ZUR PERSON:

Jessica Wehdorn, Architektin und Mutter zweier Kinder, verkauft seit 2008 Kindermode in ihrem Atelier in Wien-Margareten. Die Stücke werden vorwiegend von aus Österreich stammenden Desginern entworfen und in deren kleinen Werkstätten gefertigt.

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Foto: Pepita

Jessica Wehdorn verkauft in ihrem Atelier in Wien-Margareten seit drei Jahren kunterbunte Mode für Kinder, die sie zum Teil selbst entwirft. Im Interview mit derStandard.at erklärt sie, wie Erwachsene überhaupt wissen können, was Kinder wollen und  warum sie sich selbst manchmal über Designerstücke für Kinder ärgert.

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derStandard.at: Welchen Sinn macht es, eigens für Kinder Bekleidung zu entwerfen? Kritiker würden sagen: Ein teurer Spaß, aus dem sie sowieso zu schnell wieder herauswachsen.

Jessica Wehdorn: Prinzipiell entkommt in unserer Gesellschaft niemand der Bekleidung. Jeder muss ja irgendetwas anziehen, um sich vor der Sonne zu schützen, zu wärmen, einfach um Grundbedürfnisse abzudecken. Aber: Erwachsenenkleidung ins Miniaturformat schrumpfen zu lassen, entspricht einfach nicht den Anforderungen von Kindern. Früher hat man Kindermode eigentlich für die Eltern gemacht, weil sie diejenigen waren, die eingekauft haben. Das hat sich heute geändert, die Kinder haben ihren eigenen Stil und gewisse Ansprüche. Als ich das Geschäft eröffnet habe war ich erstaunt, weil Zweijährige anstelle der Eltern entschieden haben. Zum Thema Herauswachsen: Wir entwerfen viele Kleidungsstücke so, dass sie relativ lange getragen werden können, also über zwei bis drei Saisonen.

derStandard.at: Welche Elemente machen Bekleidung kindertauglich? Welche Ansprüche haben die jungen Kunden?

Jessica Wehdorn: Kinder haben einen extremen Bewegungsdrang, da muss die Kleidung sitzen. Wir haben um Beispiel viele Kleidungsstücke mit hohem Bund, den man sehr hoch hinaufziehen kann. Wenn Purzelbäume geschlagen werden, sollte ja der Rücken auch noch gewärmt sein. Dazu kommt der Wohlfühlaspekt, der unter anderem von der Wahl des richtigen Materials abhängt, Jersey ist zum Beispiel sehr elastisch. Ich hab ja selbst zwei Kinder und sehe, was sich da abspielt. Ein Kind muss sich so bewegen und so agieren können, wie es möchte.

derStandard.at: Ihr Credo lautet: Kinder sollten Spaß an ihrer Kleidung haben. Was meinen Sie konkret?

Jessica Wehdorn: Wir arbeiten spielerische Ansätze mit ein. Dazu gehören Elemente, mit denen sie sich verändern können, wie Kleidungsstücke mit Kapuzen oder Flügerl am Rücken, die man bewegen kann. Bei unseren Tellerröcken kann man beobachten, welche Gaudi Gewand sein kann: Die Mädchen kommen ins Geschäft, ziehen den Rock an und fangen sofort an, sich zu drehen. Auch zu den Wenderöcken, die man auf beiden Seiten tragen kann, bekomme ich natürliches Feedback. Zum Beispiel wenn ich in den Kindergarten komme und sehe wie ein Mädchen hinausläuft, den Rock umdreht, wieder hereinstürmt und mich fragt: "Hast du was gemerkt?"

derStandard.at: Wie kann ein Erwachsener überhaupt wissen, was Kindern gefällt?

Jessica Wehdorn: Ich mache einen Entwurf von dem, was ich bei Kindern sehe. Wenn die Buben anfangen, sich Spielsachen in die Hosen zu stopfen, dann gehe ich ins Atelier und designe eine Hose mit überdimensional großen Taschen. Die Musterstücke lasse ich dann Kinder tragen und schaue, was passiert. Da merkt man sofort, wenn das Material kratzt, etwas unangenehm ist oder der Schnitt nicht passt. Als nächsten Schritt hängen wir ein paar Teile bei uns ins Geschäft hinein, die Reaktion von den Kindern ist sofort da - es wird entweder akzeptiert oder nicht.

derStandard.at: Wo holen Sie sich die nötige Inspiration für Ihre Arbeit?

Jessica Wehdorn: Von meinen Kindern. Außerdem bekomme ich von ihnen sowie von den Kindern im Geschäft sehr kritisches Feedback.

derStandard.at: Rüschen, Maschen und Lackschuhe haben von vornherein keinen Platz in Ihrer Kollektion gefunden. Warum nicht?

Jessica Wehdorn: Die Einarbeitung von Rüschen, Maschen und Co. ist eine Geschmacksfrage, obwohl ich nicht glaube, dass Kinder das unbedingt brauchen. Man kann ein Kind auch mit einer schönen Farbe oder einer kitschfreien Applikation begeistern. Das Ganze ist außerdem eine Frage der Bequemlichkeit. Das Kind im weißen Manterl mit Spitzenkragen zu präsentieren entspricht nicht mehr unserer Zeit. Ich habe zu Hause riesige Kisten mit Gewand aus meiner eigenen Kindheit, das auf dem Rücken kleine Druckknöpfe und Mascherl zum Binden hat. So etwas ist sehr unpraktisch und nicht kindgerecht, weil sich das Kind ohne fremde Hilfe gar nicht bekleiden kann. Meine Tochter zieht sich lieber selbst an und aus. 

derStandard.at: Was stört Sie an den Röcken, Hosen und Kleidern, die auf den Kleiderstangen großer Modeketten hängen?

Jessica Wehdorn: Man muss sich immer fragen: Wo kommt das her und wie können die so billig produzieren? Natürlich befindet sich meine Kleidung in einem gewissen Preissektor, aber das liegt daran, dass es Handarbeit ist, dass es nur kleine Auflagen gibt und dass viel Zeit in die individuellen Ansprüche und die Auswahl der Materialien gesteckt wird. Das ist nachvollziehbar, man weiß, wofür man bezahlt. Mich ärgert es, wenn ein T-Shirt im Dritte-Welt-Land produziert und als Designerstück zu einem horrenden Preis verkauft wird. Wenn sich der Preis nur durch die Marke, den großen Namen, rechtfertigt.

derStandard.at: Blaue Hemden für Buben, rosa Kleidchen für Mädchen. Besteht hier Änderungsbedarf?

Jessica Wehdorn: Es herrscht sicher Nachholbedarf. Ich selbst stelle mir die Frage gar nicht: Ist das eine Burschen- oder eine Mädchenfarbe? Ich verwende auch für Buben viele Farben, unter anderem Pink, die Leute fragen dann: "Das ist aber für Mädchen, oder?" (Maria Kapeller, derStandard.at)