Jugoslawische Geschichte und ihre künstlerische Aufarbeitung.

Foto: Standard/ Adelheid Wölfl

Verbindung nach außen aus einer Welt von gestern, über die Gras wächst.

Foto: Standard/ Adelheid Wölfl

Ort der Auseinandersetzung ist Titos Atombunker.

Hinter der osmanischen Brücke in Konjic, dort wo die Neretva noch grüner wird, an einem unscheinbaren weißen Haus, gibt es ein Tor, aus dem dunkle, kalte Luft in den bosnischen Sommertag heraufweht. Wer in Titos Atombunker hineinspaziert, der von 1953 bis 1979 für 4,6 Milliarden Dollar gebaut wurde, begibt sich nicht nur auf eine Reise in den Kalten Krieg, sondern besucht in diesen Tagen auch die Biennale, die heuer erstmals wieder seit 1989 auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien stattfindet.

Das Thema Jugoslawien dominiert denn auch die Arbeiten der 42 Künstler. In den Bunkerräumen, in denen die Staats- und Armeeführung im Fall eines Atomkrieges untergebracht werden hätte sollen, ist alles so wie in den 1970ern: Sozialistisch schlichte Möbel, Telefonanlagen mit Wählscheiben und vielen bunten Knöpfen, Generatoren. Es sieht aus wie eine Kulisse für James-Bond-Filme, auch das Schlafzimmer für Tito und seine Frau Jovanka. Über dem Bett hat die kürzlich verstorbene Künstlerin Ioana Nemes die Sätze "The color of intense, erotic moments is not red. Is not red" appliziert. Den Raum hat sie in ein warmes Rot getaucht. Auftauchende Bilder von Josip und Jovanka im Bunkerbett verwandeln die militärische Anlage in eine Höhle der Intimität. Jovankas hölzener Schminktisch ist allerdings so leer wie ihre Schmuckschatulle, als sich ihr Mann Mitte der 1970er-Jahre von ihr trennte. Sie musste Tito damals alles zurückgeben, was er ihr geschenkt hatte.

Die Künstlerin Maja Bajeviæ zeigt das Einzige, was Jovanka damals blieb: der schwarze Haarknödel. Bajeviæ hat Frauen dazu aufgerufen, Haare zu spenden für eine Jovanka-Perücke, die nun auf dem Schminktisch zu sehen ist. Die Haarspende soll auch die Ehre von Frau Broz wieder herstellen, die ja sogar verdächtigt wurde, eine sowjetische Spionin zu sein.

Der 6500 Quadratmeter große Bunker, genannt "Objekat D-0", erzählt viel von Paranoia im Kalten Krieg. Überall hängen Fotos von Tito in Uniform. Es wirkt wie ein Versuch, ihn zu konservieren, so als könne er durch die Omnipräsenz seines Gesichts nie sterben oder würde im Bunker weiterleben wie auf einem anderen Stern.

Vlatka Horvat hat die Tito-Fotos im Bunker noch einmal fotografiert. Auf diesen Fotos verfließt sein Gesicht mit dem Licht der Bunkerlampen, das sich auf dem Glas spiegelt. Sein Antlitz ist wie von weißen Schleiern durchzogen. Horvats Arbeit "Nach Tito, Tito" ist eine Konfrontation mit dem historischen Bild von Tito und dem, was der Bunker von ihm widerspiegelt. Auch Natalija Vujoseviæ setzt sich mit der Vergänglichkeit/Unvergänglichkeit Jugoslawiens auseinander. Sie stellt Keramikfiguren von Partisanen in echtes grünes Gras, das die Figuren überwachsen wird. Selja Kameriæ hat Spitzendeckchen zu riesigen Spinnennetzen weitergehäkelt, die die Möbel überdecken. Die Zierdeckchen erinnern in Bosnien auch an den letzten Krieg. Während der Belagerung von Sarajevo wurden viele solcher Deckchen gehäkelt, um sich vom alltäglichen Terror abzulenken.

Für den falschen Krieg

Tatsächlich zeigt der Bunker, dass man sich in Jugoslawien gegen den falschen Krieg wappnete. Er wurde ja nie gebraucht. Gegen die realistische Gefahr, die sich in den Balkankriegen der 1990er-Jahre zeigte, hatte man hingegen keinen Vorkehrungen getroffen. Die Gruppe Spomenik mit Mitgliedern aus Prishtina, Belgrad, Tuzla, Zagreb und Ljubljana wollte bei der Biennale diesen letzten Krieg thematisieren. Doch den Kosovaren wurden keine Visa ausgestellt, weil Bosnien-Herzegowina den Kosovo nicht anerkennt. Für Spomenik zeigt das, dass der Krieg nie beendet wurde, weil er in Ex-Jugoslawien keinen echten Frieden brachte und die Apartheid im Kosovo weitergeht. Spomenik verlegte seine Arbeit nun von Konjic in den Kosovo, um gegen diese Ghettoisierung zu protestieren.

Wie stark die autoritären Strukturen des Kriegs tatsächlich noch wirken, zeigen – wenn auch unabsichtlich – die jungen Bosnier, die die Besuchergruppen durch den Bunker schleusen. Sie benehmen sich so, als hätte man sie angewiesen, die Auseinandersetzung mit der Kunst zu verhindern. Die Besucher werden mit autoritären Anweisungen ("Zeit, weiterzugehen!") durch die Räume gehetzt. Jedes Abweichen aus der Gruppe wird mit strengen Blicken missbilligt. Man überlegt, ob es sich um ein soziales Experiment handelt, das Furcht, Gehorsam und Anpassung reflektieren soll. Doch so weit ist das Nachkriegsland Bosnien noch nicht: Der Bunker ist noch kein Museum. (Adelheid Wölfl, DER STANDARD – Printausgabe, 31. Mai 2011)