Der August gehört bekanntlich Strandbesuchern und Armeegenerälen. Einen Termin Ende August hat sich in der Türkei auch die Aufsichtsbehörde für das Internet ausgesucht, um einen neuen Schlag gegen unbeaufsichtigte Web-Nutzer zu führen, während ein großer Teil der Türken outdoor im Sommerurlaub schwelgt. Alles ganz harmlos, sagt Tayfun (!) Acarer, der Chef der "Behörde für Informations- und Kommunikationstechnologie" TBK. Die türkischen Internet-Kontrolleure führen am 22. August vier Filter ein - "Kind", "Familie", "hausintern" und "Standard" - doch niemand sei verpflichtet, sich für diese Filter auch zu entscheiden. Aha.

TBK hat schon einige Erfahrung mit Internetzensur und sperrte unter anderem YouTube für knapp zwei Jahre, weil dort ein verunglimpfendes Atatürk-Video zirkulierte. Auch andere "social websites" stehen regelmäßig vor dem Aus (türkischer Politiker fühlt sich durch ein möglicherweise veröffentlicht werdendes Video möglicherweise an den Pranger gestellt; Ausschnitte von Süperlig-Spielen, die Lig TV für sich und seine Zuschauer gepachtet hat, könnten vielleicht und unter Umständen von Video-Webseiten verbreitet werden). TBK und die türkischen Richter fackeln nicht lange herum. Für Internetbenutzer in der Türkei gilt das Prinzip der Kollektivstrafe.

Im Netz sammelt sich nun bereits die Bewegung gegen den 22. August. Bei imza.la zum Beispiel kann man gegen die Filter unterschreiben, von denen TBK-Kritiker wie Yaman Akdeniz, Professor an der Bilgi-Universität in Istanbul, behaupten, sie würden die Türkei auf eine Stufe mit China oder Kuba setzen. Die "August-Filter" also als Äquivalent für die "Great Chinese Firewall" von Pekings Internetzensoren. Der Jurist Akdeniz hält die Einführung der vier Filter selbst mit dem türkischen Recht für unvereinbar. Im jüngst veröffentlichten Jahresbericht von Freedom House zur Pressefreiheit ist das Journalistenverhafterland Türkei ohnehin von Platz 42 auf 45 abgerutscht ("partly free"). Nicht gerade das, was man von einem EU-Beitrittskandidaten erwarten würde. Die türkische Internetbehörde hat zudem Ende April eine Liste von 138 Wörtern zusammengestellt, die fortan nicht in Domain-Namen auftauchen dürfen, darunter einschlägige Begriffe aus der Porno-Welt, aber auch Wörter, von denen man bisher dachte, dass sie nicht sonderlich obszön sind. Kostprobe: Haydar (Vorname), liseli (Gymnasiast/in), şişman (dick, übergewichtig), Adrianne, Fire, hayvan (Tier)...

Beim großen türkischen Filterplan (GTF) gibt es einige Ungereimtheiten. Der TBK-Chef konnte nicht klar machen, weshalb seine Behörde überhaupt Filterstufen einführen muss, wenn sie nicht obligatorisch sein sollen. Jeder Internetbenutzer kann schließlich selbst am Zensurknopf seines Computers drehen, und Eltern lassen mit ein paar Klicks den Vorhang über Webseiten herunter, die für ihre Kinder ungeeignet sind - was zumindest so lange funktioniert, bis der Nachwuchs das technologische Herrschaftswissen der Eltern gesprengt hat.

Folgt man den Ausführungen von Herrn Tayfun Acarer, dann kann der türkische Internetmensch nach dem 22. August alles beim Alten lassen und ist dann mit seinem Computer in der Kategorie "Standard". Oder aber er wendet sich an die Aufsichtsbehörde und lässt sich das "Sichere Internetprofil" zuweisen mit einer der drei Unterstufen ("Kind", "Familie", "hausintern"). Das heißt wohl in der Praxis, ein Hotel, Schulen, Internetcafes nehmen den Regierungsfilter und werben mit einer schönen Moralplakette in Grün... Alle anderen bekommen das Prädikat "Internet-Schweinderl" oder so ähnlich. Und werden sich vielleicht bald auch Fragen stellen lassen müssen: "So so, Sie wollen also keinen Filter" (beim Abschluss eines Vertrags mit einem Provider) oder "Einen Filter hat er auch nicht, da kann man sich ja Einiges denken". Und der Filter gegen politisch falsch denken ist dann auch nur eine technische Kleinigkeit.