José Cura als Titelheld: Schrecken der Philister.

Foto: Aumüller

An der Deutschen Oper nähert sich die Ära von Intendantin Kirsten Harms ihrem Ende. Nach einem Interimsjahr wird ihr Nachfolger Dietmar Schwarz Berlins einst so glanzvolles, doch schon in den späten Jahren von Götz Friedrich ziemlich ins Trudeln gekommenes größtes Opernhaus in der Bismarckstraße übernehmen.

Zwar ist der scheidenden Intendantin Christian Thielemann abhandengekommen. Doch man wird feststellen, dass Harms gar nicht so ungeschickt agierte, wie es ihr das Berliner Feuilleton immer wieder bescheinigt hat. Dass sie große Oper lieferte und dem ewigen Wagner/Puccini- und Verdi/Strauss-Reigen etliche Ausgrabungen beifügte, zählt zu ihren unstrittigen Verdiensten.

Samson et Dalila mit José Cura und Vesselina Kasarova gehört dazu. Mit seiner erfolgreichsten Oper stemmte sich Camille Saint-Saëns souverän gegen die Wagner-Dominanz. In die alttestamentarische Geschichte von der Philister-Priesterin Dalila, die dem Hebräer-Anführer Samson seine Haare und seine Kraft raubt, welcher aber am Ende alle Feinde mit sich in den Tod reißt, nahm Saint-Saëns auch die Turbulenzen und Umbrüche seiner Zeit auf. Franz Liszt sorgte 1877 für die Uraufführung dieser zutiefst französischen Oper im deutschen Weimar. Der britische Regisseur Patrick Kinmonth, der übrigens auch als bildender Künstler erfolgreich ist, verlegt die Story nicht ins biblische oder gar gegenwärtige Gaza, sondern in die Entstehungszeit der Oper.

Herausgekommen ist ein üppig kostümiertes Rampentheater. Hochgeschnürt und mit viel Rüsche die Damen, zylindersteif die Herren. Erotische Spannung: Fehlanzeige. Der orgiastisch aufschäumenden Bacchanal-Musik verweigert Kinmonth die szenische Entsprechung. Was immerhin Dirigent Alain Altinoglu als Chance nutzt, um mit dem Orchester virtuos aufzutrumpfen. Sonst? Weiße Zwischenvorhänge als permanente Leerstelle, die Platzierung der Protagonisten in der Nähe des Souffleurkastens und ein diffus bis hilflos wirkendes Hin und Her der Chormassen. All das auf einer Bühne, die von drei an der Rampe endenden Eisenbahngleisen beherrscht wird. Sie stehen für den Fortschritt im 19. Jahrhundert, wecken aber Assoziationen zur großen Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Bei Kinmonth treffen einander Samson und Dalila zunächst in einem Salonwagen und haben ein Kind. Das Niederkartätschen murrender Massen mit anschließender Trauerfeier soll an die Pariser Kommune erinnern.

Dalila erwartet Samson zu einem Picknick, wobei zuerst der Oberpriester hoch zu (echtem) Ross erscheint und Dalila an ihre patriotische Pflicht erinnert, ehe schließlich Samson auftaucht, um sie zu vergewaltigen.

Triumph für Dirigenten

Wenn Samson am Ende seinen Gott um Kraft bittet, damit er den Tempel der Philister zum Einsturz bringen kann, wenn die Ballgesellschaft ihre Kleider ablegt und zwei Güter-Wagons anrollen: Dann landet die Inszenierung nach einer mühevollen Fahrt durch diffuse Unschärfen auf dem Abstellgleis einer überdeutlichen Eindeutigkeit.

Vor allem in den tieferliegenden Passagen überzeugt Vesselina Kasarova als Dalila mit der vokal überzeugendsten Leistung des Abends - auch wenn sie wie eine gelangweilte Bankiersgattin wirkt und nicht als die zu allem entschlossene Verführerin.

Darstellerisch kaum über die Pose hinaus gefordert, kann José Cura seine Kraft auf die Verfertigung von Trompetentönen konzentrieren. Das gelingt ihm gegen Ende hin immer besser, allerdings mit deutlicher Anstrengung und Vibrato.

Für den 35-jährigen Pariser Dirigenten Alain Altinoglu aber, der schon in Wien und Salzburg Erfolge feierte, wird dieser Abend am Pult des exzellent strömenden und dosiert und vielfarbig aufrauschenden Orchesters der Deutschen Oper zu einem Triumph. (Joachim Lange aus Berlin/DER STANDARD, Printausgabe, 25. 5. 2011)