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Von jeder dieser Blechbahnen musste ein fehlerhaftes Stück abgezwackt werden. Genaueres Messen schon beim Pressen spart Energie.

Foto: APA/Rainer Jensen

Jeder will ein möglichst großes "Filetstück". Dass es aber häufig nur derjenige bekommt, der geschickt den "Skieffekt" vermeidet, ist schon weniger offensichtlich: Man muss sich schon ein wenig mit der Sprache der Metallurgen beschäftigen, um ein grundlegendes Effizienzproblem in der Stahlindustrie zu verstehen.

Als "Filet" wird in einem Walzwerk immer jenes Stück Stahl oder Blech bezeichnet, das völlig homogen und damit gut verwertbar aus der Bandstraße kommt. Allerdings kühlen vor allem Bleche an ihren Rändern deutlich stärker ab und bleiben somit dicker. Das wiederum führt zum "Skieffekt", also zum Aufbiegen der Enden einer Walztafel, welche stark an die gekrümmte Spitze des Sportgeräts erinnern. Walzwerke, die viele dieser unerwünschten Deformationen produzieren, müssen den unbrauchbaren Blechteil wieder einschmelzen und verlieren wertvolle Zeit und Energie.

Andreas Kugi, Leiter des Instituts für Automatisierungs- und Regelungstechnik an der TU Wien, glaubt, dass das Einsparungspotenzial besonders beim Primärenergiebedarf in der Stahlindustrie noch sehr hoch ist. Zwischen zehn und 20 Prozent mehr Energieeffizienz bei den thermischen Prozessen erwartet er sich durch weitere Automatisierungen. Dafür müssten die meisten Industrieanlagen nicht einmal umgebaut, sondern lediglich mit einer Software nachgerüstet werden, die den "energieoptimalen Punkt" im Produktionsprozess bestimmen kann.

Modellrechnen im Stoßofen

Das bedeutet im konkreten Fall: Üblicherweise werden die Stahlblöcke (Brammen) in Stoßöfen auf rund 1200 Grad Celsius aufgeheizt, um sie formen zu können. Die größte Schwierigkeit bei diesem Prozess besteht nun darin, dass die Temperaturverteilung in den Brammen nicht gut messbar ist. Die Forscher der TU Wien versuchen daher, die Masse- und Energieströme in den Blöcken mit mathematischen Modellen zu berechnen. So soll den Reglern im Stoßofen rechtzeitig mitgeteilt werden, wann, wo und wie fest sie die Blechbahnen pressen sollen.

Bis zu 9000 Tonnen Druck - das entspricht dem Gewicht von rund 100 Lokomotiven - üben die Walzen dabei auf den Stahl aus. Aber um ein qualitativ hochwertiges Endprodukt - bis zu 36 Meter lange und bis zu 9 Meter breite Blechtafeln - zu erhalten, müssen die Regler in der Anlage auf Mikrometer genau arbeiten. "Die Qualitätskontrolle hat demnach einen starken indirekten Effekt auf die Ressourcenschonung", glaubt Kugi: "Bessere Produkte haben auch eine bessere Energieeffizienz."

Mehr Fehler im Produktionsprozess bedeuten folglich höheren Energieverbrauch - die sogenannte "grüne Automatisierung" rückt daher verstärkt in den Fokus der europäischen Forschungsförderung. So werden etwa in einem nordrhein-westfälischen, nur mittelgroßen Versuchs-Walzwerk durch intelligente Automatisierungen bereits jährlich über 50.000 Kilowattstunden Strom und 150 Tonnen Stahl eingespart sowie 327 Tonnen weniger CO2 emittiert. Das deutsche Bundesumweltamt will die Rohstoff- und Energieproduktivität nämlich insgesamt bis 2020 gegenüber 1990 verdoppeln. Im Vergleich zu den 1960er-Jahren hat sich der Energieverbrauch bei der Walzstahlerzeugung in Deutschland bis heute schon halbiert.

Kriechen zum Sparen

Unterdessen verfolgt das Wiener Institut für Automatisierungs- und Regelungstechnik ganz unterschiedliche Ansätze, die der Ressourcenschonung dienen sollen: So wird ein Roboter bald schon durch die engen Wiener Frischwasserrohre kriechen, um sie zu überprüfen, zu reparieren und dadurch die Wasserverluste gering zu halten. Und dieselben optimierungsbasierten Methoden des Instituts, die bei der Regelungstechnik eines Helikopters zum Einsatz kommen, finden auch bei den Aufheizvorgängen in der Stahlindustrie Anwendung. Da wie dort bedeutet die präzisere Regelung eine Reduktion des Primärenergiebedarfs. "Implizit findet die grüne Automatisierung also längst statt", meint Kugi, "jetzt müssen die Maßnahmen nur noch systematisch gebündelt werden."

Dass dabei noch keineswegs aus dem Vollen geschöpft wird, hängt für Kugi auch mit einem Missverständnis zusammen: "Wir gehen davon aus, dass jede Automatisierung grundsätzlich Arbeitsplätze vernichtet." Allerdings übernehmen die Maschinen in diesem arbeitsteiligen Prozess ohnehin Aufgaben - Echtzeitberechnungen und häufig Regelungen im mikroskopisch kleinen Bereich -, die Menschen gar nicht vollbringen könnten. "Vielmehr geht es um die Schaffung einer Mensch-Maschine-Schnittstelle, die für den Menschen einen Teil des Ressourcenproblems löst", ergänzt Kugi. (Sascha Aumüller, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25. Mai 2011)