Der Deutsche Werner Hoyer teilt die Kritik des scheidenden US-Verteidigungsminister Gates an den europäischen Nato-Mitgliedern. "Wir verlassen uns darauf, dass die Amerikaner immer da sind."

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Der deutsche Außenamts-Staatsminister Werner Hoyer über das zweite Griechenland-Hilfspaket, die EU-Chancen Serbiens und die Schwäche Europas in der Nato im Gespräch mit Thomas Mayer und Julia Raabe.

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Standard: Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy sind einig, dass private Gläubiger an der zweiten Griechenland-Hilfe beteiligt werden sollen. Wie sieht der Kompromiss aus?

Hoyer: In Frankreich greift mehr und mehr die Erkenntnis, dass es der Bevölkerung nicht vermittelbar ist, wenn man mit Griechenland-Anleihen unglaubliche Risikoaufschläge als Gewinn einsacken kann, aber das Risiko beim Steuerzahler bleibt. Deshalb geht an einer Beteiligung der Gläubiger kein Weg vorbei.

Standard: Was bedeutet das?

Hoyer: Man muss die Länge des Kreditzeitraums mit berücksichtigen und einen Weg finden, der nicht dazu führt, dass bei den Rating-Agenturen und im Finanzsystem sofort ein Kreditausfall entsteht. Und auch die Dimension, in der das internationale Finanzsystem im Zweifel davon getroffen wird. Kein Mensch hat ein Interesse an einem neuen Lehman-Brothers-Fall. Deshalb gibt es für die Privatsektor-Beteiligung auch Grenzen.

Standard: Deutschland wird vorgehalten, zu sehr auf der Bremse zu stehen und damit den Zusammenbruch Griechenlands zu provozieren. Die politische Krise verschärft das noch.

Hoyer: Diesen Vorwurf der Verzögerung gab es schon im Vorjahr. Aber es wäre damals ein Desaster gewesen, wenn wir früher eingestiegen wären, weil wir dann den Währungsfonds nicht an Bord gehabt hätten. Es war der Druck aus Deutschland, der dafür gesorgt hat, dass der IWF als Wächter der Reformen an Bord ist, der sehr viel härter vorgeht, als das die EU-Kommission und Zentralbank allein getan hätten.

Standard: Was nützt das, wenn Griechenland unregierbar wird?

Hoyer: Wir müssen eine Hilfsentscheidung treffen - nicht wissend, ob Griechenland den politischen Willen aufbringt, seine strukturellen Probleme anzugehen. Im griechischen Staatsaufbau gibt es riesige Schwachstellen, die man angehen wollen muss, wenn man eine Aussicht haben will, aus der Krise herauszukommen. Wir reden zu sehr über Einsparungen und zu wenig über eine wirtschaftliche Perspektive.

Standard: Man hat den Eindruck, Berlin lässt die Griechen zappeln.

Hoyer: Wir sind in einer sehr harten Verhandlungsphase, die unter extremem Zeitdruck stattfindet. Wir können den Tag benennen, an dem in Griechenland finanziell Schluss ist.

Standard: Merkel und Sarkozy sprechen nun davon, dass private Gläubiger nur freiwillig beteiligt werden sollen. Lässt sich das den Bürgern vermitteln?

Hoyer: In den Kreditverträgen steht nichts von einer unfreiwilligen Beteiligung. Wenn man nicht all diese Verträge hochgehen lassen will, muss man darauf setzen, dass es zu einer freiwilligen Beteiligung kommt. Sonst werden die Finanzmärkte dicht machen - und Griechenland wird über lange Zeit keine Chance haben, auf dem Kapitalmarkt irgendeinen Cent aufzunehmen.

Standard: Wird es beim EU-Gipfel nächste Woche eine Vereinbarung zur aktuellen Griechenland-Hilfe geben? Es gibt das Gerücht, die Kanzlerin wolle die Entscheidung auf September verzögern.

Hoyer: Nein, die Kanzlerin unterscheidet zwischen dem, was jetzt an Griechenland-Hilfe nötig ist und was hinterher über den permanenten Euro-Rettungsfonds (ESM, Anm.) strukturell entschieden werden muss, um den Euro krisenfest zu machen.

Standard: Dieser ESM soll private Gläubiger per EU-Vertragsänderung ab 2013 zur Kostenbeteiligung verpflichten. Wird er, wie im März beschlossen, beim Gipfel verabschiedet?

Hoyer: Nein, der ESM kommt im Herbst. Wir haben dem Parlament noch nicht einmal eine Vorlage zukommen lassen. Wenn man der ganzen Sache mit Griechenland zum Erfolg verhelfen will, muss man die Dinge Schritt für Schritt anpacken und kann nicht jetzt schon den ESM mit hineinrühren.

Standard: Stichwort EU-Erweiterung: Wird der EU-Beitritt Kroatiens beim Gipfel abgesegnet - und was kann sich Serbien erhoffen?

Hoyer: Dass wir es geschafft haben, mit Kroatien so weit zu kommen und kurz vor dem Abschluss stehen, erfüllt mich mit großer Freude. Da war ich vor wenigen Monaten nicht so sicher. Was Serbien betrifft: Das ist noch ein langer Weg bis zum Kandidatenstatus. Wir sind der Auffassung, die Grenzen auf dem Balkan sind gezogen. Wir verhandeln umso mehr, um pragmatische Lösungen für das Zusammenleben der Menschen im Nordkosovo oder auch im Hinblick auf den Zusammenhalt des Staatsverbandes von Bosnien-Herzegowina zu finden. Da muss sich die serbische Innenpolitik noch einen Ruck geben.

Standard: Berlin hat die Entscheidung für den Libyen-Einsatz im Sicherheitsrat nicht mitgetragen. Sehen Sie sich bestätigt?

Hoyer: Wenn das so wäre, würde ich es nicht sagen. Wir wollen den Erfolg unserer Partner. Es wäre völlig daneben, jetzt besserwisserisch aufzutreten. Die Aktion basierte auf dem guten Willen, in Bengasi eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Das ist okay, aber wir hatten den Eindruck, es ist nicht vom Ende her gedacht. Jetzt müsste man wieder der Diplomatie und der Politik eine Chance geben.

Standard: Was ist die Perspektive?

Hoyer: Es findet ein furchtbarer Auszehrungskrieg statt, der auch für unsere Nato-Partner langsam problematisch wird. Ich sehe, dass der Druck in den USA immer größer wird, das Problem den Europäern zu überlassen.

Standard: Bleibt es beim Nein zu einer militärischen Beteiligung?

Hoyer: Klare Antwort: Militärische Beteiligung nein, aber das heißt nicht, dass wir neutral sind.

Standard: Der scheidende US-Verteidigungsminister Robert Gates hat harte Kritik am mangelnden Engagement der Europäer in der Nato geübt. Ihre Antwort?

Hoyer: Ich teile die Kritik von Gates, was die Ungleichbelastung der Bündnispartner angeht. Die Europäer müssen realisieren, dass wir die Friedensdividende früh eingefahren haben und uns darauf verlassen, dass die Amerikaner immer da sind. Was ich für einen Skandal gehalten habe ist, dass Europa bei Libyen nicht sichtbar geworden ist, es nicht einmal den Versuch unternommen hat, zu einer gemeinsamen europäischen Position zu kommen.

Standard: Kritiker sagen: Vor allem Deutschland tut zu wenig.

Hoyer: Wir hätten in dem Punkt in der Tat viel früher den Finger in die offene Wunde legen müssen. Von der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ist immer noch viel zu wenig zu sehen.  (DER STANDARD, Printausgabe, 18.6.2011)