Bis zu 60 Minuten vor dem Entstehen sollen Staus prognostiziert werden - mithilfe von Sensoren und Verkehrsmodellen.

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Für 23 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen sind Autos und Laster verantwortlich - Tendenz steigend, so aktuelle Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Bis 2030 rechnet die OECD, trotz Hybridfahrzeugen oder Elektroautos, mit einem Anstieg um 40 Prozent gegenüber dem heutigen Wert.

"Das Einfachste wäre, wenn die Menschen deutlich mehr auf öffentliche Verkehrsmittel setzen würden - oder für kürzere Strecken auch einmal das Fahrrad wieder entdecken", sagt Michael Schramm, Business Development Executive bei IBM Österreich und im Konzern verantwortlich für den Bereich "Smarter Cities". "Nur - sie tun es leider noch nicht in einem ausreichenden Maße."

Was seiner Meinung nach nicht verwunderlich sei: "Alle, auch ich, sind irgendwann etwas bequem, damit muss man leben - mit den hohen CO2-Emissionen allerdings nicht", sagt Schramm. Sein Ansatz zielt daher auf eine "smartere City", in der der Verkehrsfluss durch die Vermeidung von Staus und zähfließendem Stop-and-Go-Verkehr auf ein Mindestmaß reduziert wird. "Dadurch kann der CO2-Ausstoß des Verkehrs glattweg halbiert werden", sagt der Projektverantwortliche.

Gemeinsam mit dem Austrian Institute of Technology (AIT) konnte nun ein EU-Forschungsprojekt zum Thema angeschoben werden. Im Projekt "Carbotraf", das im Jänner 2011 von einem Konsortium unter der Leitung von IBM und AIT bei der EU eingereicht wurde, soll ein sogenanntes "Online Decision Support System" entwickelt werden. Dahinter verbirgt sich eine Echtzeitanalyse, die auf Grundlage von Sensordaten und Verkehrsflussmodellen das Verkehrsaufkommen in unmittelbarer Zukunft vorhersagt und daraufhin flüssigere - und vor allem insgesamt auch an CO2-Ausstoß ärmere - Alternativszenarien vorschlägt.

Graz und Glasgow 

Erstmals zum Einsatz kommen soll die Technologie in Graz, in einer späteren Projektphase dann auch im schottischen Glasgow. In Graz werden zunächst zehn Ampelkreuzungen mit speziellen Bildverarbeitungssensoren ausgestattet, ein weiterer Ausbau ist geplant. "In den Sensoren liegt die Hälfte des Know-hows von Carbotraf", sagt Martin Litzenberger, Sensor-Experte vom Department Safety & Security des AIT. Der äußerlich einer normalen Überwachungskamera ähnelnde Sensor liefert Daten, aus denen sich der aktuelle Verkehrszustand exakt erkennen lässt.

"Wir unterscheiden zwischen Pkw und Lkw und messen ihre Geschwindigkeiten und ihre Abstände zueinander", sagt Litzenberger. Das Besondere an dem AIT-Sensor ist, dass er kein ganzes Bild, sondern nur Bewegungen registriert. Möglich macht das ein Computerchip, der direkt in den Sensor integriert ist und so eine intelligente Vorverarbeitung zulässt. Durch diese reduzierte Datenaufnahme ist der Sensor schneller und kostengünstiger als herkömmliche Bildsensoren, die in regelmäßigen Abständen für jeden Bildpunkt einen Messwert liefern.

"Kommen normale Bildsensoren mit voller Bildinformation auf rund 50 Bilder pro Sekunde, schafft der 'Smart Eye Traffic Data Sensor' 1000 in der gleichen Zeit", sagt Litzenberger. Das mache den Sensor wirklich echtzeitfähig. Zusätzlicher Vorteil der herabgesetzten Datenaufnahme: ein wirkliches Bild, auf dem man Details wie Nummernschild oder Fahrer erkennen könnte, entsteht erst gar nicht. Privatsphäre und Datenschutz seien also gewährleistet, betont Litzenberger.

Verkehrsbeeinflussung

Zusammen mit den von IBM entwickelten Verkehrsmodellen der jeweiligen Stadt können drohende Staus somit bis zu 60 Minuten vor deren Entstehen vorhergesagt werden. Mithilfe von dynamischen Hinweisschildern und längeren oder kürzeren Grünphasen an Ampeln wird der Verkehr dann so beeinflusst, dass Staus insgesamt "signifikant verringert werden können", sagt Schramm. Im Sinne eines insgesamt niedrigen CO2-Ausstoßes könne es punktuell aber trotzdem zu kleineren Staus zulasten eines flüssigeren Verkehrs auf den Hauptverkehrsadern kommen.

Die Projektkosten betragen insgesamt rund fünf Millionen Euro, rund drei davon, hofft Schramm, werden aus den EU-Fördertöpfen kommen. In Kürze wird in Brüssel darüber entschieden. Vorausgesetzt, dass alles nach Plan laufe, könne dann ab Oktober mit dem Aufbau der Technik in Graz gestartet werden. (Denis Dilba/DER STANDARD, Printausgabe, 11.05.2011)