Wifo-Experte Gerhard Rünstler: "Ein Haircut hätte auch Nachteile für Griechenland."

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Wäre es überhaupt gerecht, wenn den Griechen die Schulden zum Teil erlassen werden, den Portugiesen aber nicht?

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derStandard.at: Im Boulevard wird schon wieder fleißig Kleingeld in Schilling umgewechselt. Sollten wir uns schon einmal daran gewöhnen?

Gerhard Rünstler (lacht): Nein, sicher nicht. Der Euro ist erstens eine stabile Währung, die gut funktioniert. Es gibt eine Staatsschuldenkrise an der Peripherie, die mit Griechenland vorrangig ein Land betrifft, das rund drei Prozent des EU-BIPs ausmacht. Portugal und Irland brauchen zwar auch Unterstützung, sind aber weit von Griechenland entfernt, die Lage dort ist weitaus weniger dramatisch. Zum Zweiten ist es undenkbar, in Zeiten wie diesen den Euro wieder aufzulösen. Auch ein Austritt von Griechenland ist praktisch nicht möglich, weil das sofort einen Bankrun und einen Bankrott des Bankensystems und des ganzen Staats auslösen würde.

derStandard.at: Welche Auswirkung hat die Verhaftung des IWF-Chefs Strauss-Kahn auf die Rettungsbemühungen? Wird sich dadurch etwas verzögern?

Rünstler: Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Der Währungsfonds ist ja sehr gut organisiert.

derStandard.at: Wie sehen Sie die Fortschritte in Griechenland - macht Athen genug, oder vielleicht sogar zuviel? Wird die griechische Wirtschaft abgewürgt?

Rünstler: Das griechische Defizit ist zuletzt um fünf Prozentpunkte zurückgegangen, obwohl auch die Wirtschaft um 4,5 Prozent geschrumpft ist. Die Sparmaßnahmen haben an die sechs Prozent des BIP ausgemacht. Was bis jetzt gemacht worden ist, ist aber noch zu wenig, um den Staatshaushalt zu konsolidieren, die Schuldenquote zu stabilisieren. Es muss schlicht noch mehr gespart werden. In welcher Geschwindigkeit, das ist die Frage. Wenn man so stark saniert, dass die Wirtschaft nicht mehr anspringt, dann hat man auch ein Problem.
Zuletzt wurde bekannt, dass die griechische Wirtschaft im ersten Quartal um 0,8 Prozent gewachsen ist, nach einem Minus von 4,5 Prozent im letzten Jahr, das ist einmal ein kleines positives Zeichen. Man muss den Griechen einfach Zeit geben. Es war von Anfang an klar, dass die Sache nicht in einem Jahr zu bewältigen ist. Die Griechen müssen ja nicht nur sparen, sondern auch die Wirtschaft auf Vordermann bringen, viele Bereiche deregulieren. Mein Chef Karl Aiginger hat auch so eine Art Marshallplan ins Spiel gebracht, mit dem die griechische Wirtschaft angekurbelt werden könnte, sodass das Land auch von seiner Wirtschaftskraft einmal in Europa ankommt. Auch wenn das natürlich wieder neues Geld bedeuten würde.
Griechenland muss ziemlich umgebaut werden, neu aufgesetzt. Und zwar nicht nur der Staatshaushalt, sondern man muss auch den öffentlichen Dienst verkleinern, und diverse geschützte Bereiche deregulieren. Man hat mir etwa erzählt, dass in Griechenland alle davon träumen, im öffentlichen Dienst zu landen. Die Beamten-Karriere ist das Nonplusultra. Da muss wirklich vieles ganz neu gemacht werden.

derStandard.at: Wird es ohne teilweisen Schuldenerlass, also ohne "Haircut", überhaupt gehen?

Rünstler: Da würde ich gerne ein bisschen differenzieren. Griechenland hängt im Moment am Tropf des EFSF ("alter" Rettungsfonds, Anm.) und dann später des ESM ("Europäischer Stabilitäts-Mechanismus"). Mit den derzeitigen Zinsen sind sie nicht in der Lage, sich an den Finanzmärkten neu zu verschulden, und dieser Zustand wird noch ein, zwei Jahre andauern. So gesehen ist es jetzt gar nicht so vorrangig, ob man eine Umschuldung macht oder den Griechen weiter die Kredittranchen überweist, weil ohnehin der Zugang zu den Finanzmärkten versperrt ist.
Den Status quo zu belassen hätte den Vorteil, dass man ein bisschen besser hineinregieren und die Griechen ein wenig mehr unter Druck setzen kann, sofern es notwendig wäre. Eine Umschuldung hätte den Vorteil, dass die Banken danach die Sicherheit hätten, dass die Bilanzen wieder im Reinen sind. Drittens birgt die Umschuldung natürlich schon die Gefahr des Überschwappens auf Irland oder Portugal mit sich.

derStandard.at: Inwiefern wäre ein "Haircut" denn überhaupt gerecht, wenn den Griechen die Schulden zum Teil erlassen werden, den Portugiesen aber beispielsweise nicht?

Rünstler: Naja, um Gerechtigkeit geht's bei der ganzen Sache wirklich nicht. Es ist auch tatsächlich nicht "gerecht", den Griechen jetzt diese vielen Kredite zu geben, nachdem sie über ihre Verhältnisse gelebt hatten. Insofern ist auch die Aufregung darüber zu verstehen. Ein Haircut hätte auch Nachteile für das Land. Es täte sich dann später ziemlich schwer, wieder an die Finanzmärkte zurückzukommen. Insofern macht ein wirklicher Haircut nur dann Sinn, wenn das Land dann wieder in einem Zustand ist, wo es sicher ist, dass es seine Schulden bedienen und sich aus der Krise heraus entwickeln kann.

derStandard.at: In welchem Ausmaß wäre ein Schuldenerlass überhaupt sinnvoll?

Rünstler: Der Haircut müsste so groß sein, dass man dann rundherum und in den Partnerländern der Eurozone einigermaßen sicher sein kann, dass Griechenland von alleine weitermachen kann. Wenn ich mir die derzeitigen Staatsschulden von 140 Prozent des BIP anschaue - und die werden wohl noch bis auf 160 anwachsen -, dann würde ein 20-prozentiger Haircut wohl nicht reichen. Ich bin aber nicht glücklich damit, jetzt eine Zahl zu nennen, ich kann nur dieses Prinzip nennen: Das Land muss sich danach wieder selbst finanzieren können.

derStandard.at: Wäre es nicht besser, mit dem Geld, das man den Griechen jetzt leiht bzw. überlässt, die europäischen Banken vor der griechischen Pleite zu schützen?

Rünstler: Wenn man es ganz egoistisch aus Sicht der Geberländer sieht, dann stimmt das. Ganz klar: Wenn man das Geld jetzt abschreibt und entsprechend den Banken gibt, dann ist man auf jeden Fall einmal sicher, dass das Geld nicht verschwindet. Aber erstens muss man schon auch ein bisschen an die Griechen denken, und zweitens hätte es enorme politische Konsequenzen. Denn man muss auch immer die Signalwirkung für Irland und Portugal im Auge behalten. Dass man die alle drei jetzt hängen lässt, das ist völlig undenkbar. Das wäre sehr kurzsichtig.
Nachträglich betrachtet war es natürlich keine gute Idee, dass Spanien, Portugal und Griechenland dem Euro beigetreten sind. Spanien ist vielleicht ein Grenzfall. Es haben sich da wirtschaftliche Dynamiken aufgetan, die über die Jahre zu den Ungleichgewichten und der hohen Verschuldung geführt haben: niedrige Realzinsen, die Immobilienblase etc. Auf diese Dinge hätte man viel mehr achten müssen. Mit Fiskalpolitik hätte man dem auch wirksam gegensteuern können, davon bin ich überzeugt. Aber jetzt nachträglich die Eurozone wieder aufzubrechen ist schon eine schwierige Sache. Die Länder haben aber ohnehin schon ihre Lektionen gelernt, zumindest hoffe ich das. Die Spanier sind mittlerweile fast fit für den Euro, würde ich sagen. Irland ist sowieso Euro-fit, die sind eines der reichsten Länder, haben "nur" ein Banken-Problem. Griechenland ist die wirkliche Schwierigkeit, und Portugal. So gesehen braucht man zwischen Norden und Süden nicht mehr viel aufzuteilen.
Krisen treten zwar immer wieder auf, aber jede Krise ist doch irgendwie anders. Ich glaube nicht, dass Spanien und Portugal gleich wieder in ähnliche Schwierigkeiten laufen. Die Frage ist eher, wie man das dann bei den osteuropäischen Ländern machen wird, wenn die alle dem Euro beitreten? Das ist für mich die relevantere Frage.

derStandard.at: Was würde es denn eigentlich kosten, den Schilling wieder einzuführen? Oder vielleicht auch den so genannten "Nord-Euro" der starken Länder?

Rünstler: In Österreich hatte die Euro-Umstellung einen Vorlauf von einem bis eineinhalb Jahren. Grundsätzlich ist eine Währungsumstellung schon machbar, wenn alle das Vertrauen haben, dass es funktioniert. Man muss halt neue Banknoten drucken, die Firmen müssen ihre Buchhaltungen wieder umstellen. Es ist keine enorme Belastung, absolut machbar. Aber nachdem der Schilling ohnehin schon seit den 70er-Jahren so fest an die D-Mark gebunden war, dass sich das de facto von der Währungsunion nicht unterschieden hat, macht's nicht so viel Sinn, ihn wieder einzuführen.

derStandard.at: Halten Sie diese Gelüste bzw. Stimmungen für kontraproduktiv oder sogar gefährlich?

Rünstler: Es ist kein wirklich verantwortungsvoller Umgang mit dem Thema. Der Ärger ist verständlich, und auch zu einem gewissen Grad gerechtfertigt. Was die Griechen gemacht haben, speziell die Schwindeleien bei den Statistiken, das war wirklich nicht in Ordnung. Aber es bleibt nun eben doch nichts anderes übrig, als durchzutauchen und zu schauen, dass es nicht mehr passiert.
Mir hat ja sehr gut gefallen, dass die Deutschen beim Songcontest den Griechen zehn Punkte gegeben haben. Also so schlimm kann die Anti-Griechenland-Stimmung dort nicht sein.

derStandard.at: Das liegt aber möglicherweise auch daran, dass viele Griechen in Deutschland leben und von dort aus für Griechenland angerufen haben ...

Rünstler: Ach so, ja, stimmt. Da haben Sie wohl Recht. (Martin Putschögl, derStandard.at, 16.5.2011)