PJ Harvey,...

Foto: Primavera Sound

Jarvis Cocker von Pulp und ...

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M. Ward sorgten für Höhepunkte beim Primavera Festival in Barcelona. In deren Schatten hatte manch junge Band einen schweren Stand.

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Das wirkliche Leben drang selten durch. Etwa als Pulp ihr Lied Common People den Demonstranten widmeten. Auch der als Keyboarder der Beastie Boys bekanntgewordene Money Mark solidarisierte sich mit den Opfern der katalanischen Polizei, die am vergangenen Wochenende in Barcelona dutzende Demonstranten krankenhausreif geprügelt hatte.

Auftritte von 276 Bands - darunter die Wiener Francis International Airport - halfen die Polizeihubschrauber über dem Stadtzentrum zu verdrängen, die Sirenen der Einsatzwägen, die flüchtenden Passanten und die verletzten Demonstranten auszublenden, die gegen korrupte Politik und Arbeitslosigkeit aufmarschiert waren. Ansonsten war Politik beim Primavera Sound Festival im Hafen von Barcelona kaum Thema, dafür Fußball, no na, das Champions-League-Finale zwischen FC Barcelona und Manchester United.

Mit rund 120.000 Besuchern an drei Tagen plus 20.000 Gästen bei Shows an den Tagen vor und nach dem eigentlichen Festival verzeichnete Primavera im elften Jahr seines Bestehens einen Besucherrekord. Zwar drückte dieser auf die Benutzerqualität, dennoch zählt es immer noch zu den erträglichsten Großfestivals, was vor allem dem angenehmenen Publikum geschuldet ist - und dem Programm. Denn allein mit jenen Bands, die man nicht sieht, ließen sich schon zwei, drei Qualitätsfestivals programmieren.

Zum Konsenshöhepunkt 2011 zählte die Reunion-Show der britischen Band Pulp. Nach zehn Jahren Inexistenz kehrte die aus Sheffield stammende Formation triumphal wieder: Ihr Programm rief in Erinnerung, welch rare Qualität Jarvis Cocker und Co in den 1990er-Jahren produzierten, als sie mit dem Album Different Class (1995) dem damaligen Brit-Pop-Boom seinen Höhepunkt verpassten; mit Songs wie erwähntem Common People, Disco 2000 oder Something Changed. Das mit Do You Remember The First Time? eröffnete Konzert zeigte Cocker auf der Höhe seiner Kunst: den ewigen Dandy, immer zart neben der Spur, dabei voll bei sich. Ein Entertainer, der sein Publikum ab dem ersten Moment mit dem kleinen Finger dirigierte. Die Band neben ihm führte derweil vor, wie man Kraft und Fragilität eloquent handhabt. Erst ihre Wiederkehr führte nun vor Augen, wie sehr man Pulp vermisst hatte. Ein Österreich-Termin? Nicht in Sicht.

Auf derselben Bühne sorgte PJ Harvey tags darauf für eine weitere Weihestunde, als sie ihr aktuelles Album Let England Shake live präsentierte. Dabei zeigte sich, dass sogar ihre ruhigen Stücke massenwirksam sein können, wenn das Publikum mitzieht. Unterstützt wurde die mit Federn geschmückte Britin von einer Band, in der neben Gitarrist John Parish der Multiinstrumentalist und frühere musikalische Kopf von Nick Caves Bad Seeds spielte: Mick Harvey. Da konnte nicht viel schiefgehen.

Zeitgleich kam es auf der danebenliegenden Bühne zu einer weiteren Pflichtveranstaltung, die einen zum Pendeln zwang: dem Auftritt von Matthew Dear und seiner Band.

Ein Pfau in Weiß

Der US-Amerikaner Dear überführte seine aus dem Minimal Techno kommende Musik in einen kontrolliert ekstatischen Dance-Pop. Dafür fand neben Schlagzeug, Gitarre und Bass eine Trompete Einsatz, die Dears Musik unter anderen Vorzeichen eine ähnliche Erhabenheit verlieh, wie es PJ Harveys Vortrag vermochte.

Doch wo Harvey wie frisch aus dem Märchenwald auf der Bühne stand, stakste Dear im weißen Anzug wie ein Edelstricher auf Extasy über die Bühne - permanent Laptop, Mikro und diverses Scheppergerät im Einsatz. Niederschwellig euphorische Stücke wie Fleece On Brain wurden so zu richtigen Floorfillern. Doch Dear - dem Kaulquappendasein erst kurz entwachsen - zählte zu den Ausnahmen: Denn wenn sich bei Primavera etwas gezeigt hat, dann, wie wenig junge Musiker über eine Bühnenpräsenz verfügen, die über fadgasiges Herumstehen und hohles Posing hinausreicht. Das gilt für hippe Bands wie Deerhunter oder Warpaint bis zu Yuck - allesamt nicht zum Anschauen. Ein Drama in Indie-Uniformen und auf dünnen Beinchen.

Diesbezüglich ungefährdet war David Thomas, der mit der Band Pere Ubu deren Debütalbum The Modern Dance aus 1978 in seiner Gesamtheit darbot - gewürzt mit Anekdoten, die der wie Orson Welles aussehende Bandvorstand buchstäblich süffig reichte.

M. Ward, ein großer US-amerikanischer Songwriter, überzeugte seinerseits mit einem mitreißenden Konzert, das zeigte, dass das leidlich ausgeblutete Americana-Genre immer noch Herausragendes hervorzubringen vermag.

The Monochrome Set wiederum, eine UK-Band, die schon vor 30 Jahren klang wie Franz Ferdinand heute, kratzte bei ihrer Show nach einem elenden Beginn am Ende mit Hits wie Jacob's Ladder doch noch die Kurve, und Money Mark, der durchgeknallte Beastie-Boys-Keyboarder und vergnügliche Alleinunterhalter, pflegte Soul und Funk: Im Trio führte er vor, dass er nämliche Stile seinen Tasten ebenso zu entlocken vermag wie der Stromgitarre. Sein Auftritt allein war die Reise schon wert. (Karl Fluch, DER STANDARD - Printausgabe, 31. Mai 2011)