Michael Spindelegger ist sich seiner Kritiker in der Partei durchaus bewusst. Seine Rede am Parteitag richtet sichauch an sie.

Foto: Der Standard/Cremer

"An den Grundsätzen, Prinzipien und Werten, die wir vertreten, hat sich in Wahrheit nichts verändert"

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"Man darf die Reisefreiheit zwischen den Schengen-Ländern nicht infrage stellen, das ist eine Errungenschaft."

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Standard: Nächste Woche ist Parteitag und Ihre Kür als Parteichef. Es wurde eine programmatische Rede angekündigt. Wie werden Sie die Rede anlegen?

Spindelegger: Ich hoffe gut. Aber ich brauche noch Zeit für meine Rede. Ich sammle jetzt Ideen. Ich fahre durch die Bundesländer und bekomme viele Anregungen, was die Leute vor Ort möchten, was die ÖVP zukünftig darstellen soll. Das werde ich mit meinen Ideen verknüpfen und dann versuchen, eine Positionierung der ÖVP für die nächsten Jahre festzulegen.

Standard: Ursprünglich war ein neues Parteiprogramm geplant, das müssen Sie jetzt durch eine einzige Rede ersetzen. Eine herausfordernde Aufgabe.

Spindelegger: Wir haben ein Parteiprogramm ...

Standard: Das ist von 1995.

Spindelegger: Aber es ist noch aktuell. An den Grundsätzen, Prinzipien und Werten, die wir vertreten, hat sich in Wahrheit nichts verändert. Es geht eher um die Ausformung, um das Tagespolitische, wo man manches wieder sichtbarer machen muss.

Standard: Wie viel Antichambrieren bei den Ländern und bei den Bünden wird denn Bestandteil Ihrer Rede sein? Sie müssen alle befrieden, oder?

Spindelegger: Ich habe meine Politik anders angelegt, und so möchte ich es auch beibehalten. Ich habe das Pouvoir bekommen, mein Team selbst auszuwählen, das habe ich in Anspruch genommen.

Standard: Und das gefällt nicht allen in der Partei, wie sich zeigt.

Spindelegger: Da gibt es auch Kritik, das ist richtig. Das nehme ich zur Kenntnis. Aber ich möchte als Parteichef zeigen, dass das, was ich für richtig halte, wesentlich zur Positionierung der ÖVP beiträgt: Leistung und Familie sind der programmatische Überbau, eine Vereinfachung des Steuersystems und ein klares Bekenntnis zu Europa als Abgrenzung zu den anderen Parteien. Aber natürlich rede ich mit unseren Leuten, ich bin ja kein Autist.

Standard: Die Salzburger und vor allem die Steirer scheinen sehr unzufrieden mit der Personalauswahl zu sein und murren auch über die Wahl von Johanna Mikl-Leitner zur ÖAAB-Chefin. Haben die Niederösterreicher in der Volkspartei die Kontrolle übernommen?

Spindelegger: So ist es nicht. Wir hatten in der Regierung, als Josef Pröll Parteiobmann war, ihn als Parteichef und einen weiteren Minister aus Niederösterreich, nämlich mich. Wir haben jetzt mich als Parteichef und eine weiter Ministerin aus Niederösterreich, mehr nicht. Wir hatten damals einen Wirtschaftsbundobmann aus Oberösterreich, einen Bauernbundobmann aus der Steiermark, und wir hatten damals einen ÖAAB-Obmann aus Niederösterreich, nämlich mich. Es hat sich eigentlich nichts verändert. Da sehe ich die Diskussion nicht.

Standard: Als Sie sich entschieden haben, Sebastian Kurz in die Regierung zu berufen, war Ihnen da bewusst, für welches Aufsehen diese Entscheidung sorgen wird?

Spindelegger: Es war mir schon bewusst, dass es Kritik geben wird, wenn ein 24-Jähriger so eine Funktion einnimmt. Dem muss man sich stellen. Ich habe bei der Tour durch die Bundesländer aber auch gesehen, dass es sehr viel Zuspruch gibt. Ich bin überzeugt, jetzt werden auch die Inhalte kommen. Das Meinungsklima in der Bevölkerung wird sich schnell zu seinen Gunsten ändern.

Standard: Was sagen Sie zum Umgang der Medien mit ihm?

Spindelegger: Es war unfair, zu sagen, ein 24-Jähriger kann das nicht. Man darf einem jungen Menschen nicht gleich einmal etwas absprechen.

Standard: Die Kritik bezog sich nicht nur auf sein Alter, sondern vor allem auf seine Qualifikation. Kurz hatte zuvor mit dem Thema Integration, für das er jetzt als Staatssekretär zuständig ist, praktisch keine Berührungspunkte.

Spindelegger: Das ist bei Politikern oft der Fall. Ein Politiker, der in eine Regierung berufen wird, muss ein Ressort führen, da geht es um die politische Dimension, nicht nur um die fachliche. Sonst dürfte immer nur ein General Verteidigungsminister werden oder ein Polizist Innenminister.

Standard: Wird es mit der Volkspartei eine Volksbefragung zur Abschaffung der Wehrpflicht geben?

Spindelegger: Nein. Ich möchte gemeinsam mit der SPÖ ein spezielles Österreich-Modell entwickeln. Dazu haben wir Verhandlungen aufgenommen. Ich glaube, dass man auch einen Kompromiss erzielen kann und daher gar keinen Plan B braucht.

Standard: Aber ein Kompromiss zwischen Ja und Nein zur Wehrpflicht ist schwierig. Man kann auch nicht ein bisschen schwanger sein, wie der Verteidigungsminister sagt.

Spindelegger: Ein Kompromiss ist schwierig, das ist ganz richtig. Darum muss man auch weggehen von diesem plakativen Sätzen Wehrpflicht Ja oder Nein. Man muss auf die Details schauen: Wie stellen wir uns ein Bundesheer in der Zukunft vor, was bedeutet Sicherheit in diesem Zusammenhang, wie kann man jungen Leuten in einem reformierten Heer sinnvoll die Zeit gestalten, was muss ein Zivildienst leisten, was braucht es beim Katastrophenschutz. Dann werden wir einen Schritt weiter kommen.

Standard: Die Regierungsparteien sind sich in der Frage der Wehrpflicht nicht einig, auch eine Steuerreform wird sehr kontroversiell diskutiert: Die ÖVP möchte die Steuern senken, die SPÖ nicht. Gibt es eigentlich auch gemeinsame Projekte der Regierung?

Spindelegger: Bei den Steuern haben wir sehr unterschiedliche Positionen. Aber es steht ja unmittelbar keine Steuerreform an. Wir müssen mit dem Defizit runter, das ist unser gemeinsames Ziel. Aber in der Perspektive, wie das Steuersystem künftig ausschauen soll, darf auch ein parteipolitischer Wettbewerb stattfinden. Bei der Regierungsklausur Ende des Monats soll eine größere Logik aufgebaut werden, was wir bis 2013 erreichen wollen. Das werden wir auch gemeinsam präsentieren.

Standard: Wie viel Geld soll noch in die überschuldeten Staaten Griechenland und Portugal fließen? Sie werden nächste Woche im Parlament mit einem Antrag der FPÖ konfrontiert sein, die einen Stopp der Finanzhilfe für die "Pleitestaaten" fordert. Was halten Sie dem entgegen?

Spindelegger: Ziel ist es, den Euro stabil zu halten. Das ist auch unser Geld. Würden wir dem nicht eine solche Priorität einräumen, würde das eine Rieseninflation, den Verfall der Währung bedeuten, damit auch den Verfall eines jeden Sparguthabens. Das darf nicht passieren. Daher müssen die Instrumentarien in Anspruch genommen werden. In Griechenland gab es Direktzahlungen, in anderen Ländern haben wir ja den Rettungsschirm. Bei den Direktzahlungen müssen wir streng auf Konditionalität achten. Mit Griechenland war eine Liste vereinbart, was alles passieren muss. Das muss jetzt überprüft werden. Und dann muss man sich fragen: Warum besteht da schon wieder so ein Finanzbedarf? Sind das nur die Finanzmärkte, die keine neuen Geldmittel zulassen, oder hat man in Griechenland versagt?

Standard: Was kann es für Konsequenzen geben? Kann man einen Staat in den Konkurs schicken?

Spindelegger: Wir müssen auch in diesem Fall auf die Stabilität der Währung achten. Niemand hat etwas davon, wenn wir den Euro schwach machen. Es wurde auch darüber spekuliert, dass Griechenland aus dem Euro aussteigt.

Standard: Ist das denkbar?

Spindelegger: Aus der Sicht der Griechen wohl nicht: Das würde den totalen Verfall einer neu zu schaffenden Währung bedeuten.

Standard: Portugal soll jetzt noch einmal mit 78 Milliarden Euro unterstützt werden. Wir argumentiert man das in Österreich?

Spindelegger: Wir haben ein Instrumentarium, das ist der Rettungsschirm. Da werden keine Direktzahlungen geleistet, sondern Haftungen übernommen. Da fließt direkt kein Steuergeld. Es werden mit Haftungen Kredite finanziert, die dieses Land braucht. Durch diese gemeinsamen Haftungen werden bessere Zinssätze erreicht, damit erhält das Land auch die Chance, mit den Reformen, die angedacht sind, wieder auf den Boden zu kommen.

Standard: Ein anderes Thema, das in Europa derzeit sehr kontroversiell diskutiert wird, ist Schengen. Wird es wieder Grenzkontrollen geben? Und ist das nicht das Ende eines gemeinsamen Europa?

Spindelegger: Unsere Linie ist klar: Anlassbezogene Grenzkontrollen ja, aber nicht generell. Man darf die Reisefreiheit zwischen den Schengen-Ländern nicht infrage stellen, das ist eine Errungenschaft. Ich kenne niemanden, der in Österreich am Walserberg wieder zwei Stunden im Stau stehen möchte, um Richtung Deutschland zu rollen. Vorübergehend können Grenzkontrollen notwendig sein, wir machen das beim Weltwirtschaftsforum Davos, das in Wien stattfindet, aber nur für wenige Tage.

Standard: Wie sicher sind Sie, dass das Projekt Europa hält?

Spindelegger: Ich halte es nach wie vor für unglaublich wichtig, dass wir den Glauben an dieses europäische Projekt nicht verlieren. Es hat uns Frieden und Wohlstand gebracht, das darf man nicht außer Acht lassen. Es wird weitergehen. Wir müssen die Schwierigkeiten überwinden, aber das geht nur gemeinsam. Alle Propheten, die jetzt sagen, Europa ist am Ende, sind keine guten Ratgeber. Aber es ist klar: Wir haben eine Krise. Wir haben beim Euro Aufholbedarf, wir müssen dringend Maßnahmen setzen, damit er stabil bleibt. Aber ich halte das für machbar. (Michael Völker, DER STANDARD; Printausgabe, 14./15.5.2011)