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Wien/London - Die Welt der Wissenschaft dreht sich wieder um die Verschränkung: ein Phänomen in der Quantenphysik, das die Forscher bisher an die kurze Leine legte. Bisher. Heute publiziert das britische Fachjournal Nature österreichische Experimente, in denen Wissenschafter diese Beschränkung der Verschränkung aufheben, damit erstmals den Weg der Quantenkommunikation über längere Distanzen ermöglichen - sei es für Kryptografie, das Übermitteln abhörsicherer Nachrichten, oder für Teleportation, die Übertragung von quantenphysikalischen Zuständen. Mit von der Partie: Anton Zeilinger, Leiter des Instituts für Experimentalphysik der Universität Wien.

"Spukhafte Fernwirkung"

Unter "Verschränkung" verstehen Quantenphysiker, dass ein Paar Photonen (Lichtteilchen) durch die Messung auch nur eines dieser Teilchen dieselben Eigenschaften hat, auch über große Entfernungen hinweg. Dieser Effekt wurde schon 1935 entdeckt, und Albert Einstein nannte ihn "spukhafte Fernwirkung".

Wird nun ein Photon eines solchen verschränkten Paares in seinen Eigenschaften verändert, ändert sich auch das zweite. Interagiert ein drittes Teilchen (beispielsweise jenes, das teleportiert werden soll) mit einem Photon dieses Paares, ändert sich das zweite Photon des Paars ebenfalls.

Teleportation, die Herstellung einer exakten Kopie eines Quantensystems an einem anderen Ort durch Ausnutzung der Verschränkung, betreibt Zeilinger schon seit 1997. Sie entspricht zumindest laienhaft ausgedrückt dem "Beamen" aus der Siencefiction-Serie "Raumschiff Enterprise": Das Original erlischt dabei, alle Informationen werden auf die Kopie übertragen. Zeilinger tat und tut dies mit Photonen. Die Teleportation größerer Objekte oder komplexer Materie, etwa eines Menschen, bleibt weiterhin der Filmindustrie überlassen.

Zunächst ahnungslos

In der Quantenphysik befinden sich jedenfalls die beiden verschränkten Teilchen in einer "Superposition", einem Überlagerungszustand, der den Zustand beider zugleich bestimmt. Entscheidend ist dabei, dass die Messung zugleich den Zustand der beiden Teilchen festlegt - die bis zur Messung nicht recht wissen, welchen Zustand sie denn eigentlich haben sollen.

Eine anschauliche Erklärung für dieses Phänomen stammt auch aus Österreich und ist "Schrödingers Katze": Dies gedankenexperimentelle Tier kann tot, lebendig oder beides sein, wenn sich die Katze in quantenphysikalischer Superposition befindet. Theoretisch wird sie aus dieser misslichen Lage erst durch die Messung ihres Herzschlags erlöst, bis dahin existiert sie in einer Art Geisterwelt.

Unlängst hat sich die Wissenschaft Erwin Schrödingers armem Schoßtier erbarmt und gezeigt, dass die Wechselwirkung mit der Umwelt, die so genante Dekohärenz, die Katze aus der Ungewissheit erlöst. Soll heißen: Selbst geringste Umwelteinflüsse destabilisieren die Superposition und heben die Verschränkung auf. Und hier kommt Zeilinger mit seinem Team.

Eines für das andere

Die Wissenschafter haben quasi Reinigungsstationen entwickelt, in denen der ursprünglich hohe Verschränkungsgrad - der über längere Distanzen durch Dekohärenz gestört wird - wiederhergestellt werden kann. Dazu werden in verschiedene Richtungen nicht ein verschränktes, sondern zwei Photonen-Paare geschickt. Auf ihrer Reise entlang eines polarisierenden Lichtstrahls wird ihre Verschränkung gestört. Durch Messung eines Paares verstärkt sich jedoch die Verschränkung des anderen Paares, wenngleich das gemessene Paar dabei draufgeht. Jenes aber, das übrig bleibt, ist wieder tipptopp beisammen.

Das Ganze lässt sich freilich mit noch mehr Photonen-Paaren und noch mehr Reinigungsstationen (bei denen jeweils 50 Prozent der Paare verloren gehen) machen - bis zu welcher Distanz, wollen die Wiener Physiker demnächst erforschen. Nature fand das jedenfalls derart aufregend, dass es erstmals sein Titelblatt der Quantenoptik widmet. (Andreas Feiertag/DER STANDARD, Printausgabe, 22.5.2003)