Das neue Riverside Museum auf dem Pointhouse Quay erinnert an eine Welle im Wasser des Clyde. Allein Dach und Fassade mussten dreimal umgeplant werden, bis es dem Büro von Zaha Hadid gelungen ist, das Baubudget einzuhalten. Mission erfüllt.

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Festliches Ausstellen von Objekten des Transports: Der alte Dreimaster Glenlee, der hier fix vor Anker liegt, ist Teil des Museumsrepertoires.

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In Glasgow, so verkündet es das nationale Statistikamt, liegt die Sterblichkeit im Durchschnitt auf dem Niveau von Albanien: fünf Jahre niedriger als auf der britischen Insel insgesamt. Im Osten der größten Stadt Schottlands, in den Sozialghettos von Easterhouse und Springburn, wo freudlose Mietskasernen die viktorianischen Slums ersetzt haben, sterben die Leute durchschnittlich sogar schon mit 54 Jahren - so wie im westafrikanischen Gambia. Braucht diese Stadt wirklich ein neues Transportmuseum aus der Feder eines Weltstars?

Ja, unbedingt, sagt Laura. Die junge Frau, die in der Stadt geboren und aufgewachsen ist, serviert im U-Bahnhof Partick Kaffee. Die blitzblank renovierte Station ist laut Stadtplan die nächstgelegene. Hinweise für Auswärtige gibt es aber nicht. Zum Glück weiß Laura Bescheid und weist den Weg: durch die automatische Tür hinaus in den Glasgower Regen, unter der Bahnbrücke durch und am Ende dann über die vierspurige Ausfallstraße.

Direkt vor uns liegt eine Industriebrache, dahinter schimmert der Clyde-Fluss, dem Glasgow im 19. Jahrhundert seinen Aufstieg zum Powerhouse des Empire verdankte. Unmittelbar am Hafen entstanden damals gewaltige Dockanlagen, nebenan reckten sich die Industriekathedralen der Schwerindustrie. An ihrer Stelle stehen heute die Tempel der Konsumentengesellschaft: das Wissenschaftsmuseum von Richard Horden, das Messezentrum von Norman Foster, das schottische BBC-Headquarter von David Chipperfield.

Ein Stück weiter westlich, an der Mündung des Flusses Kelvin in die Clyde, umgeben von Autobahn, Fluss und brachliegenden Grundstücken, liegt nun Glasgows jüngster Architektursolitär, 83 Millionen Euro teuer, diese Woche eröffnet. Aus der Luft sieht das Gebäude am Pointhouse Quay aus wie ein Vogel oder eine Welle. Die 24.000 eigens für die Außenwand maßgefertigten Zinkplatten reflektieren das Blau-Weiß-Grau des Himmels. In der riesigen Fensterfront am Clyde spiegelt sich die gekräuselte Oberfläche des Flusses und der hier permanent vor Anker gegangene Dreimaster Glenlee. Alles sehr dynamisch.

Fraglich bleibt der Zweck. Für einen Flugzeughangar ist das langgestreckte graue Objekt nicht hoch genug, für eine Busgarage sind die plötzlich aufragenden Kanten zu exzentrisch. Die wunderbar kurvigen Linien erinnern am ehesten an die Schiffe, die auf der Werft gegenüber gebaut wurden. Es ist das alles zusammen: Glasgows neues Riverside Museum von Zaha Hadid.

"Wir wollten uns mit nichts anderem als Weltklasse zufriedengeben", sagt Glasgows Stadtratschef Gordon Matheson. Da schwingt natürlich viel Eigenlob mit, vor allem aber sind Mathesons Worte eine Hommage an die aus London angereiste Architektin. Zaha Hadid lässt sich ihrem Image als Diva gemäß im eigenen BMW zur Hintertür fahren. Mit der einem Star zustehenden Verspätung von 25 Minuten, versteht sich.

Eine Diva ohne Markenzeichen

Was die 60-Jährige dann sagt, mit ihrer tiefen Kieselstein-Stimme, zwischendurch schwer atmend, passt jedoch so gar nicht zum klassischen Bild einer Diva. Anschaulich spricht sie über ihre "einfache, gleichzeitig geschmeidige Idee", die sich aus der Geschichte des Industriestandorts entwickelt habe. "Manche Architekten setzen auf ihr Markenzeichen und wiederholen ihr Design immer wieder", sagt Hadid, und man denkt sich zwangsweise den berühmtesten Namen dazu: Altmeister Norman Foster. "Wir sehen das anders. Wir wollen unser Repertoire erweitern."

Sympathischerweise spricht die berühmteste Architektin der Welt keineswegs im Pluralis Majestatis, sondern betont ihr Team. Schließlich sei Delegieren ein wichtiges Merkmal eines guten Architekten. Ausdrücklich hebt sie den Projektdirektor Jim Heverin und den Projektarchitekten Johannes Hoffmann hervor. Ihre eigene Rolle habe hauptsächlich darin bestanden, "die Nervensäge zu spielen", nach Details zu fragen, dem Team vor Ort neue Anregungen zu geben. Zudem lobt Hadid "die fantastische Zusammenarbeit" mit dem Auftraggeber und der Generalbaufirma BAM, "von der mir mein Team berichtet hat".

Zehn Jahre hat die Planungszeit gedauert. In der gut dreijährigen Bauphase entstand einer der wenigen Hadid-Bauten Großbritanniens. Jahrelang lebte die gebürtige Irakerin mit dem Ruf, stets die schönsten Entwürfe zu liefern, letztendlich aber kaum zu bauen, schon gar nicht im eigenen Land. Ein Begegnungszentrum für Krebspatienten im schottischen Kirkcaldy 2006 war ihr allererstes Gebäude auf britischem Boden. Die kürzlich fertiggestellte Schwimmhalle im neuen Londoner Olympiazentrum sieht gut aus, kostete aber das Dreifache des ursprünglich veranschlagten Preises.

Das konnte und wollte sich die Stadtregierung von Glasgow nicht leisten. Und so mussten die Beteiligten immer wieder zurück an den Schreibtisch, um kostengünstigere Lösungen zu finden. "Allein die Fassade mussten wir dreimal überarbeiten", berichtet Patrik Schumacher, Hadids deutscher Kodirektor. Aus dem geplanten Stahl wurde der preiswertere Zink. Und das habe Millionen eingespart, bestätigt Projektarchitekt Hoffmann. Minutenlang schwärmt er über die präzis gearbeiteten Dachfugen und die komplizierte Anlage der Regenrinnen. Als wäre es akkordiert gewesen, fällt sogleich ein heftiger Schauer vom Himmel.

Flucht in den Innenraum. Hier setzt sich die fließende Struktur des Gebäudes fort.

Pistazien gegen Machismo

Für den Besucher stellt sich das Verkehrsmuseum als eine einzige Welle dar, die vom Haupteingang zur Flussseite führt. Auffällig ist die Farbe: Die Ausstellungsmacher wollten dem Macho-Habitus von Lokomotiven, Bussen und Straßenbahnen ausdrücklich etwas Warmes und Verspieltes entgegensetzen.

"Die Farbe des Innenraums war die härteste Entscheidung überhaupt", seufzt Hoffmann. Blau und Grün hatten die Stadtmütter ausgeschlossen - des sektiererischen Hasses wegen, der zwischen Fans der beiden Fußball-Clubs Rangers (protestantisch, blau) und Celtic (katholisch, grün) bis heute herrscht. Das Resultat dieser langwierigen Farbsuche ist ein Gelb, das es im Laden nicht zu kaufen gibt: "Decorous Lime" heißt es im Jargon, also "festliche Limone". Andere fühlen sich an Pistazien erinnert.

Gewöhnungsbedürftig ist leider auch die große Zahl an Ausstellungsobjekten. Nach langen Jahren der Beengtheit in der nahegelegenen Kelvin Hall wollten die Hüter der städtischen Sammlung nun so viel wie nur möglich herzeigen. Vielleicht wäre an der einen oder anderen Stelle weniger mehr gewesen. Dann käme das Innere des fabelhaften Gebäudes noch besser zur Geltung.

Die Glasgower haben ihr Museum in den vergangenen Tagen begeistert in Gebrauch genommen. Brauchen sie es? Zaha Hadid hat darüber nachgedacht. "Die Menschen brauchen Museen, weil nicht jeder reisen und die Welt erkunden kann. Architektur regt uns zum Nachdenken an, über das kulturelle Fundament der Stadt ebenso wie über ihre zukünftigen Möglichkeiten."

Und was würde sie in Glasgow gern als Nächstes bauen? Die Antwort des Weltstars folgt prompt: "Sozialwohnungen. Das halte ich für ein wirklich aufregendes Thema."  (Sebastian Borger / DER STANDARD, Printausgabe, 25./26.6.2011)