Im L.E.O. wird die große Freiheitskämpferin der Liebe sympathisch auf die Bühne gebracht.

Foto: L.E.O.

Wien - Letztens war bei den Wiener Festwochen David Martons Einrichtung von Richard Wagners "Ring-Eröffnung" Rheingold zu erleben. Das Orchester: ein Klavier. Die Sänger: singende Schauspieler. Der Rhein: ein kleines Aquarium. Publikum und Kritik waren hin und weg.

Nun im Letzten Erfreulichen Operntheater: George Bizets Carmen. Das Orchester: ein Klavier. Der Chor: das Publikum. Die Sänger: sympathische Mittelklasse und - außer Konkurrenz - L.E.O.-Gründer Stefan Fleischhacker. Publikum und Kritik: beglückt und enthusiasmiert. Man könnte jetzt im Stile Carrie Bradshaws - wenn es nicht so entsetzlich démodé wäre - fragen: Ist "makelhaft" das neue "perfekt"? Ist "menschlich" womöglich das neue "genial"?

Tut man aber nicht. Denn: Neu ist das seit 1993 existierende "führende Opernhinterzimmer" Wiens (Copyright by DER STANDARD) in der Ungargasse ja nicht. Im Gegenteil: Das Publikum (es ist durchschnittlich weiblich, 60 Jahre alt und so kenntnisreich wie begeisterungsfähig) kennt alle Mätzchen von "Studienleiter" Stephen Delaney schon auswendig. Und es singt auch super mit: Im Kollektiv "Toréador, en garde" zu schmettern, macht doch natürlich auch wirklich einen Riesenspaß.

Den Toréador, also den Escamillo, singt Naturbursche Apostol Milenkov kraftbetont, die bezaubernde Kerstin Grotrian wird (als Micaela) am Premierenabend stimmlich von Teréz Illés vertreten.

Teresa Gardner ist eine eigenwillig souveräne, ruhig-stolze Carmen, angebetet von Stefan Fleischhacker als donquichotteskem Don José. Wie meinte doch Nietzsche: "Und wirklich schien ich mir jedesmal, dass ich Carmen hörte, mehr Philosoph."

Die L.E.O.-Carmen hätte ihn darüberhinaus zum lächelnden Philosophen gemacht.   (Stefan Ender / DER STANDARD, Printausgabe, 25./26.6.2011)