"Bob Dylan ist auf jeden Fall denkbar": Kjell Espmark, Schwedische Akademie. Foto: Robert Newald

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Wien - Wie wird man Nobelpreisträger für Literatur? So lautet nicht nur der Titel von Kjell Espmarks Vortrag, den er in Wien hielt, es ist auch eine Frage, die jährlich in den Medien ebenso zuverlässig gestellt wird, wie Stammtische nach Fußball-Niederlagen die Aufstellung des Teamchefs diskutieren. "Herta who?" titelte vor zwei Jahren Entertainment Week-ly, als der Preis an Herta Müller ging, und der schwedische Expressen meinte drei Jahrzehnte zuvor: "Elytis - wer zum Teufel ist das?"

Ob die Wirkungskraft des Literaturnobelpreises jener von Alfred Nobels Erfindung Dynamit nahekommt, wie Espmark einmal schrieb, bleibe dahingestellt - sicher aber ist, dass das fünfköpfige Nobelpreiskomitee der Schwedischen Akademie, dem Espmark seit 1981 angehört, Kritik gewöhnt ist. Trotz allem bleibt die Ausstrahlung des 1901 erstmals vergebenen Preises ungebrochen. Zu tun hat dies mit der beträchtlichen Dotierung von rund einer Million Euro, zudem umweht die Entscheidungen der Schwedischen Akademie eine Aura des Geheimnisvollen und Unvorhersehbaren.

18 Damen und Herren umfasst das vergebende Gremium, alles Schweden, die meisten selbst Autoren und auf Lebenszeit gewählt. Einige haben sich entschieden, an den Sitzungen nicht teilzunehmen - wie Knut Ahnlund, der 2004 gegen den Preis an Elfriede Jelinek protestierte -, ersetzt werden können sie laut Statuten nicht. An die große Glocke hängt die Akademie solche Ereignisse nicht, schließlich unterliegen die Informationen über ihre Entscheidungen einer 50-jährigen Sperrfrist. "Es war ein trivialer Streit um Kleinigkeiten", meint Espmark.

Dem Bild eines hinter verschlossenen Türen abgehobene Entscheidungen treffenden Literaturfunktionärs entspricht Kjell Espmark in keiner Weise. Im hellen Leinenanzug sitzt er da, mit wachen Augen und einer spürbaren Passion für die Literatur, der er sein Leben gewidmet hat. Fast 20 Jahre war er Professor für Literaturwissenschaft, und als (mittlerweile sehr renommierter) Autor debütierte er 1956. Sein Deutsch ist perfekt, auch um die entsprechende Literatur im Original lesen zu können - viele Akademiemitglieder lesen die russische, spanische, französische oder chinesische Literatur im Original, und sollte ein Werk aus einer weniger gängigen Sprache interessieren, beauftragt die Akademie Übersetzungen.

Und wie funktioniert das Auswahlverfahren? Zunächst, so Espmark, muss ein Kandidat von Mitgliedern der Schwedischen oder anderen Akademien, Literaturprofessoren, bisherigen Literaturnobelpreisträgern oder Vorsitzenden nationaler Schriftstellerverbände nominiert werden. Wobei die Vorschläge bis am 1. Februar in Schweden eintreffen müssen. In der Regel sind es 150 bis 200 Kandidaten, die jährlich nominiert werden. Bis April wird die Liste auf 20 Namen reduziert und abermals diskutiert. Ende Mai präsentiert das Nobelpreiskomitee dann den Kollegen aus der Schwedischen Akademie eine Shortlist mit fünf Namen, aus denen im Herbst der Preisträger ermittelt wird, wobei der Preis an niemanden vergeben wird, der erstmals auf der Shortlist steht.

Globaler Preis

Die Frage, ob die Shortlist für heuer schon stehe, bejaht Espmark lächelnd. "Klar, aber sie ist, wie sie wissen, geheim." Auch zu den immer wieder als Preisträger geforderten Autoren wie Philip Roth will er nichts sagen. Ob Bob Dylan denkbar sei? "Denkbar auf jeden Fall", sagt Espmark, "auf der Liste sind alle guten Schriftsteller der Welt möglich. " Der Preis, der laut Nobels Testament "an den, der in der Literatur das Vorzüglichste geschaffen hat in idealischer Hinsicht" gehen soll, habe sich laut Espmark im Laufe der Zeit gewandelt, er sei offener, weniger europazentriert geworden. Und, ganz wichtig, der Preis werde nicht für eine politische Weltsicht, sondern für die künstlerische Kraft, mit der Erfahrungen verarbeitet würden, vergeben.

In seinem Gedichtband Die Lebenden sind ohne Gräber schreibt Espmark: "Ich hatte mich auf Leben Nummer zwei vorbereitet / doch merkte: hier galt eine fremde Sprache / (...). / Ich saß in meine alte Schulbank gezwängt. / Nasse Wollsachen und vorn das Quietschen der Kreide. / Alles was ich begriff war der säuerliche Spott / des Schrecklichen am Pult (.. .)".

Ein Gedicht, so Espmark, sei ein Mikrokosmos, der den Makrokosmos verdeutliche. Literatur lehre uns, besser zu sehen - und zu staunen. Spätestens im Oktober wieder, wenn der Preisträger 2011 bekanntgegeben wird. (Stefan Gmünder, DER STANDARD - Printausgabe, 10. Juni 2011)