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Dietmar Constantini war schonmal sehr kurz Trainer in Deutschland, Joachim Löw war schon mal Trainer in Österreich. Beide wurde noch nie Weltmeister.

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So stellte sich die Lage bis zu den ersten Wechseln dar. Österreich zeigte ein erstaunlich bewegliches Spiel.

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"Es gibt Mannschaften mit anderer Qualität. Wenn bei uns zwei oder drei ausfallen, wiegt das schwerer", sagte Teamchef Dietmar Constantini gegenüber Medien nach den schwachen Länderspielen gegen Belgien und die Türkei im Frühjahr. Am Freitag lieferte seine Mannschaft ihm im ausverkauften Ernst Happel-Stadion gegen Deutschland allen Grund, solche Ausreden in Zukunft zu unterlassen.

Aus der Liste der österreichischen Abwesenden ließe sich ein weiteres konkurrenzfähiges Team bilden. Zweifel? Leute wie Macho, Prödl, Dragovic, Arnautovic, Ibertsberger, Garics, Stranzl, Pehlivan, Schiemer, Kavlak, Jantscher, Leitgeb, Korkmaz, Ivanschitz, Linz und Maierhofer fehlten aus unterschiedlichen Gründen - um nur eine unvollständige Auflistung zu bringen. Trotzdem zeigten die Österreicher sich gegen ebenfalls über Personalsorgen klagende, deutsche Weltmeisterschaftsdritte als ebenbürtig. Damit wäre die Beweisführung über die Flexibilität und Qualität des potentiellen ÖFB-Pools abgeschlossen. Widmen wir uns dem Spiel.

In der Ausgangslage gibt es natürlich einige Besonderheiten. Erstens war der Gegner Deutschland. Kein österreichischer Spieler benötigt dafür ein Motivationstraining. Zweitens reisten die Deutschen bereits etwas geschlaucht von einer langen Saison an - manche hatten im Prinzip seit zwei Jahren keine längere Pause. Drittens kennen die in Deutschland spielenden ÖFB-Legionäre die Gegner gut, wurden in den letzten Jahren bereits bei ihren Vereinen darauf eingestellt, gegen Leute wie Müller, Lahm oder Gomez zu spielen. Viertens liegt dem ÖFB-Team eine Mannschaft wie Deutschland nicht so schlecht. Gegen stärkere Gegner, die moralisch dazu verpflichtet sind, das Spiel zu machen, gab es in den letzten Jahren immer wieder gute Leistungen.

Kontertaktik

Deutschland kam wie gewohnt mit einem 4-2-3-1 angereist. Joachim Löw beteuerte hinterher, er hätte die Gastgeber-Abwehr gern mit zwei Stürmern beschäftigt, aber weil Klose ausfiel, sei das nicht gegangen. Dietmar Constantini schickte seine Mannschaft dagegen mit einem schiefen 4-4-1-1 auf den Platz. Defensiv standen die österreichischen Reihen sowohl in der Tiefe als auch der Breite dicht. Vier Leute kümmerten sich im Zentrum um Özil (der zur Kollektivaufgabe und im Prinzip auch aus dem Spiel genommen wurde) und Gomez. So richtig entkam ihnen der Stürmer nur einmal ziemlich zu Beginn. Nachdem die ersten fünf Minuten eher im Zeichen Österreichs standen, klappte die Deckungs-Übergabe zwischen dem defensiven Mittelfeld und der Innenverteidigung nicht, doch Gomez scheiterte an Gratzei.

Dag ließ Schmelzer etwas mehr Raum und achtete darauf, dass Podolski nicht ständig mit Klein aneinander geriet. Wenn der doch einmal auf den Kölner aufpassen musste, geriet er immer wieder hinter die restliche Verteidigung und lief Gefahr, in der Mitte ein Abseits aufzuheben, was die Deutschen aber nie auszunutzen vermochten. Der fehlende Druck auf Schmelzer machte vor allem in der konfusen Phase zwischen der 5. und 15. Minute Probleme, danach machte Harnik ein wenig mehr Druck über diese Seite und band den Dortmunder besser an. Dag war mit dieser Einstellung defensiver ausgerichtet als Alaba auf der anderen Seite.

Auch er versuchte allerdings immer wieder den Gang nach vorne, was im Zusammenspiel mit Klein ab und zu funktionierte. Letzterer zeigte unterstützt vom Türkei-Legionär seine sicher beste Leistung im Teamtrikot, war bei einer handvoll Angriffen auch entscheidend an der Flanke vorgerückt. Links orientierte sich Alaba hingegen ständig an DFB-Kapitän Lahm, während Fuchs sich Müller krallte und offensiv etwas zurückhaltender blieb als sonst. Den Jungspieler der WM konnte er so meist aus dem Spiel nehmen. Der Bayer enteilte Fuchs allerdings in der Vorgeschichte zur Ecke, die das unnötige 1:0 für Deutschland brachte.

Harnik (der in Österreich immer noch den Ruf des Edeljokers genießt, obwohl er nahezu in allen Stuttgart-Spielen seit der Winterpause durchspielte) war neben Alaba in der ersten Hälfte der beste Österreicher am Platz. Er räumte defensiv mit einem gewaltigen Laufpensum als Vorstopper vor dem Mittelfeld ab und entschärfte so Khedira und Kroos. Zudem führte der Stuttgarter offensiv die Angriffe sowohl durch die Mitte als auch über Seiten, fand selbst Chancen vor und war auch noch im Forechecking der auffälligste Mann.

Schlüsselrollen

Kaum zu glauben, aber wahr: Alaba steigerte sich in der zweiten Hälfte noch weiter. Der im Schwebezustand zwischen Bayern und Hoffenheim befindliche 18-jährige fing immer wieder Querpässe ab, um dann schnelle Konter einzuleiten. Sein Selbstbewusstsein und seine Ballsicherheit waren dabei eine Augenweide. Auch wenn der offensichtliche Plan A in einer Situation vereitelt wurde, behielt er die Ruhe und überlegte sich neue Möglichkeiten. Er nahm Lahm nicht nur aus dem Spiel, sondern erledigte ihn richtiggehend.

Unter der Regie von Alaba, Harnik, aber auch dem starken Baumgartlinger bäumte sich Österreich nach 25 Minuten auf und entwickelte ein selbstbewussteres Spiel nach vorne. Das hatte natürlich auch damit zu tun, dass die Deutschen etwas Tempo rausnehmen und Kräfte schonen mussten. Baumgartlinger bringt in Österreichs defensives Mittelfeld mittlerweile seine Qualitäten gut ein. Der bei 1860 München ausgebildete (Noch-?)Austrianer wagt es auch einmal, jemanden zu überspielen und Meter zu machen, statt nur zurück zu passen - dafür ist er technisch auch stark genug. Nebenspieler Kulovits wirkte in seinem zweiten Länderspiel unruhiger und war auch mehr das strikt destruktive Element, in dieser Funktion gelangen ihm aber einige wichtige Störaktionen.

Erfolgreiches Pressing, selten eingesetzt

Das österreichische Pressing ließ meist die deutschen Innenverteidiger unbehelligt. Attackiert wurden primär die aufgerückten Außenverteidiger und das defensive Mittelfeld der Gäste. Das erwies sich als zu zaghaft. Wenn konsequent auf die Verteidigung gepresst wurde, erkannte man deren Anfälligkeit, zwang sie meist zum Ballwegschießen. Der Ausgleichstreffer der Österreicher entstand aus einer solchen Situation. Nach einem versuchten hohen Ball über die Abwehr, konnten die Deutschen den Ball zwar erobern, Hummels und Schmelzer wurden aber von Hoffer und Dag unter Druck gesetzt, sodass letzterer die Haut wegdrosch. 

So setzte Österreich die Deutschen vor dem Ausgleich unter Druck

Scharner nahm an und leitete über Baumgartlinger den sofortigen Konter ein. Der Austrianer bewies seine fantastische Übersicht, machte auf der anderen Seite Alaba aus und dessen präzisen Querpass hätte Harnik einschießen können, wäre ihm nicht Friedrich zuvor gekommen. Es war zwar ein Eigentor, doch der Treffer entstand aus einer individuell und mannschaftstaktisch hervorragend ausgeführten Aktion der Österreicher.

Der Druck auf Schmelzer wurde auch gleich darauf noch einmal zum Erfolgsinstrument. Die Balleroberung Harniks gegen den Dortmunder (nachdem der umsichtige aber leider im Rückspiel gesperrte Scharner Hoffer schickte, dieser sich jedoch nicht durchsetzen konnte) war der entscheidende Moment bevor Kulovits eine Flanke aus spitzem Winkel Volley an die Stange setzte. Dieser Druck auf die Verteidigung kam leider zu selten zustande. Vor allem Hoffer schien in diesen Situationen keine Aufgaben gehabt zu haben. Gegen den Ball trabte er immer wieder lethargisch in der Mitte. Auch sonst konnte er seine Klasse nur phasenweise aufblitzen lassen, vergab zwei Großchancen (die sinnlose Schwalbe (15.) und die herrliche Drehung aus der Ferse (42.)). Seltsamerweise wurde er aus der Abwehr auch öfter mit hohen Bällen angespielt (die er - noch seltsamer - sogar ab und zu behauptete).

Die Wechsel

Ein "winning team" soll man nicht "changen", sagt ein altes Fußballersprichwort. Zwar gewann das ÖFB-Team an diesem Abend nichts, aber es fühlte sich zumindest ganz gut an, ihm zuzusehen. Deshalb beherzigte Constantini die Weisheit und machte so lange es ging nur marginale Änderungen von der Bank. Zlatko Junuzovic kam für Ekrem Dag und ersetzte ihn als etwas offensivere Variante. Dieser Wechsel war der einzige Hinweis darauf, dass Constantini den für die EM-Qualifikation nötigen Sieg noch mitgedacht hatte. Ansonsten schien er eher darauf bedacht, das ehrenhafte Remis nicht zu gefährden. Der Wechsel von Janko für Hoffer kam definitiv zu spät um etwas zu verändern. Zudem ging mit Hoffer ja ein Stürmer vom Platz.

Als Harnik nach 81 Minuten der letzte Tropfen Saft aus den Muskeln tropfte (kurz zuvor hatte er nach Junuzovic-Zuspiel die letzte echte ÖFB-Chance), veränderte sich das System etwas. Royer kam nun mutig über die rechte Seite, Junuzovic agierte als echter Zehner in der Mitte. Auch in dieser Formation funktionierte das Spiel der Österreicher, zu zwingenden Möglichkeiten reichten die Kräfte aber nicht mehr.

Auch Löw beließ sein Team taktisch so, wie es startete. Podolski wurde durch Schürrle ersetzt, der erst knapp fit gewordenen Khedira durch Badstuber. In der zweiten Hälfte gelangen den Deutschen eigentlich nur noch Angriffe über Müllers rechte Seite, aber die Abwehr der Österreicher vereitelte so ziemlich jeden davon und die meisten Bälle von Müller landeten in Gratzeis Armen. Einmal sollte es trotzdem noch einschlagen, als nach einer Ecke Lahm diesen Gomez ausmachte, und Debütant Royer den Kürzeren zog.

Fazit

Die erfolgsverwöhnte Spitzenmannschaft der Gäste strapazierte das alte Klischee vom Glück der Deutschen und kam mit dem Schrecken davon. Sie waren nicht in Bestbesetzung und auch nicht in Hochform angereist, doch auch den Gastgebern fehlten zahlreiche Spieler. Der DFB wollte im Happel-Stadion von Beginn weg alles klar machen, die engagierte Mannschaft des ÖFB stemmte sich allerdings nach Kräften dagegen und wuchs an der Aufgabe.

Die Österreicher waren auf den Gegner gut vorbereitet. Taktisch vermisste man aber das Risiko in der Schlussphase, das den Siegeswillen auf der Trainerbank außer Frage gestellt hätte. Die Leistung wird die Erwartungen an das Team in genau jene Höhen schrauben, die für dieses Potential auch gerechtfertigt sind. Fernab von jeder Euphorie muss klar sein, dass Österreich jedem Gegner auf die Pelle rücken kann. Vor der EM-Qualifikation schrieb ich: "Auch ob man die nächste Quali schafft ist nicht so wichtig, wenn die Art zu scheitern. Zukunft hat". Die schwere Gruppe erlaubt ein Scheitern ohne Gesichtsverlust.

Dem Teamchef steht - wie allerspätestens jetzt für jeden offensichtlich sein sollte - genügend gutes Personal zur Verfügung, um Ausfälle zu kompensieren und sich detailliert auf jeden Gegner einzustellen. Obwohl die Leistung eigentlich vieles widerlegt, was der Trainer in den letzten Monaten von sich gab, hat sie ihm möglicherweise ein letztes Mal die Zeit erkauft, um beweisen zu können, dass auch er das mitbekommen hat. Wenn Constantini auch in der WM-Qualifikation das Ruder in der Hand haben will, müssen die restlichen Spiele der (nun aller Voraussicht nach verlorenen) EM-Qualifikation einen Beweis seiner Qualität und damit ähnliche Leistungen mit sich bringen. Der ÖFB wird es sich nicht leisten können, im Herbst dieses Jahres daran noch Zweifel zuzulassen. Die Zeit der Ausreden ist vorbei - endlich. (tsc, derStandard.at, 4.6.2011)