In den Gemüsegärten amerikanischer Forscher wachsen bereits Tomaten, die gegen Kinderlähmung immunisieren.

Foto: Standard/Matthias Cremer

Regensburg - Es klingt nach Science Fiction: Hugo B. bekommt während seines Urlaubs im Emperor Palace in Bangkok zum Frühstück neben Brötchen und Kaffee auch eine Banane. Diese sieht aus wie jede Banane, aber es gibt einen Unterschied: Wenn er sie isst, ist er gegen tropische Durchfallkrankheiten gefeit. Mittags erhält er eine Spezialkartoffel: Ihr Genuss impft ihn gegen Hepatitis B.

Klingt wie ein Traum, ist aber bereits Wirklichkeit. Kartoffeln, die gegen Hepatitis schützen, wachsen in den Gemüsegärten amerikanischer Forscher neben Tomaten, die gegen Kinderlähmung immunisieren. Und im Gewächshaus reifen Bananen, die vor Durchfall schützen. Keine Spritze mehr in den Oberarm - ein kleiner Imbiss schützt, berichtet der deutsche Reportagedienst obx-medizindirekt in einer Aussendung.

Kolibakterien bauen menschliches Insulin

Mit solchen und anderen Entwicklungen ist die Gentechnik dabei, den Arzneimittelmarkt zu revolutionieren. Und das ist durchaus keine Zukunftsmusik. Hunderte von Medikamenten verdanken wir schon heute den Pharmafirmen, die Bakterien, Viren, Pflanzen und Tiere gentechnisch so verändert haben, dass sie Impfstoffe und Arzneimittel produzieren. 

Seit in den Enzymbrütern der Biotechnologen Kolibakterien menschliches Insulin nachbauen, müssen Diabetiker weniger mit Unverträglichkeitsreaktionen wie früher bei dem tierisch gewonnenen Insulin rechnen. Für die jährliche Insulinbehandlung eines Diabetikers mussten bisher rund 50 Schweine sterben. Heute erhalten bereits 90 Prozent der Diabetiker gentechnisch gewonnenes Insulin.

Viele Kranke profitieren von dieser Entwicklung. Gentechnisch gewonnener Faktor VIII hilft Bluterkranken normal zu leben - ohne die Befürchtung, mit Aids angesteckt zu werden, wie das früher mit aus menschlichem Blut gewonnenem Faktor VIII möglich war. Gentechnisch hergestellte Medikamente lösen Blutgerinnsel bei Herzinfarktpatienten auf, sie bekämpfen Krebs und im Labor gewonnene Wachstumshormone verhelfen zwergwüchsigen Menschen zu normaler Körpergröße.

Zukunftsträchtige Entwicklung

Gentechnik tut viel Gutes und steht dennoch im Kreuzfeuer der Kritik: Andere, zweifelhafte Errungenschaften der Gentechnik wie das Klonschaf Dolly, der in Serie geklonte Mensch und das Zuchtschwein als Organbank machen Menschen Angst. Nur wo es um Medikamente und Gentechnik geht, finden 90 Prozent der Deutschen laut einer Emnid-Umfrage die Entwicklung in Ordnung.

Noch in den siebziger Jahren kostete ein einziges Gramm von Interferon gamma rund 50 Millionen US-Dollar. Damals konnte aus tausenden Litern Menschenblut nur ein tausendstel Gramm des raren Medikaments gewonnen werden. Heute wird das Mittel zur Rheumabehandlung gentechnisch hergestellt - zu einem winzigen Bruchteil der damaligen Kosten.

Nach Voraussagen von Experten wird die Zukunft noch viel bringen. Der bei Novartis zuständige Forschungsmanager ist überzeugt, dass auf gentechnischem Weg auch bessere Medikamente für die Behandlung von Alzheimer, Parkinson, Schizophrenie, Depression und Suchtkrankheiten entwickelt werden können. Japanische Forscher benutzen inzwischen Viren als „Gen-Taxis", um in die Zellen von Seidenraupen die Baupläne für Arzneimittel einzuschleusen. Aus einer solchen Raupe können sie etwa ein Milligramm des gewünschten Stoffes gewinnen. Das klingt vielleicht nach wenig - aber es ist immerhin hundertmal so viel wie die Ausbeute von Insulin oder Interferon in den herkömmlichen Bakterienbrütern.

Arznei aus dem Genlabor

Bei Menschen, Tieren, Pflanzen und Bakterien ist die Bauanleitung für Eiweißstoffe ident. Deshalb können auch menschliche Eigenschaften in die Erbinformationen von Tieren und Pflanzen eingeschleust werden. Das Verfahren ist kompliziert. Im Labor können bestimmte Enzyme als Werkzeug benutzt werden, um den DNS-Strang mit den Erbinformationen einer Tabakpflanze oder einer Bakterie zu zerschneiden. Andere Enzyme werden verwendet, um den Strang genau nach dem Plan der Wissenschaftler wieder zusammenzusetzen. Auf diese Weise ist es möglich, dass Zellen, die nun aufgrund der veränderten Erbinformationen entstehen, Impfstoffe gegen Kinderlähmung oder Pocken oder aber Medikamente gegen bisher kaum behandelbare Krankheiten herstellen.

1980 wurde in Amerika das erste Medikament gentechnisch hergestellt: Humaninsulin für Diabetiker. Heute sind allein in Deutschland schon mehr als 110 gentechnisch hergestellte Arzneimittel zugelassen, die auf über 80 verschiedenen Wirkstoffen beruhen. Die wichtigsten Anwendungsbereiche sind Diabetes, Blutgerinnungsstörungen und Mittel zur Beeinflussung des Immunsystems. In den USA befinden sich derzeit mehr als 300 weitere Medikamente zur Behandlung von fast 200 Krankheiten in der Entwicklung. Momentan haben solche Medikamente einen Marktanteil von rund 8 Prozent des über Apotheken vertriebenen Arzneimittelumsatzes. Mittelfristig wird der Anteil auf rund 20 Prozent ansteigen. (red)