Jugendliche zünden in Thessaloniki Kerzen zur Erinnerung an die Vertreibung und die Ermordung der Pontos-Griechen.

Foto: Markus Bey

Die Fahne der Pontos-Griechen.

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Heute wäre also "Pontus"-Tag in Griechenland und in New York, Moskau und Melbourne und wo sonst auf der Welt die griechische Diaspora lebt und stark ist.


Greek Pontian Genocide Remembrance Day in Moscow... von n000k

In Thessaloniki, nahe der Rotunda im Osten der Stadt, haben junge Nachfahren der Pontus-Griechen schon am Vorabend Kerzen angezündet. Offizieller Gedenktag für die Vertreibung der Pontos-Griechen ist der 19. Mai, und das erst seit 1994, als das griechische Parlament ein entsprechendes Gesetz erließ und die Dezimierung der griechischen Bevölkerung an der türkischen Schwarzmeerküste einen "Völkermord" nannte.

Das Kapitel der Pontos-Griechen ist seither auch nicht sehr viel bekannter geworden im Vergleich zur Debatte um den Völkermord an den Armeniern oder mit der "kleinasiatischen Katastrophe" der Griechen - der Rückeroberung von Smyrna/Izmir 1922 durch die Truppen Kemal Atatürks, als 40.000 Einwohner in den armenischen und griechischen Vierteln umgebracht wurden und Flucht und Vertreibung der Griechen aus Anatolien einen Höhepunkt erreichten. An der heutigen türkischen Schwarzmeerküste, von Sinop bis zur georgischen Grenze, lebten zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Schätzungen von Historikern 450.000 Pontos-Griechen. Fast die Hälfte von ihnen kam zwischen 1914 und der Gründung der Republik Türkei 1923 um durch Krankheiten, Hunger, bei Deportationen, durch Hinrichtungskommandos und anderen Übergriffen des Staates. Die Überlebenden wurden gemäß des Vertrags von Lausanne nach Griechenland umgesiedelt.

Natürlich muss man die Relationen sehen, wie sie auch von türkischer Seite angeführt werden: den Pontos-Griechen an der russischen und heutigen ukrainischen Küste erging es nicht sehr viel besser; die Türken in Griechenland wurden ebenfalls per Lausanne-Vertrag zwangsumgesiedelt, die griechische Republik hatte den Krieg gegen das zerfallenden osmanische Reich begonnen. An ihrer ethnozentrischen Gründungsidee kaut die Türkei aber wie alle Nationalstaaten bis heute noch. "Unsere Gesellschaft ist introvertierter geworden", hat der türkische Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu in einem Interview gesagt, das ich im April mit ihm führte. Kilicdaroglu schob der konservativ-muslimischen Regierungspartei AKP die Schuld dafür zu, aber in Wahrheit sind es der Rauswurf der Minderheiten und die verdrängte Geschichte der Massaker, die in den vergangenen Jahrzehnten die heimatländische Selbstbespiegelung der Türken formten, zusammen mit der dauernden politischen Zurückweisung der Türkei durch Europa. Das alte multikulturelle Istanbul - oder Kairo, Beirut, Casablanca - ist ja nun dahin, es existiert nur in den Reiseführern fort. Einen Trost gibt es: die Globalisierung, gewissermaßen die gerechte Antwort auf den vermaledeiten Nationalstaat. Auf Istanbul übertragen wären das derzeit unter anderem: Russische Textileinkäufer in Laleli, afrikanische Flüchtlinge in Aksaray, Erasmus-Studenten in Şişli, Englischlehrer aus den USA in Kadiköy ...