Zoe Lefkofridi: "In Griechenland gibt es eine ganz schwache Zivilgesellschaft, jetzt beginnt diese Apathie zu bröckeln und die Leute strömen auf die Straßen."

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Tanz und Musik zeigen die eine Seite der Proteste auf dem Syntagma-Platz.

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Gewalt und Verhaftungen die andere.

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Bis zu 500.000 Menschen auf den Straßen Athens.

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Mit Laserpointern werden die Abgeordneten im Parlament belästigt.

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Was in Spanien die Indignados, die Empörten, sind im krisengeschüttelten Griechenland die Aganaktismenoi. Seit drei Wochen wird auf dem Syntagma-Platz in Athen in steigender Intensität gegen den von der EU oktroyierten Sparkurs demonstriert. Schlagzeilen machten bisher vor allem die Ausschreitungen, zu denen es am Rande der Proteste gekommen ist. Die Politikwissenschafterin Zoe Lefkofridi von der Universität Wien, eine gebürtige Athenerin, war bis Anfang der Woche dort und hat mit Dutzenden Protestierenden gesprochen. Im Interview mit derStandard.at schildert sie ihre Beobachtungen aus dem Zentrum des griechischen Widerstands gegen eine verlotterte politische Klasse.

derStandard.at: Sie kommen gerade vom Syntagma-Platz in Athen. Erinnert er Sie mehr an den Tahrir-Platz in Kairo oder an die Madrider Puerta del Sol?

Zoe Lefkofridi: Viele Leute, mit denen ich in Athen gesprochen habe, fühlen sich durch die spanischen Demonstranten inspiriert und ermutigt. Die Forderungen sind jenen der Spanier sehr ähnlich, beide fordern Gerechtigkeit, etwa durch die Abschaffung der Immunität für Politiker. Die Bürger dort wollen, drastisch ausgedrückt, Blut sehen, wollen, dass Politiker, die für die Situation verantwortlich sind, vor Gericht und ins Gefängnis kommen. Sie wollen die Gleichbehandlung von Abgeordneten, Beamten und Bürgern vor dem Gesetz. Die Art und Weise, wie demonstriert wird, hat aber durchaus Parallelen zu Ägypten, etwa die Mobilisierung via Facebook.

derStandard.at: Wie sieht es auf dem Platz aus?

Lefkofridi: Es ist sehr friedlich und offen, der Platz wirkt nicht besetzt, jeder kann vorbeikommen, sich informieren und teilnehmen. Es gibt zum Beispiel eine so genannte Bank der Zeit, wo Leute Dienstleistungen untereinander austauschen. Man kann zum Beispiel Spanischunterricht geben und dafür Leute finden, die einem die Wohnung ausmalen. So soll ein alternatives Leben ohne Geld ausprobiert werden. Es herrscht große Solidarität, Leute aus der Nachbarschaft bringen den Demonstranten Wasser und Essen in Tupperware. Bisher ist es auch gelungen, die Parteien und vor allem die Rechtsextremen vom Platz fernzuhalten. Die Demonstranten reden nicht gerne mit den Medien, die sie bisher ohnehin meistens ignoriert haben. Es gibt dafür eine eigene Website, real-democracy.gr. Pädagogen kümmern sich um die Kinder der Demonstranten, Juristen geben rechtliche Tipps, Künstlergruppen Konzerte. Jeden Abend gibt es eine Versammlung, wo jeder das Recht hat, etwas zu sagen. Es gibt Nummern und man wird aufgerufen, kann seine Forderungen loswerden und dann wird abgestimmt, ob sie angenommen werden oder nicht.

derStandard.at: Welche Leute demonstrieren dort?

Lefkofridi: Hauptsächlich Betroffene der Krise. Es gibt natürlich viele Arbeitslose, die ihre Zeit der Bewegung widmen, aber auch Menschen, die Teilzeit- oder Vollzeitjobs haben und nach Dienstschluss auf den Syntagma-Platz strömen. Es gibt keine Hierarchien, jede Gruppe hat Repräsentanten, die für zwei oder drei Tage da sind und dann gibt es eine Rotation. Kommunikationsbeauftragte tauschen zwischen den einzelnen Gruppen Informationen aus, die Entscheidungen der Bewegung werden von diesen Leuten dann etwa in den anderen Stadtbezirken Athens annonciert. Es gibt jetzt auch in anderen Städten Demonstrationen, etwa in Sparta und Thessaloniki.

derStandard.at: Sind das organisierte, protesterfahrene Menschen?

Lefkofridi: Wir haben bei unseren Interviews auch gefragt, ob die Leute auf dem Syntagma-Platz Erfahrung von Demonstrationen haben, ob sie etwa 2008 bei den Protesten nach dem Tod von Alexandros Grigoropoulos dabei waren. Manche sagten ja, ganz viele Leute demonstrieren aber überhaupt zum ersten Mal. In Griechenland gibt es eine ganz schwache Zivilgesellschaft, jetzt beginnt diese Apathie zu bröckeln und die Leute strömen auf die Straßen. Das sind nicht unbedingt sehr politische Menschen, aber vielen reicht es ganz einfach.

derStandard.at: Bekommen die Politiker, die sich im Parlament am Syntagma-Platz treffen, von den Ereignissen draußen überhaupt etwas mit?

Lefkofridi: Natürlich bekommen sie das mit. Es gibt auf dem Platz eine Struktur, am oberen Teil, nahe des Parlaments, stehen die Wütenden, die schimpfen und schreien und Laser haben, mit denen sie ständig in die Fenster des Parlaments strahlen. Unten stehen die ruhigeren Demonstranten mit ihren Zelten und Veranstaltungen. Diese Gruppen bewegen sich untereinander, ein Mann hat mir erzählt, dass er alle paar Stunden für kurze Zeit vom ruhigen in den wütenden Teil der Demonstration wechselt und seiner Wut Luft macht. Die gewalttätige Minderheit, die mit Kapuzen über dem Kopf bei jeder Demonstration Krawall macht, ist von der Bewegung der Empörten unerwünscht. Am Sonntag, als 500.000 Menschen auf der Straße waren, hat ein Mann innerhalb des Protestzugs etwas in Richtung der Polizisten geworfen und wurde von den Leuten um ihn herum eindringlich davor gewarnt, dies noch einmal zu tun. Die Bewegung will friedlich bleiben.

derStandard.at: Nehmen Sie Premier Giorgos Papandreou sein Bemühen ab, Griechenland zu reformieren?

Lefkofridi: Was Papandreou gemacht hat, finde ich nachvollziehbar, er hat versucht, einen Konsens herzustellen. Aber nicht einmal innerhalb seiner Partei gibt es diesen Zusammenhalt, die Gewerkschaften etwa vollen ihre Privilegien nicht verlieren. Er hat kein besonders gutes Standing in der Partei, wurde von vor der Krise in Frage gestellt, jetzt noch viel mehr. Zwei Abgeordnete seiner PASOK sind zurückgetreten, was meiner Meinung nach völlig falsch ist, weil jetzt nicht die Zeit für Rücktritte ist. Es gibt auch keine konstruktive Opposition, sowohl die Konservativen als auch die Kommunisten schlagen Wahlen vor, was meiner Meinung nach in dieser Situation nur Kosten bringt und von der Bevölkerung nicht gewollt wird, weil derzeit überhaupt keine Partei Glaubwürdigkeit hat.

derStandard.at: Was würde eine Regierung der nationalen Einheit denn bringen?

Lefkofridi: Sie würde dem Premier Legitimität bringen, denn seine Mehrheit im Parlament schmilzt mehr und mehr davon. Gegenüber der EU wäre eine solche Regierung eine Garantie, dass die Reformen langfristig sind und nach der nächsten Wahl nicht wieder revidiert werden. Außerdem wäre eine Einbindung der Opposition ein Mittel gegen den Populismus, ein Zeichen, dass alle Politiker zusammen für Griechenland arbeiten. Die Opposition denkt aber nur an die nächste Wahl, sieht die Wut der Bevölkerung und will deshalb nicht bei dem Sparkurs mitmachen. Das finde ich unverantwortlich. Auf dem Syntagma-Platz sind keine Parteifarben und -fahnen erlaubt, weil die Menschen genug haben von dem Parteiensystem und von der Spaltung der Gesellschaft. Das sollten die Politiker endlich auch schaffen. (flon/derStandard.at, 16.6.2011)