Christoph Leitl in Istanbul

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Die wirtschaftlichen Beziehungen Österreichs mit der Türkei sind intakt, Direktinvestitionen und Exporte boomen. Der Verbund holt sich nun mit einem Joint Venture den zweiten großen Stromversorgungsauftrag.

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Istanbul - Politisch mag es manchmal krachen, wirtschaftlich harmonieren die Türkei und Österreich. Während auf diplomatischer Ebene der Widerstand Ankaras gegen die Bestellung von Ursula Plassnik zur OSZE-Generalsekretärin für Verstimmung sorgt, sichert sich der Verbund gerade die Stromversorgung in Antalya und baut sein Engagement damit deutlich aus.

Rechnen konnten die Österreicher, die in der Türkei über die Energji SA mit der Sabanci-Gruppe verbunden sind, damit nicht. Erstens versorgt das Joint Venture bereits den Großraum Ankara, und die Regierung achtet, dass bei der Stromverteilung keine zu große Dominanz eines Anbieters entsteht. Zweitens war bei der Privatisierung der Akdeniz Electric Distribution, die neben Antalya Burdur und Isparta versorgt, die türkische Park Holding Bestbieter, doch konnte die Gesellschaft den Preis von 1,16 Mrd. Dollar nicht aufbringen. Nun kommt Enerji SA zum Zug, die 1,12 Mrd. für den Verteiler mit 1,55 Mio. Kunden und 5,9 Mio. Megawattstunden Leistung geboten hat, erfuhr der Standard aus dem Unternehmen.

Klappt das alles, so wird Österreich seine führende Stellung in der Türkei deutlich ausbauen. Die Alpenrepublik lag 2010 mit Direktinvestitionen von 1,8 Mrd. Dollar an der Spitze vor Frankreich und den Niederlanden, was vor allem auf der OMV-Expansion basiert. Weiteres Potenzial erwartet die Wirtschaftskammer durch die Fortsetzung der Privatisierung, bei der u. a. die Lotterien, die Zuckerindustrie, Turk Telekom, die Autobahnmautbetreiber, die staatliche Halkbank oder das Petrochemieunternehmen Petkim in die Auslage wandern. Umgekehrt gehen freilich türkische Gesellschaften im Ausland einkaufen: Grundig etwa gehört längst der Beko-Gruppe, Godiva-Schokolade der Yildiz Holding.

Im Zuge des Wirtschaftsbooms am Bosporus - nach knapp neun Prozent Wachstum 2010 sind für die nächsten Jahre Steigerungen von rund sechs Prozent prognostiziert - haben auch die österreichischen Exporte stark zugelegt. Mit einem Plus um fast 40 Prozent liegt die Türkei als Zielmarkt gleichauf mit China, betonte Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl beim Raiffeisen Wirtschaftsforum in Istanbul. Außenhandelsdelegierter Marco Garcia verwies aber darauf, dass Österreich bei der Markterschließung weit hinter Ländern wie Belgien, Niederlande oder Schweiz liege.

Der Chef der Raiffeisen Landesbank Oberösterreich, Ludwig Scharinger, will den Studentenaustausch forcieren, um die Kooperationen zu vertiefen. Die Marmara-Universität in Istanbul und die Kepler-Universität in Linz unterzeichneten ein Abkommen. Scharinger will türkische Studenten unterstützen, die Praktikumsplätze in oberösterreichischen Betrieben suchen. Derzeit sind schon 108 türkische Studenten in Linz. Scharinger warnt davor, dass wegen restriktiver Visa-Bedingungen Talente nach Deutschland statt nach Österreich gehen. (Andreas Schnauder aus Istanbul, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6.6.2011)