STANDARD: Als ich den Termin für unser Gespräch vereinbaren wollte, hatte ich mit drei Assistentinnen zu tun. Wozu braucht ein Bildhauer ein so großes Office?

Wurm: Das hat sich so entwickelt. Im Laufe der Zeit ist die administrative Arbeit immer mehr geworden. Heute bekomme ich täglich um die 80 Mails mit Anfragen und Einladungen, die alle evaluiert und beantwortet werden müssen.

STANDARD: Wann sagen Sie zu, wann ab?

Wurm: Ich sage oft ab und selten zu. Die Qualität ist entscheidend. Wenn es um eine Ausstellung geht, möchte ich wissen, welche Künstler außer mir noch ausstellen und welche Institution dahintersteht. Vorträge halte ich prinzipiell nicht mehr. Der Zeitaufwand dafür ist zu groß. Seit Juni letzten Jahres unterrichte ich auch nicht mehr an der Angewandten.

STANDARD: Wieso?

Wurm: Ich habe einfach zu viel zu tun, bin dauernd unterwegs. Ich habe die Sache sehr ernst und mir für meine Studenten Zeit genommen. Ich wollte nie zu jenen Professoren gehören, die ihren Studenten Faxe aus Neuseeland schicken. Für mich war klar, dass ich aufhöre, wenn meine Arbeit unter meiner Lehrtätigkeit zu leiden beginnt. Das war zuletzt der Fall.

STANDARD: Einem breiten Publikum wurden Sie durch Ihre One Minute Sculptures bekannt. Sie waren - wie Sie selbst sagen - ein Produkt einer schweren Lebenskrise.

Wurm: Vielleicht rede ich mir das auch nur ein. Ich habe es immer gehasst, wenn es hieß, nur im Leid wächst man. Ein unnötiger Romantizismus, wie ich dachte. Aber dann bin ich selbst in eine arge Krise geraten, weil ich plötzlich meine Kinder nicht mehr sehen konnte. Ein Jahr war ich unfähig zu arbeiten. Mit den One Minute Sculptures hat dann alles wieder angefangen, sie waren der Beginn einer Wende zum Guten.

STANDARD: Sie gehören zu den wenigen Künstlern, die schon seit vielen Jahren sehr erfolgreich sind. Woran liegt das?

Wurm: Einmal oder zweimal im Leben haben viele Künstler Erfolg. Aber viele verschwinden sehr schnell wieder von der Bildfläche. Manche meiner Kollegen sind heute echte Sozialfälle oder finanziell von ihrer Frau abhängig. Konstant Erfolg zu haben, das ist sehr schwierig. Ich denke, das kann nur gelingen, wenn die Arbeiten ein Element in sich bergen, das nicht nur eine Generation, sondern auch die nächste fasziniert. Aber ich mache mir keine Illusionen, morgen kann auch bei mir wieder alles vorbei sein. Am besten, man denkt gar nicht erst darüber nach.

STANDARD: Angst vor der Zukunft?

Wurm: Nein, aber auch keine Erwartungen. Ein befreundeter Maler hat mir erzählt, jeden Tag öffne er seinen Postkasten mit der Erwartung, eine Einladung vom Guggenheim Museum oder dem MoMA darin vorzufinden. Deshalb ist er auch immer frustriert. Ich erwarte mir nichts.

STANDARD: Aber Sie werden sich als junger Bildhauer schon erwartet haben, einmal von Ihrer Kunst leben zu können, oder nicht?

Wurm: Selbstverständlich! Das war mein Bestreben von Anfang an. Wenn das nicht gelungen wäre, hätte ich auf die Kunst gepfiffen, hundertprozentig. Ich habe mit einem Freund damals auch schon eine Firma für Stuckatur gehabt, wir haben restauriert. Ich habe mir immer gedacht, wenn das mit der Kunst nicht geht, dann mache ich eben das.

STANDARD: Also immer Alternativszenarien im Hinterkopf?

Wurm: Jedenfalls. Wenn man mit 20 oder 30 Jahren keinen Erfolg hat, dann mag das noch gehen. Aber wenn das mit 40 oder 50 noch immer so ist, wird es dramatisch, das wollte ich nicht.

STANDARD: Wie macht man als junger Künstler auf sich aufmerksam? Sie sagen, Sie hätten sich immer wieder als Bittsteller empfunden.

Wurm: Ja, und es war entwürdigend. Ich bin am Anfang mit meinen Arbeiten zu einigen Galerien gegangen, und da ist es immer wieder passiert, dass ich blöd behandelt und abgekanzelt worden bin. Das ist sehr frustrierend. Aber ohne einen guten Galeristen wird man als bildender Künstler keinen Erfolg haben, das ist sicher.

STANDARD: Gerade junge Künstler beklagen die unfairen Konditionen, unter denen sie von Galeristen unter Vertrag genommen werden.

Wurm: Ich weiß, das ist furchtbar. Ich selbst habe mit meinen Galeristen gar keinen schriftlichen Vertrag, und es klappt dennoch hervorragend. In der Regel bekommt der Galerist 50 Prozent des Verkaufspreises des Werkes, und nichts mehr. Wenn es sich um einen guten Galeristen handelt, ist der sein Geld auch wirklich wert. Das Problem ist, dass die schlechten - und da gibt es viele - dasselbe verlangen. (Judith Hecht/DER STANDARD; Printausgabe, 4./5.6.2011)