„Game of Chicken“ wird das riskante Spiel genannt, in dem zwei Autos aufeinander zufahren und jeder Lenker versucht, möglichst lange auf der Spur zu bleiben. Wer zuerst ausweicht, ist ein Feigling (Chicken) und hat verloren.

Was man aus amerikanischen Filmen wie "Rebels without a Cause“ mit James Dean kennt, ist eines der wichtigsten Gedankenexperimente der Spieltheorie, das besonders im Kalten Krieg Bedeutung hatte. In einer politischen Konfrontation, so die Überlegung, würden die USA und die Sowjetunion möglichst lange versuchen, nicht nachzugeben, selbst wenn dies die Chance eines Atomkrieges drastisch erhöht.

Das wirklich Gefährliche am „Game of Chicken“ ist Folgendes: Derjenige Spieler hat die besten Siegeschancen, der dem Gegner glaubwürdig vermittelt, dass ihm die drohende Katastrophe eigentlich gleichgültig ist – weil er dumm, verrückt oder bloß süchtig nach Risiko ist. Wer sich vernünftig gibt, hat schon von verloren.

Das scheint die Logik der US-Republikaner in der Auseinandersetzung mit Präsident Barack Obama über die Anhebung der Schuldengrenze zu sein. Am 2. August läuft bekanntlich für die USA die Frist aus, in der die Grenze für die Staatsverschuldung angehoben werden muss. Passiert das nicht, ist die größte Schuldnernation der Welt nicht mehr in der Lage, seine Staatsanleihen zu refinanzieren. Die Folge wäre wahrscheinlich ein Chaos auf den Finanzmärkten, das die Lehman-Pleite vom 15. September 2008 noch weit übersteigt.

Die Republikaner im Kongress wollen nur zustimmen, wenn Obama jene radikalen Ausgabenkürzungen akzeptiert, die die Tea Party schon seit langem fordert. Die Demokraten wären sogar zu bedeutenden Einschnitten bereit – mehr als wahrscheinlich vernünftig ist – wenn die Republikaner im Gegenzug Steuererhöhungen akzeptieren würden. Doch dies ist für die radikal-ideologische Truppe im Kongress ein Tabu – obwohl alle vernünftigen Experten sagen, dass ohne höhere Steuern keine Budgetsanierung möglich ist.

Nun ist man bisher immer davon ausgegangen, dass beide Seiten einfach nur hoch pokern und im letzten Moment doch noch eine Einigung finden. Aber bei diesen Republikanern kann man nicht sicher sein. Ihnen scheint die Umsetzung ihres Programms wichtiger zu sein als der Erhalt der wirtschaftlichen Ordnung. Ein ordentlicher Finanzkollaps wäre die richtige Voraussetzung für ihre konservative Revolution.

Wie die New York Times vor kurzem schrieb, bekommt man den Eindruck, dass einige Abgeordnete gar nicht wissen, wie schwerwiegend die Konsequenzen wären – dass etwa der Staat keine Pensionszahlungen mehr leisten könnte. Und die jüngste Abstimmung im Kongress, wo die Anhebung mit großer Mehrheit abgelehnt wurde, macht deutlich, dass auch so manche Demokraten den Ernst der Lage nicht erkennen.

Möglich ist auch, dass die  Republikaner nur sehr gut bluffen: Sie tun so, als ob sie verbohrt, irrational oder gar verrückt wären, weil sie dann das Game of Chicken gewinnen. Aber auch dann steuern die USA  auf gefährliche Zeiten zu.

Denn Obama und die Demokraten dürfen sich von dieser Erpressungstaktik nicht allzu sehr beeindrucken lassen, fordert nicht nur der Kolumnist und Starökonom Paul Krugman. Denn die Durchsetzung des Tea-Party-Programms wäre ebenfalls eine wirtschaftliche und soziale Katastrophe für die USA. Und wenn keiner ausweicht, dann kommt es zur Katastrophe.

Wie immer: Der 2. August könnte der nächste Schicksalstag für die Weltwirtschaft werden, der Tag, an dem die finanzielle Atombombe losgeht. Und wenn das passiert, gibt es keine Zweifel, wer sie gezündet hat.