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In den Themen Bildung und Migration könnte sich die Große Koalition profilieren,sagt Pelinka. Aber in der Bildungspolitik blockiere sie sich gegenseitig und vor einer Migrationspolitik habe sie Angst.

Foto: Robert Newald (Archiv)

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"Es ist zu kurz gegriffen, nur an den nächsten Wahltermin zu denken und die Politik überhaupt nicht daran zu orientieren, was nach dem nächsten Wahltermin kommt", sagt Pelinka. "Da kann man durchaus von Feigheit sprechen."

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Mit einem klassischen Junktim könnte die Koalition den politischen Stillstand, glaubt Pelinka. Nach dem Motto: "Wir geben in der Frage nach und drängen unsere Tabu-Kräfte zurück, wenn ihr auf der anderen Seite eure Tabu-Kräfte in einer anderen Frage zurückdrängt."

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Das Erfolgsgeheimnis von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache: "Er hütet sich davor, irgendwie eine konkrete Politik zu vertreten."

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Warum die Grünen nicht von der Stelle kommen? "Ich sehe bei den Grünen ein thematisches und vielleicht auch personelles Vakuum."

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Die Sozialpartnerschaft hätte seit der schwarzblauen Koalition an Macht eingebüßt. "Es ist ja ganz erstaunlich, dass Christoph Leitl als Obmann des Wirtschaftsbundes und Präsident der Wirtschaftskammer in der ÖVP mehr oder weniger ignoriert wird."

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"Kuscheln ist durchaus positiv, aber dezeit führt es dazu, dass jede Regierungspartei die Tabus der anderen Seite respektiert", sagt Anton Pelinka. Der Doyen der österreichischen Politikwissenschaft attestiert der derzeitigen Koalition Feigheit und Perspektivenlosigkeit.

Wie die einstigen Großparteien wieder punkten könnten, warum Strache im Aufwind ist während die Grünen am Boden bleiben und was das mit der Globalisierung zu tun hat, erklärte er Benedikt Narodoslawsky.

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derStandard.at: Laut jüngsten Umfragen würde die Große Koalition nur noch ganz knapp die absolute Mehrheit bekommen. Was ist der Grund für ihren drohenden Absturz?

Pelinka: Die Große Koalition hat das Problem, dass sie kein erkennbares, positives Ziel hat. Sie ist nur davon bestimmt, dass ihre einzige Alternative Heinz-Christian Strache heißt. Das ist offenbar auf Dauer zu wenig an Motivation. Daher geht es ihr trotz Personenwechsel und Kuschelkurs nicht wirklich gut, weil es kein stärkeres positives politisches Programm gibt, das die Widersprüche zwischen den beiden Regierungsparteien überwinden könnte.

derStandard.at: Sie schrieben, das sei vor 25 Jahren anders gewesen, als die Große Koalition unter Franz Vranitzky (SPÖ) und Alois Mock (ÖVP) das große Thema EU-Beitritt in Angriff nahm. Mit welchem wichtigen Thema könnte die SPÖ-ÖVP-Regierung heute punkten?

Pelinka: Das eine große Thema ist die Bildungsreform, bei der SPÖ und ÖVP weiterhin einander blockieren. Die ÖVP blockiert die Schulpolitik und die SPÖ die Universitätspolitik. Das zweite große Thema ist die Migrationspolitik. Da gibt es überhaupt nur Ängstlichkeiten. Das hat natürlich den Grund, dass Migration immer unter dem Verdacht steht, dass es Wähler eher vertreibt und man damit weniger gewinnt.

Aber man muss dazu sagen, dass zur Zeit der Festlegung auf den EU-Beitritt dieser in Österreich auch nicht mehrheitsfähig war. Er ist es erst durch eine konsequente Politik der damaligen großen Koalition geworden. Überdies ist anzumerken, dass die Migration ja nicht einfach verschwindet, wenn man die Augen zumacht. Das heißt, Migration wird ein immer größeres Gespenst, vor dem die Regierung davonläuft, anstatt mit dem unter Umständen notwendigen Mut zur Unpopularität es anzugehen.

derStandard.at: Erste-Bank-Chef Andreas Treichl hat die Politiker als „zu blöd, zu feige und zu ahnungslos" gescholten. Sie warfen Treichl wiederum vor, populistisch zu sein, gaben ihm aber Recht, dass die heutige Politik feige ist. Worin erkennen Sie diese Feigheit?

Pelinka: Das Problem ist eine ausschließlich kurzfristige Orientierung, die ist in der Demokratie natürlich nicht einfach wegzudenken ist. Aber es ist zu kurz gegriffen, nur an den nächsten Wahltermin zu denken und die Politik überhaupt nicht daran zu orientieren, was nach dem nächsten Wahltermin kommt. Da kann man durchaus von Feigheit sprechen.

derStandard.at: Wie kann man das ändern?

Pelinka: Es müsste so etwas geben wie einen Pakt, der zwischen den Mainstream-Parteien, den Sozialpartnern und den Qualitätsmedien geschlossen wird. Der Pakt muss besagen, dass man kurzfristig unpopuläre Schritte nicht gegeneinander ausnützt. Das war zur Zeit der Weichenstellung zugunsten des EU-Beitritts der Fall, und das ist wieder möglich. Die beiden Regierungsparteien sind 1994 schließlich ja auch belohnt worden, als eine Zweidrittelmehrheit den Kurs der Regierung nach Unterzeichnung des Beitrittsvertrages bestätigt hat.

derStandard.at: Sie haben die Medien angesprochen. Wieviel Schuld haben die daran, dass dieses kurzfristige Denken in der Politik so Platz gegriffen hat?

Pelinka: Von Schuld zu sprechen ist mir zu moralisierend, aber man kann von Verantwortung reden. Die Medien sind Auflagen- und Quotenjäger - das ist unvermeidlich in einer Medienlandschaft. Aber es gibt auch so etwas wie eine längerfristige Orientierung über die Auflage am nächsten Tag, über die Quote am nächsten Abend hinaus. Das vermisse ich bei einem Teil der Medien. Aber das ist keine österreichische Besonderheit, das gibt es beispielsweise in Großbritannien noch viel deutlicher.

derStandard.at: Medien sind dem Tagesgeschäft unterworfen. Ist es nicht zu optimistisch von Medien zu verlangen, langfristiger zu denken?

Pelinka: Die Medien haben natürlich eine ökonomische Rationalität zu berücksichtigen. Aber man kann Deals machen. Es war möglich, dass alle relevanten Medien in Österreich die Politik eines EU-Beitritts unterstützt haben - die einzige Ausnahme war die Zeitung "Täglich Alles", die inzwischen nicht mehr existiert. Das war möglich durch eine Überzeugungsarbeit. Und das ist grundsätzlich wieder möglich - wie bei den Themen Migration und Bildung. Es kann schon sein, dass das eine oder andere Medium die Rolle spielt, die vor 20 Jahren "Täglich Alles" gespielt hat. Aber das Problem ist, dass die Große Koalition nicht davon ausgehen kann, dass sie von breiter Zustimmung getragen wird und deswegen nichts riskieren darf. Die Große Koalition nähert sich einem Absturz und daher ist die Vermeidung der Risken das größte Risiko.

derStandard.at: Der Gewinner dieser Angststarre der Regierungsparteien ist FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Was macht er richtig?

Pelinka: Er macht eine Sache richtig, nämlich: Er hütet sich davor, irgendwie eine konkrete Politik zu vertreten. Er bedient bestimmte, allgemeine Feindbilder - Moslems, den Islam, Migration, das Fremde. Sonst macht er nichts. Das ist eine einfache Sache, solange er von den anderen Parteien nicht durch eine bewusst konstruktive Politik offensiv angegangen wird, die langfristig und nicht nur auf den nächsten Wahltermin orientiert ist.

derStandard.at: Laut Umfragen geht die FPÖ in Richtung 30 Prozent. Ist die FPÖ in der Mitte der Gesellschaft angekommen?

Pelinka: Vom Elektorat her gesehen ist die FPÖ die Partei der Modernisierungsverlierer, die Partei der männlichen Jugend, die aus nachvollziehbaren Gründen von Zukunftsängsten geprägt ist. Oder anders ausgedrückt: Die FPÖ ist die Partei des neuen Proletariats. Ob das die Mitte der Gesellschaft ist, ist eine Definitionsfrage.

derStandard.at: Sie sagen, die Gründe vor der Zukunft Angst zu haben, sind nachvollziehbar. Welche Ängste meinen Sie damit?

Pelinka: Wir leben seit über 30 Jahre in einer Zeit der wachsenden gesellschaftlichen Ungleichheit in Österreich, die Schere zwischen Reich und Arm geht auseinander. Da hilft es auch nichts, wenn man sagt, dass die Armen heute weniger arm sind als noch vor zwei Generationen. Diese Entwicklung ist nicht einer bestimmten Politik oder einer bestimmten Regierung zuzuschreiben, sondern hat damit zu tun, dass traditionelle Politik eines kleinen Nationalstaates immer weniger in der Lage ist, Gesellschaft zu gestalten. Die Ängste dieser Modernisierungsverlierer sind die Folge eines Trends, den man Globalisierung nennen kann, ein Trend, der Nutznießer und Verlierer hat. Die Nutznießer sitzen zB in China und Indien, die Verlierer sind die Ärmeren in den relativ reichen Regionen der Welt - nämlich in Österreich. Das löst Ängste aus. Die Perspektive von Dauerarbeitslosigkeit und die Perspektive dass national wohlfahrtsstaatliche Netze wegfallen sind leider nicht ganz unrealistisch.

derStandard.at: Warum profitieren die Grünen so wenig von der Proteststimmung?

Pelinka: Das ist wirklich erstaunlich, dass die Grünen nicht die zweiten Nutznießer sind. Sie haben sich auf 10 Prozent eingependelt. Das kann man als mäßigen Erfolg sehen, ich würde es aber eher als Misserfolg sehen. Denn dass ausschließlich die Freiheitlichen vom Abstieg der Regierungsparteien profitieren, müsste den Grünen zu denken geben. Das Thema, das sie ergreifen wollen - z.B. der Kampf gegen Atom - das machen alle anderen Parteien ja auch. Da fehlt die Trennschärfe. Den Grünen fehlt offenkundig ein zentrales Thema, das von einer besonders herausragenden Person thematisiert wird. Ich sehe bei den Grünen ein thematisches und vielleicht auch ein personelles Vakuum.

derStandard.at: Die Regierung will "nicht kuscheln und nicht streiten". Ist dieser Leitspruch ein Marketinggag?

Pelinka: Die Lehre der Großen Koalition Gusenbauer/Molterer (Anm. 2006 - 2008) war an sich eine richtige, nämlich: Wenn eine Regierungspartei sich primär auf Kosten der anderen Partei profiliert, schadet es beiden. "Kuscheln" oder das Nichtstreiten ist durchaus positiv, aber derzeit führt dieses Nichtstreiten dazu, dass jede Regierungspartei die Tabus der anderen Seite respektiert und nicht, dass man etwa einen Abtausch macht - ein klassisches Junktim zum Beispiel: "Wir geben in der Frage nach und drängen unsere Tabu-Kräfte zurück, wenn ihr auf der anderen Seite eure Tabu-Kräfte in einer anderen Frage zurückdrängt." Derzeit gibt es ein Kuscheln, das in der Passivität landet.

derStandard.at: Als die schwarzblaue Koalition 2000 regierte, schrieben Sie, das sei das Ende der Konsenspolitik. Wirkt sich das noch heute aus?

Pelinka: Die eingespielten Muster haben an Bedeutung verloren, das hat sich vor allem auf die Sozialpartnerschaft bezogen und das gilt nach wie vor: Es ist ja ganz erstaunlich, dass Christoph Leitl als Obmann des Wirtschaftsbundes und Präsident der Wirtschaftskammer in der ÖVP mehr oder weniger ignoriert wird. Leitls Orientierung an einer Sozialpartnerschaft, an einem Konsens mit dem ÖGB, hat offensichtlich wenig Gewicht. Diese Konsensorientierung ist heute sicherlich weit weniger ausgeprägt als das noch vor der schwarzblauen Koalition war.  (Benedikt Narodoslawsky, derStandard.at, 10.6.2011)