Semiotiker Pierluigi Basso

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STANDARD: Wie erklären Sie, dass sich der Name einer Nichtregierungsorganisation, der noch dazu fast wie ein Witz klingt, in gerade zwei Jahrzehnten in eine starke globale Marke verwandeln konnte?

Basso: Die Marke ist heute als eine Art Identity Software zu verstehen, die zwischen Hersteller, Konsumenten und Waren vermitteln kann. Diese drei Pole sind in der Marke zusammengefasst. Dadurch kann sie gemeinsame Werte betonen - selbst wenn es um stark unterschiedliche Interessen geht. Slow Food ist es gelungen, diese Eigenschaft der Marke für sich zu nutzen, indem zusätzlich Werte betont werden, die sich außerhalb dieses Rahmens befinden. Zum Beispiel die biologische Vielfalt. Diese ganzheitliche Sicht hat ermöglicht, ein philosophisches Umfeld zu schaffen, das über die Kommunikation hinausgeht und ein ideologisches Projekt definiert. Durch Kommunikations- und Markenstrategien konnte der Glaube an das, was wir machen, mit der Glaubwürdigkeit der Art, wie wir es machen, vereint werden.

STANDARD: Sie sprechen von Strategien. Hat Slow Food überhaupt konventionelle Marketingstrategien angewandt?

Basso: Zum Teil ja. Natürlich wurde der gemeinnützige Charakter des Vereins bewahrt, die eigene "Brand" aber trotzdem sehr umsichtig gepflegt. Slow Food war immer nur in jenen sozialen Umfeldern präsent, in denen es keine Unterdrückung durch andere Marken gab. Dabei wurden die eigenen Werte immer wieder neu definiert und neu vermittelt. Genau betrachtet handelt es sich hier um klassisches Brandmanagement. Viele eher ist es heute so, dass im Marketingbereich zunehmend unkonventionelle Techniken angewandt werden, die von Bürgerbewegungen inspiriert sind. Ich denke da an sogenanntes Virales Marketing oder Guerilla-Marketing. In diesen Bereichen hat Slow Food einen Vorsprung, der oft beneidet und kopiert wird.

STANDARD: Inzwischen wird auch von Slow Fashion, Slow Media und sogar Slow Cities gesprochen. Wie erklären Sie, dass sich das Konzept so ausweiten konnte?

Basso: Der "reine Markt" existiert heute nicht mehr. Der pure Business-Zynismus hat sich selbst zerstört. Und erkannt, dass jede Art von Handel auch immaterielle Werte beinhaltet, die nicht nur auf den Geldwert reduziert werden können. Die Geschäftsabwicklungen haben sich verlangsamt - und die Wirtschaftstreibenden müssen sich mit der Logik des "Slow" befassen. In diesem Sinne bedeutet "Slow" die stetige Reinvestition des Interesses und eine ständige Veränderung des Blickwinkels.

STANDARD: Es gibt Restaurants, die sich als Slow-Food-Lokal bezeichnen, obwohl es so etwas offiziell gar nicht gibt. Stört Sie das?

Basso: Slow Food hat eben inzwischen die Kraft einer Marke, und die ist auch für diese Restaurants identitätsbildend. Außerdem wirkt die Marke eher wie eine Art Trauzeuge zwischen dem Gastwirt und dem Produkt, das er verarbeitet, ohne dass der Verein selbst eingebunden ist. Sich als Slow-Food-Lokal auszugeben bedeutet, einen Deal auszuhandeln mit dem Gast, der sich dort Produkte von lokalen Herstellern und die Einhaltung gewisser ökologischer und sozialer Richtlinien erwartet. Natürlich könnte es auch zu Missbrauch kommen, persönlich habe ich das aber nie erlebt.

STANDARD: Zumindest im deutschsprachigen Raum steht Slow Food nicht nur für Nachhaltigkeit, sondern oft auch für Elitismus oder gar für Luxus. Gibt es hier kulturell unterschiedliche Wahrnehmungen?

Basso: Die gibt es. Die Perzeption der Marke kann von Land zu Land sehr unterschiedlich sein. Daraus entstehen Kommunikationsprobleme zwischen den einzelnen Gruppen in den Ländern und dem internationalen Dachverband, die zur Schwächung der Organisation führen könnten.

STANDARD: In Italien arbeitet Slow Food auch mit großen Handelsketten zusammen. Gelten die nicht eher als "fast" - und die Zusammenarbeit somit als Widerspruch?

Basso: Wenn Zusammenarbeit bedeutet, dass man Dialog und Partnerschaft sucht oder seine Studienabgänger in leitenden Positionen oder in den Kommunikationsbüros dieser Handelsketten unterbringt, dann glaube ich, dass das der richtige Weg ist. Sollte aber eine Art finanzielle Abhängigkeit entstehen, dann gäbe es auch Bedenken, dass die Entschlossenheit der Bewegung leiden könnte. Um glaubwürdig zu bleiben, sollte Slow Food auch gegenüber solchen Firmen weiterhin Kritik üben, die die Werte der Organisation teilen und sich mit der Marke schmücken. Ich bin mir nicht sicher, dass das immer der Fall ist.

STANDARD: In welcher Form wird Marketing an der Slow-Food-Universität für gastronomische Wissenschaften in Piemont unterrichtet?

Basso: Marketing wird bei uns sowohl als wirtschaftswissenschaftliches als auch als kommunikationswissenschaftliches Fach unterrichtet. Für unsere Studenten, von denen viele in der Marktwirtschaft ihre Zukunft sehen, ist es natürlich wichtig, eine realistische Ausbildung und aktualisiertes Wissen mitzubekommen. Wir gehen aber noch einen Schritt weiter und bieten Ausbildungsprogramme an, die von Systemdesign bis zu Ökologie der Kommunikation gehen. Kampferprobt im Marketingstrategien zu sein, bedeutet ja nicht unbedingt, kämpferisches oder gar gefühlloses Marketing zu betreiben. (Gregor Desrues/DER STANDARD, Printausgabe, 28./29.5.2011)