan nach Korea. Dort hätte es Aktionen gegen den_Thunfischfang geben sollen, aber das ist für die Fukushima-Kampagne natürlich alles abgesagt worden. Ich habe mich aber entschieden, das Schiff zu verlassen.

Standard: Um kurze Zeit später das nächste Schiff zu besteigen. Was machen Sie jetzt in der Nordsee auf der Sleipner, einem ehemaligen norwegischen Kriegsschiff?

Marinelli: Ich bin als Taucher herbestellt worden, um mit der Crew Schäden an der Unterwasserwelt zu dokumentieren. Es gibt nur wenige qualifizierte Taucher bei Greenpeace. Hier in der Nordsee haben wir zudem eine starke Strömung, bescheidene Sicht, es ist kalt, man benötigt einen Trockentaucheranzug. Den Anruf von Greenpeace habe ich in Kroatien bekommen. Ich war dort, um als Meeresbiologe zu arbeiten. Zwei Tage später war ich schon auf der Sleipner.

Standard: Wieso tun Sie sich das an? Mit Ihrer Qualifikation als Taucher und Meeresbiologe könnten sie weit mehr verdienen.

Marinelli: Natürlich habe ich schon Bewerbungen in die ganze Welt verschickt. In Österreich ist es ja als Meeresbiologe eher schwierig, einen Job zu ergattern. Aber im Grunde lebe ich von der Idee, dass auch wenige Leute was bewirken können. Immerhin ist unsere Aktion zum Schutz dieses Meeresgebiets in der Nordsee schon Thema im niederländischen Parlament gewesen.

Was wir machen, ist Arbeit für die Öffentlichkeit. Wir zeigen, was nicht gut rennt und machen darauf aufmerksam, was besser laufen könnte. Für diese Aktion werde ich erstmals von Greenpeace bezahlt, ich musste aber auch meinen Job in Kroatien dafür aufgeben. Die vergangenen Kampagnen habe ich alle noch unbezahlt mitgemacht.

Standard: Wie ist das Leben an Bord?

Marinelli: Jeder weiß, was zu tun ist, jeder packt an, hilft mit. Die Schiffe sind immer international besetzt. Bei meinem letzten Einsatz waren es 16 Crewmitglieder aus 15 Nationen, auf der Sleipner sind jetzt zwölf Länder vertreten. Auch von den Altersstufen sind wir durchmischt. Duco aus den Niederlanden hilft zum ersten Mal an Bord mit, er ist 20 Jahre alt und Student. André, ein weiterer Volunteer, ist mit 54 Jahren der älteste an Bord. Beim Uno-Klimagipfel in Kopenhagen im Dezember 2009 waren die ältesten Aktivisten, die Banner gehalten haben und sich festgekettet haben, um die 80 Jahre alt.

Standard: Was war Ihr schlimmster Einsatz für Greenpeace?

Marinelli: Ganz krass war die Kampagne für den Schutz von Thunfisch im vergangenen Jahr im Mittelmeer. Da habe ich hautnah miterlebt, wie sehr Leute auszucken können. Fischer haben uns mit kiloschweren Karabinern beworfen. Dann haben sie uns Haken in die Schlauchboote geschmissen, um sie zu löchern. Zwei Boote mussten dran glauben. Ein Aktivist wurde von einem Haken am Bein erwischt, ein Bootsfahrer hat einen abgefeuerten Schuss aus der Harpune in die Handfläche bekommen.

Standard: Und trotz dieser Vorfälle macht man weiter?

Marinelli: Das sind Gefahren, die man absehen kann. Wir haben bei unseren Einsätzen schmerzlich gelernt, dass Fischer unberechenbar sein können. Sie denken kurzfristig, sehen in diesem Moment ihre Existenz gefährdet. Von diesem Standpunkt aus verstehe ich ihre Reaktionen auch zu einem gewissen Grad. Polizisten dagegen sind ja fast friedlich, die legen dir nur Handschellen an und tragen dich weg.

Standard: Was kann Österreicher interessieren, wofür Sie sich hier in der Nordsee einsetzen?

Marinelli: Sie sollen sehen, dass mit Schleppnetzfischerei ein ganzes Ökosystem kaputtgemacht wird. Mit riesigen Netzen, die über den Boden gezogen werden und tiefe Furchen hinterlassen, wird mit den Fischen einfach alles rausgeholt: Seesterne, Seeigel, Seegurken, Krebse. Sie müssen sterben und werden als unnötiger Beifang wieder tot ins Meer zurückgeschmissen.

Ich will keinem verbieten, Fisch zu essen. Aber man kann sich ja informieren, wo und wie mein Fisch gefangen worden ist: Ist es Zucht, Wildfang, Schleppnetzfang? Man soll sich zumindest bewusst werden, was man als Konsument beeinflussen kann. Muss es zum Beispiel sein, dass ich mit Thunfisch eine Art esse, die eigentlich schon ausgestorben ist? Das muss jeder für sich entscheiden.

Standard: Was haben Sie bei den Kamera- und Taucheinsätzen in der Nordsee gesehen?

Marinelli: Zu 98 Prozent besteht der Untergrund nur mehr aus Sand. Alles andere ist von den Netzen zerstört woren. Und in der Nordsee waren einmal die größten Seegraswiesen der Welt. Seegras ist eine Kinderstube für Fische, wo die Jungen geschützt heranreifen können. Die sind aber weg, die gibt es nicht mehr. 

Standard: Wie geht es für Sie weiter?

Marinelli: Nach insgesamt vier Wochen auf hoher See geben wir das gecharterte Boot in Cuxhaven zurück. Ich fahr dann weiter nach Kroatien, erledige dort meinen Job, den ich für die Greenpeace-Aktion verlassen habe. Und dann fahre ich nach Graz, um mir Job und Wohnung zu suchen. Es wird meine erste Wohnung seit Jahren sein. (David Krutzler, DER STANDARD-Printausgabe, 27.6.2011)