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Vier Wochen lang versuchten 20 Personen aus Salzburg nur mit der Mindestsicherung auszukommen - mit dem Projekt "Soziale Hängematte" sollte die Lebenssituation an der Armutsgrenze erfahren und ein Bewusstsein dafür geschaffen werden.

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Pensionistin Elfriede Konderla kauft im nur zwei Kilometer von Salzburg entfernten Freilassing billigeres Obst ein, um ihr Budget nicht zu sehr zu belasten.

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Der Kater von Projekt-Teilnehmerin Ingeborg Haller bekommt nur Trockenfutter vorgesetzt - er muss zwar nicht hungern, aber doch Einschränkungen hinnehmen.

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Vor knapp vier Wochen haben 20 Menschen im Bundesland Salzburg begonnen, nur mit dem Betrag der bedarfsorientierten Mindestsicherung ihr Leben zu finanzieren und gestalten. "400 Euro für fast alles außer Wohnen", lautete die grobe Vorgabe (mehr Details hier). Eine teilnehmende Pensionistin musste mit 270 Euro ihr Auslangen finden.

Das Projekt "Soziale Hängematte" zielte keineswegs darauf ab, Menschen mit geringen monetären Möglichkeiten an den Pranger zu stellen. Es sollte vielmehr ein Bewusstsein für die Lebenssituation geschaffen werden und das mit möglichst genauen Vorgaben. Wer Zynismus dahinter vermutet, dass man aus einer sicheren Position heraus einmal einen Monat lang Armut simuliert, um dann wieder in den alten Komfort zurückzukehren, kann es ja selbst einmal ausprobieren.

Ein würdiges Leben?

Dass das Überlebensnotwendige mit der bedarfsorientierten Mindestsicherung finanziert werden kann, stellte sich für die meisten TeilnehmerInnen heraus. Aber ob es ein würdiges Leben ist, sich nur das Elementare leisten zu können, lässt sich eben nicht nachstellen: Wie es sich anfühlt, wenn soziale Kontakte verloren gehen, medizinische Kosten nicht mehr getragen werden können, wenn Reparaturen ausbleiben müssen.

Bei den folgenden Erfahrungsberichten von sieben Projekt-TeilnehmerInnen geht es daher auch um die Fragen: "Wie weit lässt sich Armut nachahmen und was lerne ich persönlich daraus?"

Christine Bliem, Weltladeninhaberin

"Meine persönliche Erkenntnis zum Thema? Ich habe dazu eine Diskussion auf BBC Radio Newcastle gehört. Die Diskussion läuft schätzungsweise überall völlig gleich ab. Sie ist geprägt von einer gehörigen Portion Intoleranz. Ein Mindestsicherungsempfänger darf keine Bedürfnisse haben und darf wohl vor allen Dingen kein Mensch sein, sondern müsste Übermensch sein, um all das erfüllen zu können, was seine Umwelt von ihm verlangt und ihm vorwirft.

Die vergangene Woche hat eher deutlich gezeigt, wie schwer Armut simulierbar ist. Jeder von uns lebt in einem bestimmten Kontext, den wir nicht einfach für vier Wochen ausschalten können. So sind ein paar Termine einfach nicht verschiebbar gewesen - die Umzugsfeier des Weltladen St. Johann, ein vom Weltladen Golling organisierter Vortrag, das Zucchero-Konzert in Salzburg (ein Geburtstagsgeschenk), der Frauenstammtisch. Somit war ich nach anfänglichem Lagerkoller in den letzten Tagen ziemlich viel unterwegs. Wobei sich gerade die Geschäftstermine nicht aufs Konto niederschlagen, allerdings unersetzlich sind für die soziale Auseinandersetzung. 

Meine Schwester und mein Schwager waren über Pfingsten ebenfalls einige Tage bei uns. Was geringfügig höhere Lebenshaltungskosten mit sich gebracht hat. Bis zu diesem Termin haben wir die Lebensmittelkosten bei 8 Euro pro Tag für alle drei (Frühstück, Mittagessen, Abendessen) gehalten, ohne uns essensmäßig in irgendeiner Weise einschränken zu müssen. Auch das vieldiskutierte Olivenöl ist in diesem Betrag enthalten und rechtfertigt sich unter diesem Gesichtspunkt allemal. 2,66 Euro pro Person und Tag - das lässt sich machen, wenn man sehr bewusst und biologisch einkauft. Aber - wie gesagt, das ist unser normaler Lebensmittelverbrauch. Hier haben wir unser Leben weitergeführt wie bisher. 

Das Um und Auf ist das Haushaltsbuch. Das sagt uns jeden Tag, wo wir stehen. Ohne das Haushaltsbuch ließe sich leicht der Überblick verlieren. Das Haushaltsbuch sagt uns täglich, wo wir vernünftig gewirtschaftet haben bzw. wo wir tatsächlich einsparen könnten. Das Haushaltsbuch sagt uns auch, wie viel wir eingespart haben, und was für Kosten noch auf uns zukommen könnten. Eine ganz klare Einteilung der Mittel ist erforderlich und hilft dabei, sich das eine oder andere Mal auch etwas "leisten" zu können. Und weil wir doch so ökonomisch gewirtschaftet haben, haben Fabian und ich uns gestern am Abend noch den Luxus eines Kinobesuchs geleistet."

Ingeborg Haller, Gemeinderätin der Bürgerliste

"Das Projekt hat mich und mein Umfeld sensibilisiert und zu Diskussionen angeregt: Wir sind alle spürbar damit konfrontiert, dass immer mehr (vor allem auch junge und gut ausgebildete) Menschen trotz Beschäftigung zu wenig verdienen und auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. WORKING POOR heißt das in den USA und PREKARIUM wird die Entwicklung in Europa genannt. Über das müssen wir reden und nicht über "freiwillig faule Leistungsverweigerer", denn das geht meiner Meinung nach am Thema vorbei.

Zu meiner persönlichen Stimmungslage: Auch wenn sich Armut nicht simulieren lässt, zum Nachdenken über die eigene Situation regt das Projekt in jeden Fall an: Wie sicher ist der Job, wie hoch sind die Fixausgaben, was passiert, wenn ich krank werde?

Ich habe ein passendes Buch - das ganz neu ist -  zu dem Thema entdeckt. (Die 18,50 Euro für das Buch waren nur drinnen, weil ich zu Pfingsten bei meiner Mutter war, die mich bekocht hat.) In "Echtleben" beschreibt Katja Kullmann, wie sie selbst zur Hartz IV- Empfängerin (vergleichbar mit der bedarfsorientierten Mindestsicherung) geworden und nur mit Mühe wieder herausgekommen ist. Sie hatte wie wir 13 Euro am Tag zur Verfügung und hat sich tageweise nur von Toastbrot ernährt, um dann wieder fortgehen und so tun zu können, dass sie eh noch dazu gehört. Die soziale Isolation, die Scham, den Freunden gegenüber zugestehen zu müssen, dass man im Job zu wenig verdient und auf Mindestsicherung angewiesen ist sowie die real gefühlte Zukunftsangst - das sind alles Dinge, die sichnichtnachstellen lassen."

Inge Honisch, Schuldenberaterin:

"Ich hab's trotz Sparen nicht mehr geschafft, meinen Abstand einzuholen. Mir war immer klar, wie schwer es sein wird. Ich finde die Diskussion im derStandard.at-Forum wirklich sehr interessant, einige Kommentare sind aber schon sehr persönlich angreifend. Das finde ich eher überraschend. Mir war immer klar, dass Armut nicht simulierbar ist und es ging mir darum, aufzuzeigen, unter welchen schwierigen Bedingungen Menschen mit wenig Geld leben müssen. Geld wird immer mehr zum Thema, wenn man es sich extrem einteilen muss - ein würdiges Leben (Teilnahme an Gesellschaft und Kultur) ist kaum mehr möglich. Es ist einfach, zu kritisieren und selber nix zu tun - ich wollte es einfach einmal ausprobieren, wissentlich, dass es unter diesen Bedingungen ein "leichtes" ist."

Thomas Jedlizka, Schuldenberater

"Was die Frage der "Simulierbarkeit" von Armut anbelangt, so meine ich, dass eine ungefähre Annäherung hinsichtlich des rein finanziellen Aspekts von Armut möglich ist. Eine radikale, konsequente Simulation jedoch würde bedeuten, völlig auszusteigen: Beruf, Wohnung, Auto, Verträge etc. hinter sich lassen - ähnlich einem Mönch, einer Nonne oder einem Aussteiger. Für einen Versuch würde das niemand machen und selbst wenn, dann wäre diese Armut eine frei gewählte.

Was hingegen die anderen Aspekte von Armut betrifft, bin ich zur Erkenntnis gelangt, dass diese im Versuch nicht auch nur annähernd nachempfunden werden können: Nach oft langem Kampf gegen den sozialen Abstieg sind betroffene Menschen psychisch und physisch schwer angeschlagen - das kann man nicht nachahmen. Genauso ist es mit der Aussichtslosigkeit und der Ungewissheit, wie lange dieser Zustand anhalten wird.

Dies können, denke ich, nur diejenigen erfahren, die in dieser Situation stecken. Die ständige Anforderung ohne Ressourcen auf die Erfordernisse des Lebens reagieren zu müssen (z.B. Reparaturen), das Bestehen-müssen auf dem Arbeitsmarkt mit schlechter Ausbildung, die Anfeindungen als Sozialschmarotzer, das Großziehen von Kindern unter diesen Umständen - all das kann man nicht nachstellen. Viele von Armut betroffene Menschen haben aber auch (Überlebens)strategien entwickelt, welche mich faszinieren und von denen ich auch profitieren kann."

Elfriede Konderla, Pensionistin

"Seit Beginn dieser Versuchsreihe hat sich mein Denken sehr verändert. Es sind Tage dabei, wo ich etwas verzweifelt bin und mich frage, wie das weitergehen soll. Dabei geht es mit dann gar nicht gut. Vergangene Woche hatte ich meine Ausgaben im Griff. Ich habe das Glück, dass ich nur zwei Kilometer von Freilassing entfernt wohne, wo ich so manche Lebensmittel billiger einkaufen kann, z.B. Butter um 1,19 Euro statt 1,98 Euro. Für eine Ananas zahlte ich nur 59 Cent statt 1,69 Euro in Salzburg. Jeden Mittwoch gibt es in Freilassing einen Grünmarkt, da kaufe ich 5 kg Äpfel für 5 Euro als Wochenration). Also rein für Lebensmittel und Toiletteartikel käme ich mit den 270 Euro aus.

Allerdings musste ich bei einem Arztbesuch 60 Euro ausgeben, brauchte für ein Geburtstagsgeschenk 70 Euro (ein Trachtenhemd) und mit den Einkäufen für Pfingsten war ich dann über dem Limit. Wobei bei dem Lebensmitteleinkauf auch schon die Sachen für die Geburtstagstorte dabei sind. Ich wollte es nicht glauben, aber nur die Torte allein kostet mich 25 Euro - das ist eine große Stocktorte für ca. 30 Personen."

Daniel Pfeifenberger, Geschäftsführer einer Telefonanlagenfirma

"Nach der dritten Woche bin ich sehr zuversichtlich, mit dem Budget durchzukommen und noch ein paar Euro für größere Ausgaben anzusparen. Natürlich ist es sehr schwierig, in einem Monat wirklich realistisch ein Auskommen mit der Mindestsicherung zu simulieren. Meine bisherigen Erfahrungen zeigen mir aber, dass auch ein sehr kleines Budget bei guter Planung und entsprechendem Einkaufsverhalten ausreichen kann. Softdrinks und Zigaretten haben keinen Platz, aber ich bin Nichtraucher und unser Wasser ist mir als gutes Getränk am liebsten. Dass ich mir keine Tages- sondern nur ein Monatsbudget vorgegeben habe, erleichtert aus meiner Sicht den Ablauf. Die Mindestsicherung sehe ich als Übergangslösung für einen begrenzten Zeitraum, in der ich sicherlich die ein oder andere Idee entwickeln würde, um das Monatsbudget wieder in Ordnung zu bringen."

Renate Pleininger, Gemeinderätin der FPÖ

"Ich bin durch dieses Projekt zu der Erkenntnis gekommen, dass sich Armut nur sehr schwer simulieren läßt. Man bekommt zwar eine Ahnung, was es bedeuten kann, arm zu sein, auf jeden Cent achten und auf vieles verzichten zu müssen, aber wie es wirklich ist, ist zumindest für mich sehr schwer nachvollziehbar.

Meine persönlichen Erkenntnisse zu diesem Thema sind: 1. Es geht schneller als man denkt in die Schuldenfalle zu geraten. 2. Wenn man mit wenig Geld auskommen muss, dürfen keine unvorhergesehenen Zahlungen, Reparaturen, etc. anfallen. 3. Ich achte jetzt beim Einkauf auf die Preise und kaufe wesentlich bewusster ein: nur mehr mit Einkaufszettel einmal pro Woche. Vorher wird ein Wochenessensplan erstellt. Wenn etwas ausgeht,  improvisiere ich. Nachgekauft wird nicht. 4. Letztendlich bin ich durch diesen Selbstversuch zu dem Entschluss gekommen, dass ich bisher einiges falsch gemacht habe und dies ändern muss."

(Aufgezeichnet von Martin Obermayr, derStandard.at, 16.6.2011)