Der blaue Südtirol-Sprecher Werner Neubauer zweifelt daran, dass die baskische ETA eine terroristische Organisation ist. "Ich kann und will das nicht leichtfertig bewerten."

Foto: Benedikt Narodoslawsky

Der FPÖ-Nationalratsabgeordnete Werner Neubauer tritt für die Selbstbestimmung Südtirols ein, empfindet die Selbstbestimmung des Kosovo aber gleichzeitig als ungerecht und stellt sich auf die Seite Serbiens.

Über den Entscheid des Internationalen Gerichtshofs freut er sich trotzdem: "Jetzt kann Südtirol das Recht auf Selbstbestimmung in Anspruch nehmen, weil der IGH in Den Haag festgestellt hat, dass das Völkerrecht kein 'Verbot von Unabhängigkeitserklärungen' enthalte."

Foto: Benedikt Narodoslawsky

"Es sind viele Menschen in Südtirol in menschenrechtswidriger Art und Weise gefoltert worden", sagt Neubauer.

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Im Parteiprogramm steht: "Wir streben die Einheit Tirols an" - wie seine Partei das schaffen will, erklärt Neubauer so: "Wir schauen, dass wir in der Bevölkerung jene Stimmung erzeugen, dass für die Vorstellung von einer Tiroler Einheit zukünftig eine Mehrheit bestehen kann."

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Im neuen Parteiprogramm verankerte die FPÖ ein Bekenntnis zur Wiedereingliederung Südtirols. Dass der Wunsch nach der Tiroler Einheit für die Freiheitlichen wieder wichtiger wurde, sieht Südtirol-Sprecher Werner Neubauer als persönlichen Erfolg an.

Über die wehrhaften Südtiroler "Bumser", die "ungerechtfertigte" Selbstbestimmung des Kosovo und seine Zweifel, ob die baskische ETA eine terroristische Organisation ist, hat Neubauer mit Benedikt Narodoslawsky gesprochen.

derStandard.at: Die Südtirol-Frage ist im neuen FPÖ-Programm wichtiger geworden. Warum?

Neubauer: Uns ist permanent vorgeworfen worden, wir machen nur Südtirol-Politik, um den rechten Rand zu bedienen, aber es sei nicht wirklich unser Anliegen. Wir haben das widerlegt. Ich habe ein Buch geschrieben, in dem wir aufgezeigt haben, dass Südtirol für die Freiheitlichen schon seit 1949 in den Parteiprogrammen immer ein Thema war. 2006 wurde das Thema von Strache wiederbelebt – nicht zuletzt aufgrund meiner Initiativen.

derStandard.at: Im neuen Parteiprogramm heißt es wörtlich: "Wir streben die Einheit Tirols an". Glauben Sie, Österreich hat die Macht, sich Südtirol einzuverleiben?

Neubauer: Wir können uns Südtirol nicht einverleiben, das Recht auf Selbstbestimmung muss von den Südtirolern selbst kommen. Wir können sie dabei nur begleiten. Wir schauen, dass wir in der Bevölkerung jene Stimmung erzeugen, dass für die Vorstellung von einer Tiroler Einheit zukünftig eine Mehrheit bestehen kann.

Vor dreieinhalb Jahren haben wir zum Beispiel eine österreichische Staatsbürgerschaft für die Südtiroler gefordert, weil sie damals in der Zeit der Monarchie auch österreichische Staatsbürger waren. Den Südtirolern wurde das Menschenrecht auf Selbstbestimmung und die Zugehörigkeit zum österreichischen Staat verweigert. So sollen zumindest die Nachkommen das Recht haben, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erwerben.

derStandard.at: Die FPÖ fordert die Unabhängigkeit Südtirols und beruft sich rechtlich auf die Unabhängigkeit des Kosovo, der sich von Serbien lossagte. Dabei war gerade die FPÖ die einzige Partei, die sich offensiv für Serbien und gegen einen freien Kosovo ausgesprochen hat. Das ist ein Widerspruch.

Neubauer: Nein, überhaupt nicht. Hier geht es um die inhaltliche Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes (IGH) zur Frage der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo.

derStandard.at: Ja, und genau diese Unabhängigkeitserklärung sieht Strache als falsch an.

Neubauer: Ja, die einseitige Unabhängigkeitserklärung beim Kosovo sieht er als falsch an. Denn zuerst hatte man dem Kosovo Autonomie versprochen, aber danach hat man ihm die Souveränität für einen eigenen Staat zuerkannt. Das war nicht vereinbart. Das hat er kritisiert, genauso wie ich.

derStandard.at: Otto Scrinzi, einer der meinungsstarken nationalen Freiheitlichen, hält die ablehnende Haltung der FPÖ in der Kosovo-Frage für einen Blödsinn. Er meinte, man könne nicht gegen die Selbstbestimmung des Kosovo sein und gleichzeitig die Selbstbestimmung für Südtirol fordern.

Neubauer: Ich kenne die Stellungnahme von Doktor Scrinzi nicht, den ich sehr schätze. Das ist seine persönliche Meinung, die ich nicht bewerten möchte.

derStandard.at: Wo liegt der Unterschied zwischen Kosovo und Südtirol?

Neubauer: Der Unterschied ist, dass man vor der Kosovo-Entscheidung nicht gewusst hat, ob eine Minderheit das Recht auf Selbstbestimmung in Anspruch nehmen kann. Jetzt weiß man das. Jetzt kann Südtirol das in Anspruch nehmen, weil der IGH in Den Haag festgestellt hat, dass das Völkerrecht kein "Verbot von Unabhängigkeitserklärungen" enthalte.

Das Selbstbestimmungsrecht im Kosovo wurde ja nicht ausgeübt, die Leute sind nicht gefragt worden. Die Serben sind nicht gefragt worden. Die Wahrheit ist, dass die Mehrheit über die Minderheit drübergefahren ist. Auch das ist ein Unterschied.

derStandard.at: Gäbe es eine Volksabstimmung in Südtirol, dann würde ja auch die Südtiroler Mehrheit über die Südtiroler Minderheit entscheiden – wie im Kosovo.

Neubauer: Nein, warum? Es gibt ein Modell der Freiheitlichen in Südtirol, das wir unterstützen. Nämlich: Wenn man von einem Zentralstaat los will, dann muss das nicht nur für die Deutschen und Ladiner gelten, sondern für alle, die in Südtirol leben – also auch für die Italiener. Die müssen in einer Volksabstimmung entscheiden, ob sie die Loslösung im Rahmen eines Freistaates wollen. Sie müssen entscheiden, ob sie von Italien wegwollen. Das müssen die Deutschen, Ladiner und Italiener gemeinsam entscheiden. Im Kosovo hat nicht das Volk, sondern die Politik entschieden.

derStandard.at: Aber die Deutschen stellen die absolute Mehrheit in Südtirol, die Italiener die klare Minderheit. Im Kosovo sind die Albaner die Mehrheit und die Serben die Minderheit. Es würde also die Mehrheit über die Minderheit entscheiden.

Neubauer: Man hat die Serben im Kosovo nicht gefragt. Die Italiener würden aber gefragt werden. Das ist schon ein qualitativer Unterschied. Außerdem wollen derzeit 33 Prozent der Italiener von Italien weg und fühlen sich als Südtiroler. Das ist so wie damals bei den Slowenen bei der Abstimmung in Kärnten. Die haben sich auch als slowenische Kärntner gefühlt. Das ist ja auch schön gewesen.

derStandard.at: Wenn eine Volksabstimmung in Südtirol kommen sollte, sollte Österreich die Volksabstimmung finanziell unterstützen?

Neubauer: Nein, überhaupt nicht. Wir werden das nicht finanziell unterstützen, sondern rein ideell und moralisch.

derStandard.at: Warum ist es eigentlich so wichtig, dass Südtirol zu Österreich kommt?

Neubauer: Das ist nicht wichtig. Mir geht es nur darum, eine Ungerechtigkeit zu beseitigen, die 1919 ihren Ursprung hat, als es ein Versprechen des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson für die Anwendung des Selbstbestimmungsrechtes gegeben hat. Es geht auch gar nicht um einen Anschluss, sondern allenfalls um einen selbstbestimmten Freistaat, der in das vereinte Europa eingebunden ist und nicht unter römischer Vormundschaft steht.

derStandard.at: Sind Südtirol und Österreich nicht durch die EU zusammengewachsen?

Neubauer: Ich halte nichts von Blödheiten wie der von Andreas Khol (Anm. ÖVP-Seniorenbundobmann), der immer sagt, dass es keine Grenze mehr am Brenner gäbe. Natürlich gibt es eine Grenze, auch wenn ich meinen Pass nicht mehr herzeigen muss. Alle dort lebenden Menschen unterliegen den italienischen Gesetzen und unterstehen einer römischen Zentralgewalt, die auch von immer mehr Italienern im Norden Italiens abgelehnt wird.

derStandard.at: Sie bezeichnen Südtiroler als österreichisches Volk. Zählen Sie den Slowenen, der Lederhose trägt und Jahrhunderte lang in der Monarchie lebte, auch dazu?

Neubauer: Der ist eh in unserem Antrag drinnen, als Altösterreicher eben.

derStandard.at: Der Antrag wurde am Parteitag eingebracht. Er enthält die Forderung, sich für die Altösterreicher einzusetzen. Aber es werden nur die Altösterreicher genannt, die Deutsch sprechen.

Neubauer: Natürlich. Weil sie damals im Rahmen der k.u.k.-Monarchie österreichische Staatsbürger waren. Und weil ihnen die selbstbestimmte Zugehörigkeit zur Republik Deutschösterreich verweigert worden war und sie in einen fremdnationalen Staat hineingezwungen wurden.

derStandard.at: Aber es geht Ihnen darum, dass die Vorfahren deutschsprachig waren.

Neubauer: Es geht um die Nachfahren der deutschen und ladinischen Volksgruppe aus der k.u.k.-Monarchie.

derStandard.at: Das klingt ein bisschen nach einem Traum eines deutschsprachigen Großösterreich.

Neubauer: Das wird es ja nicht mehr geben in der EU. Wir akzeptieren auch eine in Europa förderalistisch eingebundene Freistaatlösung. Aber man soll den Wunsch der Menschen respektieren. Und nicht zentralstaatlich von Brüssel aus meinen, man muss über alle Nationalstaaten hinweg Gesetze machen, die an den Menschen vorbeigehen.

derStandard.at: Vor wenigen Tagen hat sich der 50. Jahrestag der Feuernacht gejährt, bei dem Südtiroler Strommasten sprengten, um gegen Italien zu protestieren. Warum finden Sie, dass die Widerstandskämpfer – die "Bumser" – damals richtig gehandelt haben?

Neubauer: Die Italiener haben Südtirol gezielt unterwandert. Das römische Ziel war die Lösung der 51 Prozent, der italienischen Mehrheit im Lande. Dann wäre der Pariser Vertrag zum wertlosen Stück Papier geworden. Die Südtiroler haben gefürchtet, die eigene Identität zu verlieren, sie haben zu Recht um die eigene Volkskultur und Existenz gefürchtet. Das wurde damals von den österreichischen Regierungen anerkannt. Deshalb haben sie gesagt: Wenn der Staat in faschistischer Manier versucht, gewaltsam eine Minderheit auszulöschen, dann gibt es das Recht auf Notwehr. Die Widerstandskämpfer haben die Autonomie für ihr Land mit erstritten. Das sagen fast alle Historiker.

derStandard.at: Was unterscheidet die "Bumser" von der baskischen Terror-Organisation ETA, die mit Sprengstoff um ihre Unabhängigkeit von Spanien ringt?

Neubauer: Für die spanische Politik mag gelten, dass die ETA als terroristische Organisation angesehen wird. Ich kann und will das aber nicht leichtfertig bewerten. Ich kann nur für die Südtiroler reden: Sie haben für ihr Heimatland gekämpft.

derStandard.at: Aber können Sie mir erklären, wo der Unterschied zwischen der ETA und den Bumsern liegt?

Neubauer: Ich weiß es nicht, weil ich die Hintergründe und auch die Verhältnisse in Spanien zu wenig kenne. Ich hab nur gehört, dass Anschläge auf ihr Konto gehen. Aber ich weiß nicht, ob es dafür Beweise gibt – wie für den Zug-Anschlag in Madrid zum Beispiel. Wenn das die ETA gewesen wäre und wenn das ein Anschlag auf unbeteiligte unschuldige Menschen gewesen wäre, dann wäre das für mich Terrorismus.

derStandard.at: Sachbeschädigung ist also kein Terrorismus.

Neubauer: Man kann den Spruch von Bertolt Brecht heute überall auf Transparenten lesen: "Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht". Es ist kein Terrorismus, solange keine Menschenleben betroffen sind und es um das politische Signal des Aufbegehrens gegen größtes Unrecht geht, weil man sich dann gegen eine Staatsgewalt tatsächlich wehren muss. Nur wo wehrt sich ein internationaler Terrorist, der Hochhäuser in New York in die Luft sprengt?

derStandard.at: Es geht jetzt aber um Südtirol. Im Südtiroler Kampf gab es Opfer.

Neubauer: Natürlich. Aber es sind viele Menschen in Südtirol in menschenrechtswidriger Art und Weise gefoltert worden, dass man bis hinaus auf die Straßen die Schreie der Leute gehört hat. Das wird heute noch von italienischen Politikern negiert. Das finde ich für einen Politiker im Jahr 2011 ganz schäbig.

derStandard.at: Also Sie streiten nicht ab, dass die Sprengstoffanschläge der Bumser italienische Opfer forderte.

Neubauer: Inwieweit jemand durch entsprechende Anschläge zu Tode gekommen ist, kann man sehr schwer nachvollziehen. Die Folterungen haben jedenfalls bewirkt, dass sich die Freiheitskämpfer bewaffnet haben, um nicht der Gefangenschaft und der Folter anheim zu fallen. Da hat es natürlich eine Eskalation gegeben, an der Rom nicht unschuldig war. Daneben gab es aber auch noch eine provokative Rolle italienischer Geheimdienste, deren Taten man dann den Südtirolern in die Schuhe schieben konnte. Der italienische Geheimdienst hat durch neofaschistische Agenten bis nach Österreich Bomben legen lassen, wie die mittlerweile aufgeklärten Fälle der Anschläge in Ebensee und auf dem Bergisel bei Innsbruck und das versuchte Attentat auf das Sowjetdenkmal in Wien zeigen. Dabei hat es auch einen Toten und mehrere Schwerverletzte gegeben. (Benedikt Narodoslawsky, derStandard.at, 27.06.2011)