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Deutschland und Österreich im Fußball zu vergleichen, das erscheint schlicht unnötig.
Zu groß sind die Unterschiede in puncto Erfolg und Potential, nicht nur bedingt durch die Landesgröße und deren Auswirkungen auf den jeweiligen Pool an Professionisten, also Spieler, Trainer und Funktionäre.

Was wir hier aufzeigen möchten: wie unterschiedlich zwei Länder mit ihren Ressourcen umgehen, wenn es um die A-Nationalmannschaft geht.

Dass beide Länder seit 2000 ein Großereignis veranstaltet und diverse Nachwuchserfolge gefeiert haben, sind Parallelen, die uns hier in die Hände spielen. Denn obwohl nur ein Vergleich mit zweierlei Maß möglich ist, können wir vom jeweiligen Niveau aus feststellen: Schlägt der Zeiger nach oben oder nach unten aus?

Foto: APA/ Neubauer

„Agenda 2010"

Seit der EM 2008 ist Deutschland gemeinsam mit Spanien die führende Kraft unter jenen Ländern, mit denen es sich traditionell misst. Frankreich und Italien beneiden den DFB um seine Strukturen, Argentinien und England haben die Veränderungen im deutschen Fußball am eigenen Leib zu spüren bekommen. Und hätte der Erzrivale von der Insel an der EM in Österreich und der Schweiz teilgenommen, die englische Medienmaschinerie hätte das deutsche Fußballmodell wohl schon zwei Jahre früher in den Mittelpunkt des globalen Interesses gerückt. Wenn dann auch noch die schwer zu Beeindruckenden - Spanien, Brasilien und der philosophische Rivale, die Niederlande - den Deutschen ihren Respekt aussprechen, wurde wohl Einiges verändert und richtig gemacht.

Die Hinwendung zu einem aktiven, offensiven Spielstil ist für die breite Öffentlichkeit attraktiv. Dass dieser auch abseits des Feldes professionell, direkt und ausführlich kommuniziert wird, noch dazu von jungen und unverbrauchten Spielern und Trainern, ergibt das Bild eines funktionierenden Gesamtkonzeptes.

Die deutsche Nationalmannschaft hat einen eigenen online-Auftritt (team.dfb.de), der ebenso wie das Trainings-Portal des DFB (trainermedien.dfb.de und training-wissen.dfb.de) ein partizipatives Modell vorantreibt. In Deutschland wird ein ganzheitlicher Ansatz angewandt, in dem die Grundzüge für alle offen aufbereitet werden, damit landesweit dieselbe Fußballidee gelehrt und gespielt wird.

Anm.:
Für viele österreichische Trainer im Jugend- und Breitenfußball ist die erste Anlaufstelle zur Recherche die website des DFB. Solche Dienstleistungen „auszulagern", das ist sicherlich auch bequem für den ÖFB. Sie werden jetzt sagen: „Österreicher lernen beim DFB? Das kann doch nur gut für den hiesigen Fußball sein!" Wir antworten: „Nur zum Teil, denn das übergeordnete Ziel fehlt - die Spielidee."

Grafik: DFB

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Der Rest ist Österreich! Oder nicht einmal das?

Der Schmäh vom „Plus" in der Schweizer Fahne und dem rot-weiß-roten Pendant mit dem „Minus" mag abgedroschen sein, auf den Fußball bezogen ist er aber absolut zutreffend:
seit 2004 haben die Eidgenossen an jedem Großereignis teilgenommen.
Während Deutschland quasi der Leader in seiner Clique ist, bleibt Österreich auch im Vergleich der Mittleren und Kleinen ein Mitläufer. WM-Teilnehmer wie die Slowakei (5,5 Millionen Einwohner), Slowenien (2 Millionen) und Uruguay (3,5) sind Paradebeispiele dafür, was möglich wäre.

Die skandinavischen und die ex-jugoslawischen Länder stellen Österreich auf A-Team-Ebene sowieso in den Schatten. Was diese beiden Kulturkreise besitzen, ist trainingswissenschaftliches Know-how, das über Jahrzehnte weiterentwickelt wurde. So wäre es etwa zu kurz gegriffen, vom „Balkan-Kick" als reinem Straßenfußball zu sprechen, dahinter stehen noch immer die Strukturen Jugoslawiens. Der „Fall Montenegro" ist nicht anders zu erklären: 650 000 Einwohner, in der EM-Qualifikation aktuell mit zehn Punkten aus vier Spielen punktegleich mit England an der Spitze, mit Spielern wie Vucinic (Roma), Vukcevic (Sporting Lissabon) und Jovetic (Fiorentina).

Nun geht es nicht darum, internationale Modelle zu kopieren, eine solche Bewegung würde immer wieder zu spät kommen und ins Leere stoßen. Das Wissen um die Stärken der anderen ist aber essentiell - umso seltsamer, wenn Gegner wie Belgien in Österreich wieder und wieder unterschätzt werden. Da wird nicht mit dem international üblichen Aufwand recherchiert, geplant, trainiert und umgesetzt. Verzerrte Wahrnehmung eben.

(Bild: Slowakeis Nationalmannschaft bereitete sich in Österreich auf die Fußball-WM in Südafrika vor.)

Foto: APA/ Juergen Feichter

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A Tupferl, a Gaberl, a Scheiberl ... oder so ähnlich

Irgendwann einmal, in den guten alten Zeiten (Nein, nicht ´78 - viel früher noch) da waren österreichische Nationalmannschaften nicht nur für ihre Erfolge (Ja, in der Tat!) sondern auch und vor allem für ihren Spielstil bekannt.
Wie wirkungsvoll neue mannschaftstaktische Ideen sein können, haben zum Beispiel Chile und Paraguay bei der WM 2010 bewiesen. Ihr hohes Offensiv-Pressing stellte auch Top-Teams vor schwierige Aufgaben. Österreich hat mit Josef Hickersberger ein halbes Jahr vor der Heim-EM 2008 begonnen, eine mannschaftstaktische Strategie für das Turnier umzusetzen: extrem laufintensives und direktes Offensivspiel. So wurden gegen große Gegner zwar keine Spiele, dafür aber Sympathien gewonnen.

Im Jahr 2011, fällt es schwer, einen österreichischen Stil zu skizzieren, seit Jahren gibt es auch abseits der Personaldebatten kaum Konstanten. Wir wollen hier keinesfalls suggerieren, die Deutschen hätten jede Facette des Spiels erfunden - sie haben aber bewusst gefiltert, welche Strategien zur eigenen Mannschaft passen und ziehen ihren Plan durch.
Dieser Tage spricht Joachim Löw erstmals davon „den nächsten Schritt" setzen zu wollen, hin zu einem mehr von Dominanz durch höhere Ballsicherung geprägten Spiel. Eine Planänderung, die mit einer neuen Spielergeneration leicht möglich scheint - bis dahin ...

Foto: APA/ Graf

... wie Deutschland kontert

In einem Satz: rasend schnell, nach Ballgewinn im Zentrum und mit einstudierten Positionswechseln. Oben ist in vier Bildern das Tor zum 3:1 gegen England bei der WM 2010 zu sehen, abgeschlossen hat diese Aktion Thomas Müller. In diesem Fall wurde ein Freistoß verteidigt und die aufgerückte Feldposition des Gegners ausgenützt - auch aus dem Spiel heraus wird der Ball häufig im Zentrum gewonnen und dann über einen Flügelspieler angegriffen, ein Markenzeichen der deutschen Nationalmannschaft. Der ballführende Gegenspieler wird oft bewusst ins Zentrum gedrängt, um nach Ballgewinn auf der Seite Raum zu haben.

Link zum Müller-Tor

Foto:

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Die U20-Helden - angekommen, aber noch nicht geliebt, am Beispiel Veli Kavlak

Im technischen Bericht der FIFA zur U20-WM 2007 wird Veli Kavlak als einer der „herausragenden Spielmacher aus dem defensiven Mittelfeld bezeichnet". In einem Satz mit Banega (heute Spielmacher bei Valencia), Javi García (Benfica) und Isla (Udinese).
Nun ist klar, dass nicht jeder Spieler, der bei einem Nachwuchs-Turnier aufzeigt, ein Weltstar wird. Hier soll es aber um die Spielposition gehen, denn nachdem Peter Pacult bei Rapid Kavlak als „im Zentrum zu fehleranfällig" bezeichnete, spielte er drei Jahre lang am Flügel (so wie der oben genannte Chilene Isla in Italien). Seine Nachwuchstrainer und der damalige U20-Teamchef Paul Gludovatz sahen das offenbar anders, denn Kavlak war über Jahre der vielversprechendste zentrale Mittelfeldspieler des Landes. Der Deutsche Bastian Schweinsteiger machte Ähnliches durch und wurde bei der WM 2010 von vielen als bester Sechser der Welt gesehen. Was nicht ist, kann also noch werden ...

Was bleibt, ist der fade Beigeschmack des typisch österreichischen „der kann das nicht" oder „der hat sich nicht durchgesetzt". Auch andere U20-WM-Vierte wie Jimmy Hoffer und Rubin Okotie können ein Lied davon singen, sogar der Werder-Stammspieler Prödl wird medial eher kritisch beäugt. Ob dem deutschen Rekordtorschützen Miroslav Klose wohl irgendjemand vorwirft, dass er 2010/11 in 20 Bundesliga-Spielen nur ein Tor geschossen und eines aufgelegt hat? Ja, Bayern-Fans vielleicht.

In einem Nationalteam sind vielleicht doch „die richtigen" Spieler „die besten".

Link zu den technischen Berichten aller FIFA-Turniere seit 1966

Foto: REUTERS/Dominic Ebenbichler

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Ein Titelgewinn als Lehrstunde

Als Deutschland 2009 mit einem Kader voller Bundesliga-Leistungsträger die U21-EM in Schweden gewann, fragten einige nach dem Sinn: „Hätte man nicht Jüngere hochziehen sollen?" Heute steht außer Zweifel, dass die im Wortsinn „gewonnene" Turniererfahrung, viel dazu beigetragen hat, dass aus einigen bereits in jungen Jahren absolute Führungsspieler geworden sind.

Aus der Mannschaft von 2009 stehen gegen Österreich im Kader:

Manuel Neuer, Dennis Aogo, Jérôme Boateng, Benedikt Höwedes, Mats Hummels, Marcel Schmelzer, Sami Khedira, Marko Marin und Mesut Özil

Die Jung-Europameister haben auch taktisch einiges vorweggenommen, denn laut der Zeitschrift „fussballtraining" (Ausgabe Oktober 2010, WM-Analyse) lässt sich die deutsche A-Nationalmannschaft so charakterisieren:

• Variables 4-2-3-1-System

• Spielstarke Doppelsechs mit flexibler, situativer Aufgabenteilung

• Flexible Tiefenstaffelung in der Defensive

• Positionsvariabilität vor allem in der Offensive

• Schnelles Umschalten auf Angriff

Exemplarisch zu sehen war all das bei der U21-EM 2009.

Foto: EPA/FRISO GENTSCH

Experimente? Vielleicht beim nächsten Mal.

Unser Tipp: veränderte Positionen wird es nur dort geben, wo auf Grund von Ausfällen nicht anders möglich. Im deutschen Team wird sich die nach den bereits etablierten „2009ern" vorpreschende nächste Generation (Schürrle, Holtby, Götze, Großkreutz) noch etwas gedulden müssen, Bundestrainer Joachim Löw ist für den fließenden Einbau bekannt. Der österreichische Teamchef wird wohl die nominell prominenteste Elf auf's Feld schicken, die aus dem aktuellen Kader gezimmert werden kann. Links offensiv könnte es jedoch eine Überraschung geben, vielleicht das Debüt von Daniel Royer?

Um das dynamische Spiel der Deutschen zu bremsen, wird es vor allem notwendig sein, deren Flügelspieler aus dem eigenen Verteidigungsdrittel wegzuhalten. Das gelingt üblicherweise durch eigene Offensiv-Aktionen über die Seiten. Ebenso wesentlich: Distanzschüsse von Kroos und Podolski im Ansatz verhindern, denn Gomez und Müller bewegen sich perfekt bei Abprallern (quasi „zweite Bälle"). Hier ist fast schon Handball-mäßiges Stellungsspiel gefragt, um keine Lücken zu lassen. Torgefährlich kann rot-weiß-rot vor allem bei Standards werden, zwar fehlt Franz Schiemer, potentiell können aber Janko, Pogatetz und Scharner von Christian Fuchs hervorragend bedient werden. Natürlich unter der Prämisse, dass Standards in tornahen Bereichen erarbeitet werden. Der Schlüssel dazu und einem erfolgreichen Spiel des österreichischen Teams insgesamt wird wohl sein, dass Junuzovic versucht, sich im Bereich hinter der deutschen Doppelsechs zu bewegen.

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Zum Schluss: Rätselaufgabe für Taktik-Interessierte

Werte Standard-Lesergemeinde!
Auf dem Bild oben ist ein Auszug aus Willi Ruttensteiners Buch „Von den Besten Lernen" zu sehen. Beschrieben werden „die wichtigsten Eckpfeiler" der österreichischen „Spielphilosophie". Wir möchten dem geneigten Ländermatch-Zuschauer ans Herz legen, auf die Umsetzung im Spiel gegen Deutschland zu achten. Besonders interessant erscheinen uns folgende Punkte:

• Spieleröffnung über den Torhüter

• Ausgeprägtes Flügelspiel gepaart mit Spielverlagerungen

• Variable Angriffsschemata auf allen Spielpositionen

Wer etwas davon im Spiel entdeckt, darf sich nicht nur über ein Mitarbeits-Plus, sowie gute Aspekte im Spiel der österreichischen Nationalmannschaft freuen, die- oder derjenige mit dem besten Beobachtungsprotokoll, wird auch mit einer guten Flasche Wein belohnt.

Gute Unterhaltung und viel Vergnügen wünscht das deutsch-österreichische Autorenteam! (Text von Raphael Gregorits und Vinzenz Jager)

Foto: Ruttensteiner-Buch