Charles E. Ritterband ist Korrespondent der "Neuen Zürcher Zeitung" in Wien - und "Aufdecker" der derzeitigen politischen Gemütslage des Bundespräsidenten.

foto: DER STANDARD

Spätestens jetzt wird es dem ausländischen Beobachter bewusst, dass es am Wiener Ballhausplatz zwei Machtzentren gibt: das der politischen Strategien und konkreten Befugnisse, zentrale Schaltstelle eines weit verzweigten Regierungsapparates - und jenes andere, quasi- monarchische mit seinen prunkvollen, aber oft leeren Sälen, den goldenen Ornamenten, den historischen Gemälden und den erblindeten Spiegeln. Dass Rivalität, ja Antagonismus und Argwohn herrschen zwischen diesen beiden Zentren der Macht, ist längst kein Geheimnis mehr. Präsident und Kanzler sind die Akteure in diesem bisher stummen Zweikampf, der nun über Nacht schrill geworden ist. Beide Machtträger berufen sich auf ihre demokratische Legitimation, beide stützen sich auf ein komfortables Stimmenpolster - und beide handeln, dies sei ihnen als ehrliche Überzeugung belassen, zum Besten von Volk und Nation.

Der eine der beiden Antagonisten ist dabei, seine politischen Ziele mit den ihm zur Verfügung stehenden Machtmitteln - und diese sind inzwischen, wie man weiß, nicht unerheblich - durchzusetzen. Über Zielsetzungen, Mittel und Stil lässt sich streiten, und diese Kontroverse ist schließlich das Alltagsgeschäft der Politik. Die Rolle des Regierungschefs - von Werten, Zielen und Methoden abgesehen - ist klar definiert, daran gibt es kaum zu rütteln.

Anders auf der gegenüberliegenden Seite des Ballhausplatzes. Die Rolle des Bundespräsidenten ist eine offene. Spielraum und Machtkompetenzen, die ihm die Verfassung überlassen, sind beachtlich. Was er allerdings daraus macht, ist Sache seiner Persönlichkeit, seines Charakters, Temperaments, seiner Geschicklichkeit und Intelligenz. Die Person prägt das Amt, was natürlich eine banale Aussage ist - doch im Falle des österreichischen Staatsoberhauptes gilt dies in ganz besonderem Maße.

Dieser Korrespondent erinnert sich an seinen vorletzten Posten, London: Der politische Spielraum der Queen ist klar definiert und beschränkt sich auf den Auftrag zur Regierungsbildung und die quasi- zeremonielle Verlesung der Thronrede, dem stichwortartigen Konzentrat des jeweiligen Regierungsprogramms. Dieses hat die konstitutionelle Monarchin zu verlesen, sie tut dies wortgetreu und in emotionslos-monotonem Tonfall. Eine auch nur angedeutete, auch nur unterschwellig suggerierte Missfallenskundgebung über die Regierung und deren Protagonisten wäre in Großbritannien undenkbar; ein handfester Skandal, falls es dennoch vorkäme, der den Gegnern der Monarchie scharenweise Zulauf verschaffen würde.

Die Monarchin funktioniert wie eine Präzisionsmechanik - unerschütterlich, sekundenpünktlich, zuverlässig. Verehrt oder ungeliebt, als Landesmutter oder überflüssiger Anachronismus bezeichnet, ist sie dennoch allein durch ihre mit viel fotogenen Zutaten verbrämte Existenz und perfektes Funktionieren die Garantie für Stabilität, Kontinuität und Demokratie jener Nation. Das traditionsreiche britische System ist nach wie vor intakt. Und das österreichische Staatsoberhaupt?

Verzweiflungsschrei

Fast scheint es, als habe der republikanische Monarch in der Hofburg seinen Platz in diesem Staat immer noch nicht gefunden. Das Reizwort "Entlassung", die Berufung auf Artikel 70, Absatz 1 der Verfassung, klingt fast wie ein Verzweiflungsschrei aus der Einsamkeit der Prunksäle im Leopoldinischen Trakt - ein Ruf nach einer sinnvollen Rolle, die dem Staatsoberhaupt vom Gegenspieler im Bundeskanzleramt zwar nicht verweigert, aber auf das wenig befriedigende Amt des Oberzeremonienmeisters der Nation zurechtgestutzt wird.

Der verbale Griff nach der Notbremse sollte doch eigentlich die Maßnahme bleiben, als die sie ursprünglich gedacht war: als Ultima Ratio für den Extremfall, in dem die Grundfesten der Demokratie durch das Regierungshandeln erschüttert werden. Der Bundespräsident hat mit seinem runden Tisch ja fürs Erste erreicht, was er zu Recht wollte - den Dialog, die Suche nach dem Konsens.

Das scharfe Messer wurde zur Unzeit aus der Schneide gezogen. Die Gefahr, dass das gefährliche Instrument durch Missbrauch abstumpft, ist nicht von der Hand zu weisen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.5.2003)