In Salzburg: Gerd Bacher, ein "Sohn des Glücks", mit seiner Tochter Helga Rabl-Stadler und seinem Enkel Maximilian Rabl.

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DER STANDARD-Schwerpunkt Thema Glück.

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STANDARD: Sie, Herr Bacher, waren 20 Jahre lang ORF-Generalintendant. Sie, Frau Rabl-Stadler, waren u. a. Journalistin und sind nun Präsidentin der Salzburger Festspiele. Was bedeutet Glück für Sie?

Bacher: Ich habe mir über das Glück noch nie den Kopf zerbrochen, aber ich weiß, dass ich ein Sohn des Glücks bin. Weil ich fast mein ganzes Berufsleben hindurch meinen Vorstellungen entsprechend arbeiten konnte. Den ORF führen zu dürfen hielt ich jeden Tag während dieser 20 Jahre für das Glück meines Lebens. Wenn ich mir vorstelle, wie viele Menschen Jahrzehnte mit ungeheuerlicher Routine und Langeweile verbringen müssen - und ich habe immer Herausforderungen und tolle Begegnungen gehabt: Dann weiß ich, dass ich dem Herrgott oder dem Schicksal zu großem Dank verpflichtet bin.

Rabl-Stadler: Ich sehe es ähnlich. Ich fühle mich als Tochter des Glücks. Ich habe, um mich vorzubereiten, hunderte Zitate über das Glück gelesen. Eines, das mir besonders gut gefallen hat, ist von Hesse: "Glück ist kein Objekt, das ist ein Talent." Ja, ich glaube, dass wir beide Talent zum Glück haben. Weil wir auch dankbar dafür sind, was uns in verschiedenen Situationen gelungen ist. Ich bin dankbar, dass ich mit 63 Jahren, in einem Alter, in dem viele andere schon in Pension sein müssen, weiß, noch viele Jahre Festspiele vor mir habe.

STANDARD: Ist das bei der jüngeren Generation auch so? Sie, Herr Rabl, sind 34 Jahre alt und arbeiten in München für das E-Commerce-Unternehmen Limango.

Rabl: Das zuvor Gesagte teile ich. Aber ich lege mehr Wert auf mein privates Glück als meine Mutter und mein Großvater. Und ich stehe mehr dazu, auf das private Glück Wert zu legen. Ich glaube, für das Glück wie das Unglück braucht es mehrere Dimensionen. Ich könnte nicht glücklich sein, wenn ich in einem Lebensbereich Unglück hätte.

Bacher: Das stimmt. Glück ist für mich ein im Moment wunschloser Zustand, von hoher Emotion aufgeheizt. Das kann aus völlig unterschiedlichen Anlässen, aber zuvorderst beruflichen zustande kommen. Glück ist auch - und das ist nicht kitschig gemeint: Wenn ich nach Haus komme, strahlt mich meine Frau - sie ist meine vierte - mit einer solchen Freude an, als wäre ich gerade aus dem Weltraum zurückgekommen. So angestrahlt haben mich zuvor nur zwei Menschen: meine Tochter Helga - und meine leider schon verstorbene Mutter. Da könnte ich nicht sagen: Das eine ist das kleine, das andere das große Glück. Glück ist, wenn es echt ist.

STANDARD: Ändert sich die Idee von Glück im Laufe des Lebens?

Rabl-Stadler: Ich empfinde eher das Unglück anders. Früher war ich oft wahnsinnig unglücklich. Und heute kann ich zu mir sagen: "Bitte hör auf mit diesem Selbstmitleid!" Der Glücksbegriff hingegen hat sich nicht geändert. Ich kann mich nach wie vor riesig freuen - über kleine wie über große Dinge. Wenn ich mit meinem Vater rede und rede und dazu eine Flasche Wein trinke: Das empfinde ich als ein Riesenglück. Das private Glück bedeutet natürlich auch mir sehr viel. Sicher waren die glückhaftesten Momente, als Max und Sebastian aus mir herausgepurzelt sind.

STANDARD: Vor einem Jahr wurden Sie, Herr Rabl, Vater von Zwillingen. Ist Glück daher etwas anderes als in der Schulzeit?

Rabl: Gute Noten waren für mich kein Glücksbringer. Aber wir hatte eine sehr engagierte Mathematiklehrerin, die mit uns ein Theaterstück einstudiert hat. Daran erinnere ich mich gerne zurück - ich nehme daher an, dass ich glücklich war. Aber schon damals hat gegolten: Die Schule allein macht mich nicht glücklich. Und jetzt macht mich nicht allein der Beruf glücklich. Sicher sind Kinder eine neue Dimension privaten Glücks.

Bacher: Darf ich etwas ergänzen? Ich, gleicher Streber wie meine Tochter, hab mir natürlich auch alle möglichen philosophischen Gedanken herausgesucht. Kant hat sich seitenlang darüber ausgebreitet, dass Glück nur eine edle Sache ist, wenn sie auf höchster Sittlichkeit und höchster Pflichterfüllung beruht. Das ist ungefähr das Gegenteil dessen, was wir heute als Glück empfinden. Ich halte das Popzeitalter für das doofste der Weltgeschichte, aber in dieser Frage ist mir unsere Auffassung, dass Glück eine nicht vom Hirn, sondern von der Emotion gesteuerte Sache ist, schon wesentlich lieber.

STANDARD: Stimmt es, dass, wer viel Glück hat, auch viele Neider hat?

Bacher: Das stimmt. Ich kann nur mit dem banalen Satz antworten: Den Neid muss man sich hart erarbeiten. Und da war ich schon immer sehr arrogant. Ich sagte mir: Gott sei Dank bin ich einer, den man beneidet.

Rabl-Stadler: Meine Mutter hat immer gesagt: Lieber Neid als Mitleid. Zum Glück fällt mir der Neid der anderen gar nicht auf.

STANDARD: Auch zu Beginn Ihrer Zeit bei den Festspielen? Da waren die Vorbehalte schon sehr massiv.

Rabl-Stadler: Dass man mir eine Aufgabe nicht zutraut: Das hat mich schon sehr getroffen. Aber mein Vater hat mir erzählt, was er alles erleben musste. Das war sehr hilfreich. Heute stecke ich Neid anders weg.

Rabl: Ich glaube nicht, dass sich der Neid auf das Glück bezieht, sondern auf die Position. Du, Großvater, hättest todunglücklich sein können als Generalintendant - trotzdem wären Leute neidisch gewesen.

Bacher: Das stimmt.

Rabl: Ich selber habe zum Glück keine großen Neidprobleme in meinem Leben. Aber ich habe auch keine so exponierte Stellung.

STANDARD: Hat Glück auch mit Zufall zu tun?

Bacher: Ganz sicher. Beim Lotto einen fünffachen Jackpot zu gewinnen - das ist garantiert ein Zufall.

Rabl-Stadler: Die Frage ist, wie es Kreisky formuliert hat: Was tut der Dumme mit dem Glück?

Rabl: Die Frage ist eher: Reden wir von Glück im Sinn von "luck" oder im Sinn von "happiness"? "Happiness" hat, glaube ich, sehr wenig mit Zufall zu tun. Weil man viele Situationen gestalten kann. Und weil man sich entscheiden kann, eine Situation positiv zu sehen oder nicht. Das geht beim Lotto nicht. Aber das ist eben "luck".

Bacher: Die Lebensfreude ist eine der größten Triebkräfte für Glück. Ich bin fest davon überzeugt, dass Pessimisten weniger Glück haben als Optimisten.

Rabl-Stadler: Dem stimme ich zu. Der Pessimist sieht nicht, wo das Glück liegt. Oder er wartet auf ein großes Glück - und versäumt das kleine Glück.

Rabl: Das Wesentliche ist, nicht nach dem großen Glück zu suchen, wenn das kleine schon da ist - und deswegen das kleine Glück nicht zu schätzen zu wissen.

STANDARD: Stimmt daher der Satz: Jeder ist seines Glückes Schmied?

Bacher: Ich würde das auch sagen.

Rabl-Stadler: Das gilt nicht in einem Armuts-, in einem Kriegsgebiet. Das wäre zynisch. Aber in Mitteleuropa stimmt der Spruch.

Rabl: Nun ja. Vor 60 Jahren war Glück Frieden. Vor 30 Jahren war Glück, sich von seinen Eltern emanzipieren zu können. Und heute ist für viele gut ausgebildete Leute meiner Generation Glück, irgendwann einmal einen guten Job zu finden. Das ist der entscheidende Unterschied: Glück ist bereits, etwas zu behalten, was die letzte Generation für selbstverständlich hielt. Vollbeschäftigung oder Pensionen zum Beispiel.

STANDARD: Sind, wie ein US-Psychologe meint, Fett, Salz, Zucker und Sex die größten Glücksbringer?

Bacher: Das ist ein blöder Spruch.

Rabl: Da fehlt etwas: Die Musik!

Rabl-Stadler: Danke, Schatzl! Musik ist überhaupt einer der größten Glücksbringer. Wenn man in einer Mozart-Matinee sitzt, glaubt man, man wird von den Engeln in den Himmel getragen. Aber nicht nur Musik, auch Literatur ist ein Glücksbringer. Erst kürzlich las ich Peter Handke. Wir bringen ja im Sommer sein Stück Immer noch Sturm zur Uraufführung. Je länger ich las, desto glücklicher wurde ich. Mich kann ein Buch in einen Glücksrausch versetzen.

Rabl: Das kann aber auch die Populärkultur.

STANDARD: Da Sie, Frau Präsidentin, lange ein Modegeschäft führten: Macht Shopping glücklich?

Rabl-Stadler: Früher hat es mir überhaupt keine Freude gemacht. Denn da war es Arbeit. Da musste ich mir immer überlegen, ob das, was ich im März einkaufe, den Kunden im Oktober gefällt. Jetzt hingegen ist Shopping pure Freude. Und ich muss zugeben, dass ich nach einer unangenehmen Sitzung nicht nur einmal in mein Lieblingsschuhgeschäft gegangen bin, um mir neue Schuhe zu kaufen. Auch diese, die ich grade trage, waren so ein Kauf.

STANDARD: Eine letzte Frage: Ist Gesundheit Glück?

Bacher: Je älter man wird, desto triftiger ist diese Frage. Wenn man immer nur sagt: "Hoffentlich werd ich nicht krank" - dann halte ich das für einen überflüssigen Selbstterror. Wenn man aber eine ernstere Geschichte überwinden konnte, dann ist es Glück. Gesundheit ist nicht alles, aber alles ist nichts ohne Gesundheit.

Rabl-Stadler: Angesichts der Tatsache, dass meine Mutter an den Rollstuhl gefesselt ist, habe ich täglich vor Augen, dass ohne Gesundheit alles nichts ist.

Rabl: Gesundheit ist immer ein sehr elementarer Bestandteil des Glücks. Aber nicht nur im Alter: Bis zum 60. Lebensjahr ist das erste Jahr das gefährlichste. Das muss man erst einmal überleben. (Thomas Trenkler/DER STANDARD; Printausgabe, 22./23.6.2011)