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2 x 7 Minuten dauert jede Partie auf dem Kleinbetonfeld. 13 WM-Spiele wird Österreich in Paris absolvieren. Gilbert Prilasnig ist der Teacmhef.

Fotos: APA/Reuters

Die Idee wurde 2001 in Kapstadt dem Kongress des International Network of Street Papers präsentiert. Die Idee des Schotten Mel Young (57) und des Österreichers Harald Schmied (43), Menschen, die infolge von Obdachlosigkeit, Drogenabhängigkeit oder schlicht Heimatlosigkeit am Rand der Gesellschaft leben, durch Fußball in deren Mitte zu holen. "Keiner ist nur obdachlos oder alkoholabhängig. Jeder muss die Chance haben zu zeigen, was er draufhat, und daraus Mut für die Zukunft zu schöpfen" , sagt Schmied, der Mitinitiator des Homeless World Cups. Das Street-Soccer-Projekt hat sich ausgewachsen seit der Erstauflage 2003 in Graz. Es gastierte auch schon in Südafrika, Australien und Brasilien.

Vom 21. bis 28. August findet das Turnier auf dem Pariser Champ de Mars statt, am Fuße des Eifelturms. 64 Teams, je drei Feldspieler und ein Goalie, kicken auf Betonplätzen mit Banden um den Titel. Mehr als 50.000 Besucher werden erwartet. Turnierdirektor ist Arsenals Coach Arsène Wenger. Österreich, Weltmeister 2003 und Vize 2004, strebt einen Platz unter den Top 15 an. Es wird ein einmaliges Erlebnis für die Spieler, auch weil jeder nur einmal diese WM schmücken darf.

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Standard: Wie kommt ein ehemaliger Profi und Internationaler dazu, Teamchef der Obdachlosen-Nationalmannschaft zu werden?

Prilasnig: Es wurde nach dem ersten Homeless World Cup eine Art Aushängeschild gesucht, und ich wurde gefragt, ich glaube als Dritter. Mir hat die Idee imponiert und auch, dass das ursprünglich eine Initiative aus Österreich ist. Ich kann mich sozial engagieren, mein Wissen einbringen, meine Zeit zur Verfügung stellen. Das ist mir lieber, als einfach nur irgendwohin Geld zu spenden. Ich sehe die Ergebnisse meiner Arbeit.

Standard: Wie viel Zeit investieren Sie in diese Tätigkeit?

Prilasnig: Ich bin seit dem zweiten Homeless World Cup dabei. Also seit 2004. Pro Jahr wende ich sicher 20 bis 25 Tage dafür auf. Und ich werde sicher noch einige Zeit weitermachen.

Standard: Wie findet man Spieler für diese spezielle Mannschaft?

Prilasnig: Es gibt einige traditionelle Obdachlosenturniere, etwa in Wien und Graz. Viele Kandidaten kommen über soziale Einrichtungen, werden zum Beispiel von ihren Betreuern direkt an uns verwiesen. Derzeit ist die Sache noch sehr auf den Osten Österreichs beschränkt. Das Ziel ist, mit der neuen Initiative Goal eine professionellere Basis zu schaffen, eine Street League, wie sie etwa schon in England existiert.

Standard: Welche Voraussetzungen müssen die Spieler erfüllen?

Prilasnig: Die Initiative richtet sich an Menschen, die wohnungslos sind oder im vergangenen Jahr wohnungslos waren. An Asylwerber, an Konventionsflüchtlinge mit positivem Aufenthaltstitel, an Menschen, die einen Alkohol- oder Drogenentzug machen oder in den vergangenen beiden Jahren gemacht haben. Oder an Leute, deren Einkommen der Verkauf von Straßenzeitungen ist. Ja, und sie müssen Fußball spielen.

Standard: Was können Sie den Menschen, die zu Ihnen kommen, vermitteln? Geht das über das rein Fußballerische hinaus?

Prilasnig: Meine Spieler sind aus ihrer problematischen Lebenssituation heraus zu Einzelkämpfern geworden. Die größte Herausforderung ist es, ihnen Teamfähigkeit beizubringen. Es geht um den Wert des gemeinsamen Erlebens. Disziplin gehört sicher auch dazu, um schon im Vorfeld Reibereien auszuschließen.

Standard: Österreich gewann 2003 in Graz den ersten Homeless World Cup mit einem Team aus Asylwerbern. Können die besser kicken?

Prilasnig: Das sind zumeist junge Menschen, die einfach fitter sind. Der Anteil von Asylwerbern ist aber zurückgegangen, weil es für die meisten aus rechtlichen Gründen unmöglich ist zu reisen. Es ist ja schon schwierig, sie von Graz nach Wien zu bringen. Eine Ausnahme sind Menschen aus Afghanistan, die sind sogenannte subsidiär Schutzberechtigte und haben daher die Chance auf Ausstellung eines Fremdenpasses.

Standard: Spielen viele Afghanen?

Prilasnig: Afghanistan hat viele unglaublich gute Straßenfußballer. Ich bin immer wieder überrascht, welches Potenzial dieses Land hat. Den World Cup 2008 in Australien haben sie gewonnen. Und nächstes Jahr soll es sogar eine afghanische Frauenmannschaft geben. Der Onkel eines ehemaligen Spielers von mir ist Politiker in Afghanistan und will das organisieren. Auch in meiner Mannschaft für Paris werden hoffentlich Afghanen stehen.

Standard: Sie werden in Ihrer Funktion sicher mit sehr vielen traurigen Lebensgeschichten konfrontiert. Wie gehen Sie damit um?

Prilasnig: Die Vergangenheit der Spieler ist kein Thema für mich. Bei uns geht es vor allem um die Zukunft, um das, was sie aus dem Erleben des Homeless World Cup mitnehmen können. Mir war aber nie so bewusst, welche entscheidende Rolle die Droge Alkohol spielt, die bei uns geradezu gefördert wird, aber wegen ihrer sozialen Folgen für mich viel gefährlicher als etwa das Nikotin ist. Tatsache ist, dass mit Ausnahme der Asylwerber die überwiegende Mehrheit meine Spieler vor allem durch Alkohol in ihre Situation gekommen ist. Wenn ich das Tamtam ums Rauchen sehe und wie leicht man an eine Droge wie Alkohol kommt, wenn ich von organisierten Saufereien für Jugendliche höre, könnte ich schreien.

Standard: Herrscht im Nationalteam Alkoholverbot?

Prilasnig: Natürlich, strengstes Alkoholverbot. Rauchen tun aber viele wie die Voest.

Standard: Müsste nicht das Ziel Ihrer Arbeit die eigene Abschaffung mangels sozialer Not, ja schlicht die Undurchführbarkeit des Homeless World Cup sein?

Prilasnig:Ja, vielleicht gelingt uns das einmal für Österreich. Ich muss aber immer an den Coach der russischen Auswahl denken. Der hat mir gesagt, dass sein Reservoir an Spielerinnen und Spielern immer größer wird, es sind viele Millionen - leider. (Sigi Lützow, DER STANDARD Printausgabe, 18./19.6.2011)