Sozialwissenschafter Herbert Gottweis kritisiert die "politische Klasse" für deren Prioritätensetzung auf ÖBB, Tunnelbau und Pensionssicherung.

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Standard: Die jüngste Eurobarometer-Umfrage hat ergeben, dass die Österreicher gegenüber biomedizinischer Forschung besonders skeptisch sind, also gegenüber jeder Art von Forschung an Zellentwicklung Vorbehalte haben und Stammzellforschung zur Gänze ablehnen. War diese breite Front an Gegnern zu erwarten?

Gottweis: Österreich ist ein hochmodernes Land. Man sollte annehmen, dass man hier zukunftsorientiert denkt und handelt. Die Akzeptanz von biomedizinischer Forschung müsste also in etwa so hoch sein wie in Deutschland, Holland oder in den skandinavischen Staaten. Sie ist aber in Wahrheit so niedrig wie in der Türkei, in Griechenland oder in Bulgarien, wo die Ausbildung in den Life-Sciences schlechter ist als hierzulande, wo es auch weitaus weniger Wissenschaftsjournalismus gibt, der seriös über diese Forschung, über ihre Chancen und Risiken aufklären könnte.

Standard: Woher kommt diese Ablehnung?

Gottweis: Ein oft bemühtes Argument: Die Bevölkerung sei aufgrund des Missbrauchs der Biowissenschaften durch den Nationalsozialismus traumatisiert. Einmal angenommen, das stimmt: Warum ist in Deutschland die Situation anders, warum werden dort die Life- Sciences nicht ohne vorherige Diskussion abgelehnt, warum hinterfragt man Nutzen, eventuelle Gefahren und diskutiert sehr aufgeschlossen darüber? All das passiert hierzulande nicht.

Standard: Warum nicht?

Gottweis: Ich sehe hier ein Versagen der politischen Klasse. Auch jetzt, inmitten der ärgsten Wirtschaftskrise seit dem 2. Weltkrieg. Die Alarmglocken müssten längst läuten. Man müsste sich fragen: Wie kommen wir da raus? Leider steht da kein Politiker auf und sagt: Da müssen wir schnell handeln, wir müssen Wissenschaft und Technik fördern.

Standard: Fehlt es den Politikern also an der positiven Einstellung zu Wissenschaft und Forschung?

Gottweis: Man darf nicht generalisieren. Aber die Politiker stellen sich hierzulande nicht hinter Wissenschaft und Technologie. Es gibt zwar Hochglanzbroschüren und Sonntagsreden. Aber die Taten fehlen. Gerade jetzt am Ende der Wirtschaftskrise müsste man mehr Geld in die Wissenschaft investieren. So wie man das in Deutschland oder auch in Holland macht, weil man verstanden hast, dass das jetzt ein Wendepunkt ist und sich irgendwann zeigen wird, wer das erkannt und in Zukunftstechnologien investiert hat. Man erntet vielleicht erst in zehn, 20 oder sogar 30 Jahren die Früchte, aber man erntet sie. In Österreich geht es um Tunnelbau, um die Sicherung der Pensionen, um die ÖBB. Das sind die Prioritäten. Das Argument, dass gespart werden muss, greift zu kurz: Die Wissenschaften verschlingen keine zehn Milliarden, da geht es eher um ein paar hundert Millionen. Um Mittel, die man durch ein paar Kilometer Tunnelbau weniger schon einsparen würde. Ich bin mir sicher, dass man im Wissenschaftsministerium ganz ähnlich denkt.

Standard: Die Prioritäten liegen nicht erst seit gestern auf Themen wie Pensionen und ÖBB. Überrascht Sie es also wirklich, dass die Wissenschaften erst danach kommen?

Gottweis: Das Problem hat Tradition, das stimmt. Eine Wissenschaftsförderung gibt es hierzulande erst seit Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre. Dann kam bald Zwentendorf. Das war vielleicht das letzte Mal, dass sich die hiesige politische Klasse voll hinter eine Technologie gestellt hat, die Nukleartechnologie. Und das hat sich als unglücklicher Irrtum herausgestellt. Seither leidet die politische Klasse hierzulande scheinbar unter einem Trauma und ist bemüht, sich ja nicht bei neuen Technologien zu exponieren. Im Fall der Gentechnik wollte man sich durchschwindeln, ohne über eventuelle Auswirkungen zu diskutieren, und bekam prompt die Rechnung durch das Volksbegehren serviert.

Standard: Welche Schlüsse kann man daraus ziehen?

Gottweis: Je besser Menschen informiert werden, desto positiver sind sie neuen Technologien gegenüber eingestellt. Das haben wir etwa am Beispiel Biobanken herausgefunden. Es gilt nicht für alle Technologien, aber man darf schon sagen: Wissenschaftskommunikation ermöglicht eine Debatte, die bei neuen Technologien unverzichtbar ist. Die Menschen können sich informieren. Wenn sie etwas nicht verstehen, sagen sie eher Nein. Dazu kommt: Wenn Wissenschaft und Technologie unzureichend gefördert werden, dann verlieren sie an Stellenwert, etwa auch für die Berufswahl. Gymnasiasten fürchten, hier keinen Job zu bekommen. Auch sie begreifen irgendwann: Wissenschaft wird in diesem Land nicht ernstgenommen. Ein Strudel entsteht, der alle hinunterzieht. Und irgendwann wird der Forschungs- und Technologiestandort Österreich unattraktiv. (Peter Illetschko/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25. Mai 2011)